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Fesselndes und Lohnendes
Neue Opern-DVDs · Von Wolf-Dieter Peter
La Fanciulla del West
Giacomo Puccini, La Fanciulla del West, Chor und Orchester der Königlichen Oper Stockholm, ML: Pier Giorgio Morandi, R: Christof Loy (2012). Euroarts Blue-Ray 2072594
Der Jubel in der Frankfurter Oper im Mai 2013 erreichte „Bohème“- oder „Tosca“-Ausmaße: Auch in der Koproduktion war Christof Loys Stockholmer Inszenierung einfach ein Wurf. Selbst wenn man „Video in der Oper“ eher ablehnend gegenübersteht, ist hier der Einsatz ideenreich, stückdienlich und fesselnd, speziell in den intimen Solo- und Duett-Szenen. Schon der Vorspann als braunstichiger Western-Film beweist, dass Puccini 1910 mit einer farbstrotzenden Klang-Palette geradezu impressionistisch die Faszination amerikanischer Landschaften eingefangen hat – und von ihm haben dann später die gro-ßen Filmkomponisten bis hin zu Ennio Morricone vieles adaptiert. Zu Puccinis Vorspiel reitet im Bild eine Frau im Western-Look mal über die Great Plains, mal durch das Monument Valley. Sie steigt ab, kommt nach vorne auf uns zugelaufen, es ist die Titelrollen-Sängerin – und „Bäng!“: Zum Orchestertutti zerfetzt sie den papiernen Film-Zwischenvorhang der Bühne, und im hellen Spotlight steht da real Nina Stemme als Minnie – ein Theatercoup, hinreißend und perfekt einstimmend. Insgesamt erzählt Loy vom bitterernsten Glück der kleinen Leute, die kaum zu dem Leben finden, das sie sich wünschen: Der Männerchor ist ein wahres Sammelsurium solch fatal differenzierter „Glücksucher“. All das gelingt anrührend und eindringlich – und erlöst das Werk von jeglichem „Cowboy-Goldsucher-Kitsch“. Ein Gewinn nicht nur für alle Puccini-Fans und darüber hinaus die beste Deutung der greifbaren Aufzeichnungen.
Zelmira
Giachino Rossini, Zelmira, Chor und Orchester des Teatro Comunale di Bologna, ML: Roberto Abbado, R: Giorgio Corsetti (2010). Decca Blue-Ray 074 3466
Die Aufzeichnung vom Rossini-Festival in Pesaro vereint die derzeit bestmöglichen Solisten: voran Kate Aldrichs Zelmira, die weibliche Schönheit mit Opfermut und hochemotionalen Koloraturen vereint; Juan Diego Flórez ist der schönste General weltweit und singt Spitzentöne wie Laserstrahlen. Der schon 1822 in Neapels Teatro San Carlo fest engagierte(!), 30 Kehlen umfassende Chor wird von Bologna heute in der Rolle kriegsgeschädigter Bevölkerung klangschön vertreten. Regisseur Giorgio Corsetti gelingt der befremdlich erscheinende Inszenierungsansatz, eine Intrigenhandlung im antiken Lesbos in einen modernen Krieg mit rivalisierenden Generälen und opfermutigen Frauen zu verwandeln: Rossinis Musik klingt und wirkt wie die mal entlarvende, mal die humane Utopie von Gerechtigkeit und Glück beschwörende innere Welt der sehr heutig agierenden Figuren – lohnend.
Pelléas et Mélisande
Claude Debussy, Pelléas et Mélisande, Chor des Aalto-Theaters, Essener Philharmoniker, ML: Stefan Soltesz, R: Nikolaus Lehnhoff (2012). Arthaus Blue-Ray 108 086
Maurice Maeterlincks symbolistisches Drama will mehrdeutig sein. Unter den vielfältigen Deutungen trifft Regisseur Nikolaus Lehnhoff szenisch genau Stimmung und Tonfall von Debussys Musik: rätselhaft, geheimnisvoll, märchenhaft, poetisch und erschreckend. Ein leuchtend blauer Vorhang beschwört romantische Ferne, dann wird er durchsichtig in die Bühnentiefe. Raimund Bauer hat ein kühl-klares und dennoch geheimnisvoll schwarz gelacktes Raumgeviert gebaut, fabelhaft verwandelbar: mit der Spitze nach vorne, große Treppen links und rechts, mal geschlossene Rückwände, die sich aber auch wie übergroße Türen öffnen können und die Figuren klein machen, ein Bodengeviert als Brunnen, mal Fensteröffnungen, mal Lichtschlitze – alles immer wieder im Blau verschwindend – als ob alles doch nur ein zart verspielt beginnender, dann emotional überschäumender, prompt grausam und blutig endender Traum wäre. Das verstärken zarte Projektionen auf den durchsichtigen Vorhang, mal feiner Nebel, mal das wie Wellen flutende Haar Mélisandes, in dem sich Pelléas verliert und wir wie er zwei Mélisanden sehen. Dazu klingt der Chor nur von der Ferne herein und einige Chorsänger stehen am Ende wie Statuen auf den Randtreppen – doch es sind Totengerippe. Lehnhoff hat seine perfekt rollentypisch ausgesuchten und rollendeckend agierenden wie singenden Protagonisten klar und genau geführt: Die Handlung wird zum Gleichnis, zur Parabel, die über sich hinausweist, auch auf uns und unsere Gefühle – und dann doch in scheinbar „verzauberte“ Distanz gerückt ist. Dazu passt die musikalische Linie von Stefan Soltesz. All das zusammen ergibt eine magisch fesselnde Aufführung.
Die Walküre
Richard Wagner, Die Walküre, Orchester des Teatro alla Scala Milano, ML: Daniel Barenboim, R+B: Guy Cassiers (2010), Arthaus Blue-Ray 108 091
Die berühmt-berüchtigte „Inaugurazione“ der Mailänder Scala mit Wagners „Walküre“: mit Ausnahme von Tomlinsons detonierendem Hunding eine erstklassige Sängerriege, dazu das Scala-Orchester in Barenboims genüsslich feinzeichnenden und breiten Tempi – verdiente Jubelstürme. Problematisch bleibt der Modernisierungsversuch des Bühnenteams. Schon Tim Steenbergens Kostümmischung aus Nobelrobe und Urzeit-Fantasy provoziert Kopfschütteln. Die Videoprojektionen für die wechselnden Schauplätze des Duos Klerkx/D’Haeseleer sind kein Durchbruch zu einer überzeugend „anderen Ring-Welt“, und die Personenregie Guy Cassiers bleibt konventionell mit einigen schönen Einzelheiten.
Wolf-Dieter Peter
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