Berichte
Wohlstandsabsturz mit Liebessegen
Richard Strauss’ späte Oper „Die Liebe der Danae“ in München
Sogar an der Bayerischen Staatsoper wird die Aufführungsdichte des späten Opernschaffens von Richard Strauss seit Wolfgang Sawallischs Umschlag 1988 mit allen 15 Opern des gebürtigen Münchners langsam, aber spürbar geringer.

Richard Strauss, „Die Liebe der Danae“ am Staatstheater München mit Malin Byström und Ensemble.
Foto: Monika Rittershaus
Auch im anderen Strauss-Tempel, der Semperoper Dresden, bleibt es bei nur wenigen Aufführungen von Werken wie dem problematischen „Friedenstag“ und der bukolischen Tragödie „Daphne“. Von den nach dem Tod des bevorzugten Textdichters Hugo von Hofmannsthal entstandenen Opern behaupten sich am ehesten noch „Capriccio“ – ein angesichts des Weltkriegs fast zynischer Diskurs über Musiktheater im feudalen 18. Jahrhundert – und die durch das Libretto von Stefan Zweig geadelte „Schweigsame Frau“. Wenig geliebt bleibt vor allem die 1944 bei den Salzburger Festspielen als „Generalprobe“ erklungene und erst drei Jahre nach dem Tod des Komponisten dort uraufgeführte „Liebe der Danae“. Die aktuelle Neuinszenierung von Claus Guth 37 Jahre nach der letzten Münchner Produktion in der Regie von Giancarlo del Monaco wird daran wenig ändern.
Guths Ansatz zu der von Joseph Gregor und anderen Autoren gestalteten „heiteren Mythologie“ ließ sich beherzt und aktuell an. König Pollux (Vincent Wolfsteiner), dem frisch amtierenden US-Präsidenten im Outfit nicht unähnlich, verzockt Staatsknete und Bürgerwohlstand. Rettung naht in Gestalt von Midas, der in seinem protzig goldenen Jet zum Sinkflug auf Manhattans Wolkenkratzer ansetzt. Midas ist Strohmann des Götterchefs Jupiter, der nach den Ex-Geliebten Semele (Sarah Dufresne), Europa (Evgeniya Sotnikova), Alkmene (Emily Sierra) und Leda (Avery Amereau) nun sein sexuelles Sehnen auf Pollux’ Tochter Danae richtet. Nach Hin und Her mit Himmelbett, Gold, Zauberei und als Liebesverzicht getarntem Verlust von Manneskraft wählt das Goldprinzesschen Danae doch lieber die Armut des zum Eseltreiber degradierten Midas. Regisseur Guth exerziert das im Bühnenbild von Michael Levine und den Gegenwartskostümen von Ursula Kudrna fast konsequent durch. Er wagt sogar die Darstellung des Absturzes nach Versiegen der Geldquellen inklusive angedeuteter Klimakatastrophe. Doch im Finale, in dem Strauss ein lyrisch weitschweifiges Imitat von Wotans Abschieden im „Ring“ zelebriert, zeigt Guth plötzlich authentische Filmaufnahmen vom greisen Komponisten in den Trümmern nach dem Zweiten Weltkrieg: Wehmut und sentimentale Schonkost statt konsequente Drastik und schonungslos zu Ende gedachte Apokalypse des selbstbewussten Overflows.
Das Publikum der zweiten Vorstellung ließ sich die Flucht aus der Aktualität ins Sentimentale gefallen und jubelte. Mit dem Gläubigerchor am Beginn, quasi eine Erweiterung des „Salome“-Judenquintetts ins Chorische, und dem langen Einzug des Midas kreierte Strauss prunkvolle Massenszenen – opulent, minimal schräg und lautstark. Das klang vom Chor der Bayerischen Staatsoper imposant und geschliffen (Einstudierung: Christoph Heil). Sebastian Weigle dirigierte den polyphon-opulenten Instrumentalsatz etwas zu geradlinig. Christopher Maltman gab als Jupiter mehr den Autokraten als den Liebenden. Andreas Schager setzte dem auftrumpfenden Midas etwas Wärme und tenorale Geschmeidigkeit zu. Neben Jupiters gut verheirateten Ex-Geliebten bedürfen hervorragende Besetzungen auch die exponierten Nebenpartien wie Danaes Vertrauter Xanthe (Erika Baikoff) und der Götterbote Merkur (Ya-Chung Huang). Den besten Clou lieferte Manuela Uhl, die kurzfristig für die erkrankte Malin Byström einsprang und die ersten Vorstellungen rettete.
Mit Uhl als Danae gibt es bereits eine CD des Theaters Kiel und eine DVD der Deutschen Oper Berlin. Zuletzt hatte sie die Partie vor knapp zehn Jahren gesungen sowie in Nürnberg mit der Färberin in „Die Frau ohne Schatten“ und der Brünnhilde im Wiesbadener „Ring“ souveräne Facherweiterungen vollzogen. Mit Erfahrung, Können und Intensität warf sich die Sopranistin in die vom Bayerischen Staatsorchester brillant umrauschte Partie. Doch trotz solch hochkarätiger Wiedergabe wirkte die Moral von der Geschicht’, dass materielle Armut kein Hindernis für wahre Liebe ist, etwas flach.
Roland H. Dippel |