Die Welt durch Bewegung
Tanz-Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum · Von Wolf-Dieter Peter
Pina Bauschs „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“ ist zur Redensart avanciert. So ist der Titel der Dresdner Ausstellung „tanz! Wie wir uns und die Welt bewegen“ nicht zu hoch gegriffen. Denn Tanzen ist eine der ursprünglichsten und uralten Äußerungsformen des menschlichen Körpers, den das Deutsche Hygiene-Museum Dresden immer wieder neu untersucht. Schon vor der Eingangstür zu den Ausstellungsräumen kann jeder Besucher ein in der gegenüberliegenden Wand eingelassenes Kameraauge mit Zeitraffereffekt nutzen: Die eigenen Arm-, Fuß- oder Körperbewegungen werden gedehnt projiziert und bekommen etwas fließend „Tänzerisches“. Ist man so eingestimmt, folgen dann aber auch Enttäuschungen.
Ausstellungs-Impressionen. Foto: Oliver Killig
Die Ausstellung will keine chronologische Tanz- oder Ballett-Geschichte bieten, eher die Vielfalt körperlicher Ausdrucks-, Ritual- und „Sprech“-Formen umreißen. In der einführenden Archiv-Abteilung kontrastieren so Kleinplastiken von einer sieges-tanzenden Nike oder Rodins den Künstler umflirrende Muse mit Loïe Fullers Stummfilm „Serpentinentanz“ und Mary Wigmans „Hexentanz“-Film. Auch die Straßentanz-Filmszenen von Fred Astaire, Gene Kelly, John Travolta und Billy Elliot bis zu Jerome Robbins‘ „West Side Story“ oder Musikvideos von Björk, Michael Jackson und Taylor-Johnson spannen einen akzeptablen Bogen. Doch so beeindruckend dann William Forsythe in einer Video-Kabine mit 3D-Wirkung Improvisationen vorführt und Hellerau mit einem Video vertreten ist: Müssten für die Erweiterung des klassischen Tanz-Horizonts zu einer sehr human sprechenden Tanz-Sprache nicht die Persönlichkeiten John Cranko, Mats Ek, Jiri Kylian, John Neumeier und Pina Bausch ebenso gro-ßen oder größeren Platz einnehmen, wenn andererseits David Bowie, Josephine Baker und Madonna vertreten sind, aber neben Nijinsky prägende Tanzgrößen von Fonteyn über Haydée bis Plissetskaia, von Bortoluzzi über Cragun bis Nurejew fehlen? Tourismus-Plakaten mit Volkstanz-Abbildungen einen ganzen Raum einzuräumen wirkt angesichts der kleinformatigen Präsentation von Ethno-Tanzformen zwischen Hopis und Schamanen falsch gewichtet, auch wenn die experimentellen Aufbrüche in den 1920er- und 1930er-Jahren angerissen werden.
Doch von Fanny Elßlers Spitzenschuhen über hübsche andere Devotionalien führt der Weg auch in eine clubartige Sitzlandschaft mit vier Leinwänden: Film-Raritäten aus 70 Jahren zeigen vom Kaschemmen-Schieber über die Tiller-Girls zu Rock-Exzessen, Tanz-Weltmeisterschaften und dem DDR-geförderten Möchtegern-Modetanz „Lipsi“ bis zu Breakdance und weltweit verschiedenen Flashmob-Auftritten, dass Tanz eine universelle Äußerungsform ist – dieser Ausstellungsteil hätte erweitert gehört. So bleibt als Schlussfreude, dass zwei Räume mit elektronischen Bewegungssensoren zur eigenen kreativen Bewegung animieren: Einmal kombinieren dreierlei Tritt-Paneele unterschiedliche Klänge und Rhythmen zu bewegungsgesteuerten „Mini-Kreationen“; am Ende wird ein nachtdunkler Raum durch die eigene Bewegung interaktiv und auch durch das spontane Zusammenspiel mit anderen Besuchern mit Lichtfiguren erhellt und belebt… eine Ahnung von „Welt durch Bewegung“, der es in der Ausstellung oft an überzeugenderer Gewichtung fehlt.
Bis 20. Juli 2014 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Katalog 288 S. mit Abb., 29,95 Euro
Wolf-Dieter Peter
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