Aschenputtel im Status-Stress
„La Cenerentola“ im Weikersheimer Schlosshof · Von
Andreas Kolb
Bei Rossini gewinne immer die „Maschine“, so der Festspieldirigent
Alessandro de Marchi vor der Premiere der „Cenerentola“-Inszenierung
im Rahmen der Jungen Oper Schloss Weikersheim 2007. Er meinte damit
wohl die für Rossini typische Mischung aus mechanischen Elementen
der Handlung, den Rollenklischees der Protagonisten, den „Schreibmaschinen“ im
Orchestergraben und dem kunstvoll organisierten Chaos der Finali.
Nach Abschluss dieses Weikersheimer Opernsommers Anfang August
kann man festhalten, bei diesem Rossini-Projekt gewann nicht die
Maschine, es gewannen in erster Linie die Protagonisten: die drei
bemerkenswerten Sängerbesetzungen genauso wie das lustvoll
aufspielende Bundesjugendorchester, nicht zu vergessen der von
Regisseur Dominik Wilgenbus originell in Szene gesetzte Männerchor.
Seit 1965 ist das Renaissanceschloss Weikersheim für die
sommerlichen Opernaufführungen der Jeunesses Musicales Deutschland
bekannt. In dieser Zeit hat sich der Internationale Opernkurs Schloss
Weikersheim zu einem der renommiertesten Förderprojekte des
Opernnachwuchses auf europäischer Ebene entwickelt. Dies zeigte
sich auch diesen Sommer wieder einmal an der herausragenden Qualität
der Solisten, die seit Monaten die anspruchsvollen Partien von
Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“ einstudiert hatten.
Begleitet vom Bundesjugendorchester und unter der Leitung von Alessandro
de Marchi absolvierten drei Besetzungen insgesamt neun Aufführungen
in der Freiluftbühne im Schlosshof.
Alessandro de Marchi gelang es, „La Cenerentola“ so
leicht und federnd wie eine Barockoper klingen zu lassen, ohne
das überschäumende Temperament der jungen Musiker zu
sehr zu strangulieren. Und wer mit Rossini etwa gar Kitsch in Verbindung
bringt, den belehrte die Inszenierung von Dominik Wilgenbus eines
Besseren. Aschenputtel lehnt sich auf gegen ihr Schicksal als Leibeigene
der eigenen Familie. Ihre unterwürfige Putzwütigkeit
und ihre kostbaren Koloraturen sind das Kapital, das sie verzweifelt,
aber mit perfektem Gespür für den richtigen Adressaten
ins Spiel bringt. Bedenken, dass sich im Vergleich zu früheren durchaus experimentellen
Musiktheaterwerken der Jeunesses Musicales in Weikersheim nur hinlänglich
bekanntes Stadttheaterrepertoire breit macht, waren mit dieser
lebendigen, zeitgenössischen und vor spielerischen Einfällen
strotzenden Inszenierung schnell zerstreut: Regietheater im besten
Sinne transportierte die altbacken-sentimentale Aschenputtel-Geschichte
in die Gegenwart. Aschenputtel 2007 ist ständig im Status-Stress,
und auch die Kopftuchdebatte wird hier aus mitteleuropäischer
Sicht neu beleuchtet: das Kopftuch als das Attribut der Verlierer
im Kampf um den sozialen Aufstieg. Nachdem dieser gelungen ist,
gibt Cenerentola ihres an ihre Schwestern und den Vater ab und
damit auch die Erniedrigung. Zumindest vorübergehend, denn
indem sie ihnen das Kopftuch wieder abstreift, beweist sie die
edle Größe, die man im Theater als moralischer Anstalt
auch erwartet.
Dragana Stankovic überzeugte als Cenerentola in jeder Hinsicht:
vor allem aber mit einem expressiven Mezzospran, der dennoch keine
Nuance feinster Verzierungskunst ungehört ließ. Sie
mag als Beispiel dafür gelten, wie hoch das Niveau der jungen
Sänger heute geworden ist – dies gilt ausnahmslos für
alle Kollegen, die an diesem Abschlussabend mit ihr auf der Bühne
standen. Insbesondere Rita Matas Alves und Hanna Larissa Naujoks
als Clorinda und Tisbe überzeugten durch ihre Stimmen und
trieben mit schauspielerischem Talent die Handlung voran. Sie spielten
die Babydolls auf Männerjagd mit viel Witz und Sex-Appeal – Ingrid
Steeger und Marilyn Monroe hätten es nicht besser gemacht
(nur dabei nicht so perfekt Belcanto gesungen).
Originell choreografierte Ensembles – Götz Hellriegel
hat mit seinen jungen Musikern hier Großartiges geleistet – und
der Einfallsreichtum von Wilgenbus, der von der Schlosskulisse
bis hin zum Pferdegetrappel und instrumental erzeugtem Wiehern
aus dem Orchester oder einer Blume als Taktstock für de Marchi
wirklich alles in seine Inszenierung mit einbezog, sorgten für
amüsante Unterhaltung mit Tiefgang.
Die Jeunesses Musicales hatte die bisher geübte Praxis verworfen,
den aus ganz Europa anreisenden jungen Solisten im Stile professioneller
Opernhäuser kurze Vorsingen abzunehmen. Dominik Wilgenbus
und Götz Hellriegel machten stattdessen seit November 2006
in mehreren Workshopterminen die Sänger fürs Vorsingen
fit. Das Positive: Auch für die nicht Angenommenen hatte sich
die Anfahrt gelohnt, und das abschließende Vorsingen konnte
auf einem sehr hohen Niveau durchgeführt werden. Einzelne
Partien wurden sogar dreifach besetzt. Gerade daraus entstand aber
auch ein Nachteil: Welche Besetzung sollte denn nun die Premiere
singen, wer war A-, B- oder C-Besetzung? Da entsteht unnötiger
Stress für die Solisten, von denen selbstverständlich
keiner als B- oder gar C-Sänger abgestempelt werden will.
Auch wenn hier noch Verbesserungsbedarf besteht: Dirigent Alessandro
de Marchi hatte die komplizierte „Maschine“ Rossini-Oper
immer fest im Griff und ließ seinen jungen Protagonisten
dennoch den Freiraum, der nötig ist, damit große Kunst
entsteht. Dass er die jungen Musiker genauso forderte wie sonst
seine Profis, war nicht zu deren Schaden. Die Junge Oper Weikersheim
steht schließlich für Spitzenförderung. Wer hier
besteht, der bleibt kein Aschenputtel des Musikbetriebs.
Andreas Kolb
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