Über zwei Monate dauerten die Wehen, und dann hatten wir sie: die neue Bundesregierung – schwarz-rot, wie wohl auch von der Mehrheit des Wahlvolkes gewünscht. Geschäftsgrundlage ist ein 185-seitiger Koalitionsvertrag – Grund genug, sich diesen einmal daraufhin anzusehen, was denn in den für die VdO relevanten Bereichen alles so geplant ist.
Viel Bemerkenswertes findet sich dabei nicht: Trotz der verzweifelten Vorstöße des Deutschen Kulturrates gibt es kein Bundeskulturministerium, sondern weiter „nur“ den BKM im Kanzleramt – allerdings mit Monika Grütters wiederum kompetent besetzt. Das Urheberrecht soll weder abgeschafft noch revolutioniert, sondern – allerdings erstmals unter ausdrücklicher Einbeziehung der Interessen der Verwerter – den Erfordernissen und Herausforderungen des digitalen Zeitalters angepasst werden. Die kulturpolitische Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden soll ausgebaut werden. Im Arbeits- und Sozialrecht sollen ein paar Wahlgeschenke wie Mindestlohn, Rente mit 63 et cetera verteilt werden; ob´s so kommt, bleibt abzuwarten.
Auf Seite 70 aber taucht plötzlich ein altes Gespenst wieder auf: die so genannte „Tarifeinheit“ (s. dazu schon Editorials in O&T 1/2008 und 1/2012), die, so wörtlich, „den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen (...) lenken“ soll, und zwar „nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip“. Sprich: Ungeachtet der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit soll das seit jeher vom DGB praktizierte Industriegewerkschaftsprinzip („ein Betrieb – eine Gewerkschaft“) gesetzlich verankert werden – eine existenzielle Bedrohung für Berufsgewerkschaften wie die VdO, die zwar in ihren jeweiligen Berufsgruppen über einen sehr guten Organisationsgrad verfügen, gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten des jeweiligen Betriebes naturgemäß aber oft „nur“ Minderheiten vertreten.
Erinnern wir uns: Im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich den Grundsatz der so genannten Tarifeinheit für nicht im geltenden (Verfassungs-)Recht verankert erklärt (s. O&T 4/2010). Schon damals ergriff DGB und BDA eine gemeinsame Hysterie, und es wurde überstürzt nach dem Gesetzgeber gerufen. Nachdem aber die ver.di aufgrund inneren Drucks aus dem Kanon ausschied, wurde es still – und siehe da, die Republik ging nicht unter. Deutschland blieb vielmehr ein Hort tarifpolitischer und -rechtlicher Stabilität, Transparenz und Verlässlichkeit. Ungeachtet dessen fordert nun prompt der gerade neugewählte Präsident der BDA, Ingo Kramer, lautstark eine zügige Umsetzung des Gesetzesvorhabens.
Und damit die Berufsgewerkschaften, die derzeit über keine eigene Spitzenorganisation verfügen, gar nicht erst zu Wort kommen, soll das Gesetzesvorhaben, so der Koalitionsvertrag, „unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber“ vorangetrieben werden, also genau derer, denen die Berufsgewerkschaften mit ihrem hohen Organisationsgrad und ihrer hohen Effizienz ein Dorn im machtpolitischen Auge sind.
Klar: Lokführer, Ärzte und Piloten haben ein erhebliches Druckpotential, mit dem sie ihren spezifischen Interessen Geltung verschaffen können, und das mag durchaus das gemeinsame Streben von Arbeitgebern und Großgewerkschaften nach möglichst einheitlichen (und damit indifferenten) Regelungen stören. Aber gerade dieses Spiel der Kräfte ist es ja, das durch die Tarifautonomie geschützt werden soll. Und darüber, dass dessen Beschneidung eine Schwächung der tarifpolitischen Positionen der Arbeitnehmerseite insgesamt mit sich bringen kann, sollten doch der DGB und seine Einzelgewerkschaften jenseits ihres nach demokratischen Prinzipien ohnehin bedenklichen Alleinvertretungsanspruchs einmal nachdenken. Selbstredend aber müssen auch die Berufsgewerkschaften da, wo sie über außergewöhnliche Machtpositionen verfügen, diese mit Augenmaß einsetzen, um ihre soziale Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen.
Beispielhaft ein Blick in die Geschichte: Mehr als 50 Jahre lang hat die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, der ja auch die VdO angeschlossen war, teilweise in heftiger Konkurrenz zu den DGB-Gewerkschaften die arbeits- und sozialpolitischen Interessen der von ihr vertretenen Berufsgruppen in sehr geordneten Bahnen mit beachtlichem Erfolg sachgerecht und konstruktiv vertreten, was auch gerade von der Arbeitgeberseite immer hoch geschätzt wurde. Schade, dass das Gedächtnis dort offenbar so kurz ist.
Ein Lichtblick: Der Marburger Bund als eine der mächtigsten Berufsgewerkschaften hat die Initiative ergriffen und die Spitzen aller Berufsgewerkschaften zu einem Treffen Ende Januar in Berlin aufgerufen. Die VdO wird sich an diesem Vorstoß aktiv beteiligen und, wenn nötig, allein oder zusammen mit anderen ihre Tarifautonomie bis vor das Bundesverfassungsgericht verteidigen – im Interesse der Künstler und der Kunst an den deutschen Theatern.
Tobias Könemann
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