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Vom Irak-Krieg zu Rotkäppchen

Musiktheater bei der neunten A·Devantgarde in München · Von Marco Frei

Repeat the past! Repeat! Repeat the past!“ Da stand sie nun mit ihrem Kopftuch und schrie sich die Seele aus dem Leib. Zuvor war sie aus einem Koffer gekrochen. Das Kopftuch erklärte auch dem letzten Besucher, wo man sich gerade zu befinden hatte – nämlich irgendwo im Nahen Osten. Noch konkreter war der Titel des Musiktheaters, das uraufgeführt wurde: „Baghdad Monologue“. Der Argentinier Alejandro Viñao hat es komponiert, das Werk sieht Sopran (Daniela Christine Rössl) und Computer vor. Bei der 9. A·Devantgarde, die vom 12. bis 28. Juni in München veranstaltet wurde, kam das Werk gemeinsam mit den Kurz- und Kammeropern „Das Gesetz“ von Sidney Corbett sowie „Kreatur III (Diktator)“ von Pèter Köszeghy zur Weltpremiere.

 
Susanne Drexl in „Das Gesetz“ von Sidney Corbett. Foto: Regine Heiland
 

Susanne Drexl in „Das Gesetz“ von Sidney Corbett. Foto: Regine Heiland

 

Thema dieser Trilogie, für die mit der Bayerischen Theaterakademie und der Hochschule für Musik und Theater München kooperiert wurde, war Aufstieg und Fall autoritärer Macht – eigentlich ein wichtiges und spannendes Thema. Doch: „Repeat the Past!“, das war Viñaos zentrale Botschaft. Sicherlich war das gut gemeint, es nutzte sich allerdings schnell ab. Denn das Thema ist ein weites Feld, höchste Sensibilität für Geschichte und Politik ist gefordert. In viele Fallen kann man tappen, über Viñao schnappte die Falle zu. Das Tragische dabei: Eigentlich hat der 1951 geborene Viñao, der in Buenos Aires beim russischen Komponisten Jacobo Ficher und am Royal College of Music in London studiert hat, ja durchaus Recht.

In der Tat ließe sich über Sinn und Unsinn der Irak-Invasion des Noch-US-Präsidenten George W. Bush und über die heutige katastrophale Sicherheitslage im Land des gestürzten und gehängten Saddam Hussein streiten. Und in der Tat ließen sich Parallelen zu ähnlichen Vorgängen in der Geschichte ziehen: Dass sich nämlich die Menschengeschichte stets wiederholt, ist eine Binsenweisheit. Indessen bergen Vergleiche immer ein Risiko, schnell werden Äpfel mit Birnen oder Möhren mit Kohl verwechselt. So erging es leider auch Viñao, als am Ende die berühmt-berüchtigte Frage des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels aus den Lautsprechern dröhnte: „Wollt ihr den totalen Krieg?“

Hier wurde eine Grenze überschritten. Wer das infernalische Treiben Hitlers, das nahezu ganz Europa in Schutt und Asche legte und einen Weltkrieg von bis dahin ungeahntem grausamen Ausmaß anstachelte, mit dem Gebaren von Georg W. Bush vergleicht, hat nichts begriffen und sollte besser schweigen. So blieb Viñaos Geschichtstheater bloße Polemik, was allerdings zu der wenig differenziert ausgestalteten Geräusch- und Klangcollage passte: Auf stille Momente der Reflexion wartete man vergeblich – hier wurde nicht reflektiert, sondern gebrüllt. Das Geheimnis von autoritärer Macht und ihren Bedingungen lässt sich solchermaßen nicht ergründen. Nicht besser erging es letztlich Corbetts „Das Gesetz“.

Denn während sich bei Viñao Polemik Luft machte, beließ es Corbett in seiner Kurzoper bei allzu abstrakten Klügeleien: Die „Fremde“ (Mezzosopran Susanne Drexl) ist und bleibt ausgeschlossen, der „Aufstrebende“ gibt sich auf, die „Königin“ (Sopran Sabine Lahm) fühlt nur innere Leere. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt fehlte gänzlich, obwohl dieses Thema gerade in Zeiten des total überwachten Bürgers und der allgemeinen Infragestellung von Menschen- und Bürgerrechten von großer Bedeutung wäre. Dafür gelang jedoch dem 1960 geborenen Ligeti-Schüler eine vielschichtige Erforschung von Klang und Spielgeräuschen, unter Dirigent Ulrich Nicolai wurde diese sensibel umgesetzt.

Eine klanglich ähnlich vielfältige Musik schuf ebenso der 1971 geborene Ungar Köszeghy, wobei fraglich blieb, ob ein reines Spaßtheater dem brisanten Thema gerecht wird: Gerade von ihm, der noch den Kommunismus erlebt hat, hätte man zumindest mehr Abgründigkeit im Lachen erwartet. So war es von den Musiktheaterprojekten, die bei der 9. A·Devantgarde präsentiert wurden, schließlich noch die Kinderoper „Rotkäppchen, lauf!“ von Jan Müller-Wieland, Charlotte Seither, Markus Schmitt und Claus Kühnl, die musikalisch Akzente setzte. Allerdings stellte sich mitunter die Frage, ob diese Kooperation mit dem Theater Osnabrück kindgerecht ist. Wenn etwa Menschenbäume nach Rotkäppchen greifen und der Albtraum nicht aufgelöst wird, macht sich schnell Angst breit. Dafür brillierten aber das „Brot“ (Eva Schneidereit) und der „Wein“ (Marco Vassalli) in urkomischen Dialogen – großes Gelächter und Bravorufe.

Marco Frei

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