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Baue auf die Frauen nicht

Bernhard Sekles „Schahrazade“ in Halle · Von Joachim Lange

Jede Opern-Ausgrabung ist per se ein Verdienst. So auch die in Halle, wo Intendant Axel Köhler „Schahrazade“ von Bernhard Sekles (1872–1934) auf die Bühne gebracht hat. Wenn es wie hier um eine Oper geht, die aus den ersten drei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts stammt, liegt der Verdacht nahe, dass die Nazis beim Verschwinden der Werke ihre Finger im Spiel hatten. Der Rassenwahn hat auch im Musiktheater zu einer Verarmung geführt, von der es sich bis heute nicht erholt hat. Im Falle des verfemten Jaromir Weinberger (1896-1967) hatte Köhler mit seiner Inszenierung von „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ an der Semperoper im März vergangenen Jahres Furore gemacht. Als Intendant und Regisseur hat er jetzt eine der drei Opern des bislang nur Spezialisten noch bekannten Bernhard Sekles dem Vergessen entrissen.

Gerd Vogel als Schahryar, Anke Berndt als Schahrazade. Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH/Falk Wenzel

Gerd Vogel als Schahryar, Anke Berndt als Schahrazade. Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH/Falk Wenzel

Zu den Schülern des Frankfurter Komponisten und Musikpädagogen gehörten immerhin Paul Hindemith, Theodor W. Adorno oder Ottmar Gerster, zu seinen Verdiensten die Gründung der europaweit ersten Jazz-Klasse am Hoch’schen Konservatorium. Die Einrichtung leitete er, bis die Nazis ihn 1933 aus rassischen Gründen entließen und mit einem Aufführungsverbot belegten. Die Oper Halle gab sich Mühe mit ihrem Projekt Ausgrabung. Es gab ein wissenschaftliches Symposium und Kammermusik, ein großes Sinfoniekonzert wird folgen. Mit einem Liederabend machte Romelia Lichtenstein mit dem Liederzyklus „Aus dem Schi-King“ und einigen Liebesliedern nach slawischen und romantischen Dichtungen neugierig auf einen Komponisten, dessen Lieder kaum hinter denen von Richard Strauss zurückstehen.

Auch bei dem 1917 unter Wilhelm Furtwängler in Mannheim uraufgeführten Opern-Dreiakter „Schahrazade“ muss man zuweilen an Richard Strauss denken. Zu sehen gibt es ein Opernmärchen, dessen Personal Henrike Bromber orientalisch kostümiert hat und für das Arne Walther ein Laubsäge-Serail auf die Drehbühne gesetzt hat. Wenn Nils Giesecke als Obereunuch über die Bühne zu wackeln hat, mit den Tönen ringt und sich bemüht, wie der kleine Muck auszusehen, streift das ebenso die unfreiwillige Parodie wie das Bemühen der Damen in ihren hübsch und glitzernd bestickten Gewändern so eine Art orientalischen Tanz aufzuführen. Zumal Sekles immer dann, wenn er nicht in seinem eigenen Parlandostil den Text trägt oder umspielt, folkloristische Exotik zu evozieren versucht, wie sie Hollywood später zur Blüte brachte.

Märchen aus Tausendundeiner Nacht hin oder her: Was als Libretto nach Gerdt von Bassewitz zu vernehmen ist, hat es in sich. Nicht nur, dass die Erwähnung Allahs mit über dreißig Mal in den gut zwei Stunden rekordverdächtig ist und heute deutlich aggressiver klingt als in fernen Märchenzeiten. Vor allem das kolportierte Frauenbild ist gelinde gesagt haarsträubend. „Baue auf Frauen nicht, traue ihrem Herzen nicht, denn ihre Freuden und Leiden hangen an ihrer Lust“, kommt gleich mehrfach aus dem Off.

Nun ist der Kalif Schahryar musikalisch mit der Attitüde des erhabenen Herrschers ausgestattet. Gerd Vogel stellt sich mit beachtlichen vokalen und gestalterischen Möglichkeiten voll in den Dienst dieser Rolle und liefert mit Abstand die überzeugendste Leistung des Abends. Doch entpuppt sich dieser Typ schon bei flüchtigem Hinschauen als Psychopath. Weil er einmal von einer Frau betrogen wurde, holt er sich seit drei Jahren jede Nacht eine Jungfrau ins Bett und lässt sie am Morgen danach köpfen. Und wundert sich, dass sich sein Volk das gefallen lässt. Dafür verachtet er es. Immerhin muckt der junge Omar (Ralph Ertel) auf, als die von ihm geliebte Saad (Theresa Dittmar) an der Reihe ist; er bringt aber nur sie und sich selbst um.

Der jahrelange Helfershelfer des Kalifen Said-Fares (mit bewährter Standfestigkeit: Ki-Hyun Park) kriegt erst Widerstandsgelüste, als seine Tochter Schahrazade den vorgesehenen Bräutigam abblitzen lässt und ihre Liebe zum Kalifen gesteht. Es kommt aber nicht zum geplanten Tyrannenmord. Am Ende verliert dieser Vater nach seinem Sohn Omar auch noch seine beiden Töchter an den Kalifen. Wenigstens bleiben die beiden nach dessen wundersamer Wandlung vom Frauen-Mörder zum Frauen-Versteher am Leben. Und werden künftig Märchen erzählen. Die tausend geköpften Jungfrauen werden einfach als Kollateralschaden beim Happyend übergangen. Und Said-Fares, der schon den Dolch gezückt hatte, um dem Grauen durch überfälligen Tyrannenmord ein Ende zu bereiten, verschwindet wieder…

Dass die Titelheldin Schahrazade sich in diesen Typen aus der Ferne verliebt und sich ihm freiwillig opfern will, weil sie in seiner sehr speziellen blutrünstigen Verbindung von Sex und Mord die übergroße Liebe zu den Frauen und seine Einsamkeit erkannt haben will, macht sie ebenfalls zur Anwärterin für einen Platz in der Psychiatrie. Bei Anke Berndt ist Schahrazade mit metallisch enger Stimme eine attraktive Erscheinung.

Diese Ausgrabung ist natürlich auch im Graben Chefsache. So versteht sich der neue GMD Josep Caballé-Domenech am Pult der Staatskapelle mit Hingabe als Anwalt einer Ausgrabung, die gleichwohl ihre musikalischen Reize hat. Ein eigener Parlandostil wird zelebriert, sich mitunter an cineastischer Atmosphäre versucht und auf das Überwältigungspotenzial der puren Opulenz verwiesen, aber dann doch darauf verzichtet. Im Ganzen jedoch, so wie in Halle gehört und gesehen, dürfte Sekles‘ Schahrazade wohl eine Oper im Schatten bleiben. Diese mit reichlichem Premierenbeifall bedachte Produktion ist gleichwohl ein interessanter Blick über die Grenzen des üblichen Repertoires.

Joachim Lange

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