Spannende Korrespondenzen
Ballettabend „PAX 2013“ in Leipzig · Von Boris Gruhl
Der Choreograf Uwe Scholz wurde 1958 geboren. Er starb, schwer erkrankt, im Alter von 45 Jahren. Ausgebildet von 1973 bis 1979 in Stuttgart von John Cranko, gefördert von Marcia Haydée, wurde er bereits 1981 zum Choreografen des Stuttgarter Balletts berufen. 1985 wurde er mit 26 Jahren als Chef des Balletts in Zürich der bislang jüngste Leiter einer Compagnie von europäischer Bedeutung.
„Blühende Landschaft“ mit der Leipziger Tanzcompagnie. Foto: Ida Zenna
Von 1991 bis zu seinem Tod war Uwe Scholz Chefchoreograf in Leipzig. Er schuf Werke, die das Leipziger Ballett weit über die Grenzen der Stadt bekannt machten. Intendant war zu dieser Zeit der 1943 in Dresden geborene Komponist Udo Zimmermann. Die erste Kreation für Leipzig von Uwe Scholz im Jahre 1992 war „Pax questuosa“ – „Klagender Friede“ zur Musik der gleichnamigen chorsinfonischen Komposition von Zimmermann aus dem Jahre 1982, damals im Auftrag der Berliner Philharmoniker zu deren 100. Geburtstag komponiert und von diesem Orchester auch uraufgeführt.
Derzeit ist Mario Schröder, geboren 1965, Ballettdirektor und Chefchoreograf in Leipzig. Ausgebildet an der Dresdner Palucca Schule, noch bei der Namensgeberin selbst, geprägt durch Patricio Bunster, war er erster Solist beim Leipziger Ballett, hat in vielen Kreationen von Scholz getanzt, unter anderem auch in „Pax questuosa“. Obwohl selbst stärker einer weniger neoklassisch geprägten Ästhetik verpflichtet als Uwe Scholz, ist er dessen Werk zutiefst verbunden und kommt in großer Verantwortlichkeit der Verpflichtung nach, Scholz‘ Werke immer wieder ins Repertoire zu nehmen. So zuletzt eine Premiere, als Rekonstruktion: „Pax questuosa“, eine choreografische Uraufführung zu Musik von Johann Sebastian Bach, sowie zu einem kammermusikalischen Werk von Udo Zimmermann, „Lieder von einer Insel“, komponiert im Jahr 2009. Mario Schröder nennt den Abend programmatisch „PAX 2013“ und stellt seine Kreation „Blühende Landschaft“ dem Werk von Uwe Scholz und Udo Zimmermann voran.
Zimmermanns „Pax questuosa“ von 1982 ist ein Schrei von apokalyptischer Dimension. Die Choreografie dazu beginnt mit einem Bild: „Der Schrei“ von Edward Munch. Dazu ein Streichersatz von großer Intensität. Man muss hinhören. Man muss hinsehen. Dann folgt ein höchst expressives Solo, der Tänzer Oliver Preiß verlässt den neoklassischen Kanon, jetzt ein getanzter Schrei.
Zu Else Lasker-Schülers Gedicht „Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen“ tanzt ein Trio, zwei Tänzer, eine Tänzerin. Eine visionäre Szene voller Zärtlichkeit und Harmonie wird jäh gebrochen durch brutale Gewalt. Das Werk endet mit einem Klangbild, der Chor – bisher auf einer Brücke hoch über dem Tanz – fährt herunter, die gestürzten Tänzer stehen auf, mischen sich unter die Sänger, nichts ist erledigt, die Klage bleibt. „Dona nobis pacem.“
Zuvor Mario Schröders choreografische Uraufführung „Blühende Landschaft“. Da mag man an Helmut Kohl und dessen Visionen denken. Bewegte Bilder der Hoffnung spielen eine Rolle, Sequenzen aus der Geschichte ebenfalls, vergebliche Hoffnungen ebenso wie die Narben, die jede Veränderung mit sich bringt. Zimmermanns Komposition ist ein klagender Gesang ohne Worte mit berührendem Solo für Violoncello. Schröder hat dazu eine sehr persönliche Choreografie geschaffen. Er nimmt Zitate von Uwe Scholz auf. Das sind Momente der Sehnsucht, das sind die Inseln, wie sie die Musik Zimmermanns besingt und wie sie durch die Musik von Johann Sebastian Bach als ein Kontinuum der Hoffnungen historische Grundierung bekommen.
Für das Leipziger Ballett und Mario Schröder läuft derzeit die dritte Saison. Es heißt ja, dass aller guten Dinge drei sind; Schröder hat die ersten Jahre genutzt, die Compagnie mit etlichen neuen Mitgliedern ist gut aufgestellt, sie ist mit unterschiedlichen Stilen präsent. Hier wird gut getanzt, die Tänzerinnen und Tänzer bringen Emotionen und unbedingte Strenge in den neoklassischen Passagen zusammen. So fällt der Abend letztlich, bei aller Unterschiedlichkeit, nicht in die Willkürlichkeit zweier Teile auseinander. Das Premierenpublikum feierte Mario Schröders Compagnie, die Sänger, den Chor und das Gewandhausorchester unter Anthony Bramall, besonders den von körperlichem Gebrechen stark gezeichneten Komponisten Udo Zimmermann, der im Oktober letzten Jahres seinen 70. Geburtstag feierte.
Boris Gruhl |