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Berichte
Lebkuchen und Geisterbahn
Franz Schrekers „Der Schmied von Gent“ am Nationaltheater Mannheim
Fünf Jahre hat es gedauert, bis Franz Schrekers „Der Schmied von Gent“, eine Koproduktion mit der flämischen Oper, nach der Antwerpener Premiere im Februar 2020 nun nach Mannheim kam. Das lag zum einen an der Corona-Pandemie, zum anderen an der deutlich späteren Fertigstellung der neuen Ausweichspielstätte OPAL (Oper am Luisenpark). Auch dort entfaltete das ambitionierte Opernregiedebüt von Ersan Mondtag mit seiner expressionistischen Überzeichnung und märchenhaften Farbigkeit starke theatralische Wirkung. Dass das Orchester des Nationaltheaters Mannheim den Pianobereich leider nie ausschöpft und die differenzierte Dynamik in Schrekers Partitur meist auf ein gesundes Mezzoforte nivelliert, liegt nicht an der Saalakustik, sondern am Dirigat von Jānis Liepinš. Auch wundert man sich darüber, dass es im ersten Akt zwischen Schlagzeug und Bläsern häufig klappert. Die Anlaufschwierigkeiten bekommt Liepinš aber im Laufe des Abends weitgehend in den Griff und liefert mit dem Mannheimer Orchester eine plastische, gelegentlich etwas überdeutliche Interpretation von Schrekers Musik.

Franz Schreker, „Der Schmied von Gent“, mit Sung Ha (Herzog Alba), Seunghee Kho (Astarte), Joachim Goltz (Smee) und der Opernchor des Nationaltheaters Mannheim. Foto: Christian Kleiner
„Der Schmied von Gent“ ist Schrekers letzte zu Lebzeiten aufgeführte Oper. Obwohl der jüdische Komponist mit dieser „großen Zauberoper“ ein „ganz primitives, naives Theaterwerk, eine Oper für Jedermann“ schreiben wollte, führte die Uraufführung am 29. Oktober 1932 in Berlin nicht zuletzt durch antisemitische Randalierer zu einem Misserfolg, so dass die Produktion schon nach wenigen Aufführungen abgesetzt wurde. Anders als in seinen früheren Opern „Der ferne Klang“ oder „Die Gezeichneten“ klingt Schrekers Musik rhythmischer und polyphoner, mit einfacherer Harmonik und hoher Textverständlichkeit. Regisseur Ersan Mondtag verklammert Musik und Szene eng, lässt das Personal im Freeze erstarren, um die Bruegelschen Wimmelbilder dann wieder mit musikalischen Abläufen zum Leben zu erwecken. Mondtags Bühnenbild ist Lebkuchenhaus und Geisterbahn zugleich. Auf der einen Seite zeigt es das verwinkelte, mittelalterliche Gent, auf der anderen ein Babies verschlingendes Monster. Die grellbunten, historisch verorteten Kostüme von Josa Marx stellen eine märchenhafte Welt vor, die aber auch erschütternde Realität werden kann, wenn sich die Hauptfigur vor dem dritten Akt in den belgischen König Leopold II. verwandelt. Aus dem protestantischen, von den katholischen Spaniern unterdrückten Schmied Smee wird in Mondtags Erzählung selbst ein furchtbarer Unterdrücker, der in der belgischen Kolonie Kongo rund zehn Millionen Menschen verstümmeln und ermorden ließ.
Joachim Goltz singt und spielt diesen Schmied, der für den wirtschaftlichen Erfolg einen Pakt mit dem Teufel eingeht, mit nie nachlassender Präsenz. Sein profunder Bariton hat Leichtigkeit und Wucht. Dass dieser Smee über Leichen geht, zeigt er bereits im ersten Akt, wenn er seinen Konkurrenten Slimbroek (mit hellem Tenor: Christopher Diffey) mit der Pistole bedroht oder im zweiten die beiden Teufel (schön dämonisch: Uwe Eikötter und Sung Ha) humorlos abknallt. Mit der betörend singenden Teufelin Astarte (stark: Seunghee Kho) geht Smee sanfter um. Julia Faylenbogen ist eine in sich ruhende Ehefrau, die Smee mit ihrem runden Mezzosopran Halt gibt. Chor (Leitung: Alistair Lilley) und Kinderchor (Leitung: Anke-Christine Kober) des Nationaltheaters Mannheim überzeugen mit Homogenität und enormer klanglicher Präsenz.
Die überbordende Bilderflut des Regisseurs wird im dritten Akt gebündelt. Der zu König Leopold II. mutierte Smee muss die 1960 gehaltene Rede von Patrice Lumumba, des ersten Präsidenten der Freien Republik Kongo, anhören. Die abgehackten Hände, die er im Korb dabei hat, wirft er vor lauter Frust über so viel Freiheitswillen auf den Boden, macht eine Waffelbar auf und verteilt ein paar dieser belgischen Spezialitäten im Publikum. Am Ende kommt Smee zu den schwebenden Glissandi des Chores doch noch ins von Petrus (Bartosz Urbanowicz) bewachte Himmelreich, bevor ihm Astarte aber den weißen Bart abreißt und eine Blutspur offenlegt.
Georg Rudiger |