General-Schikane in Wild-Südwest
Eine arbeitsrechtliche Groteske
Die Sowjets vermuteten hinter der deutschen Amtsbezeichnung „Generalintendant“
nicht ganz zu Unrecht eine hohe militärische Charge. Wie viele
Divisionen er denn unter sich gehabt habe, wurde Gustaf Gründgens
im Juni 1945 von den ihn verhörenden NKWD-Offizieren gefragt.
Die neun Monate Haft im berüchtigten Lager Jamlitz hatte er
nicht zuletzt seinem Titel zu verdanken. Woher sollten die Russen
auch wissen, dass in Deutschland die Leiter mehrerer Bühnen
oder einer Bühne mit mehreren Sparten die gleiche Amtsbezeichnung
führten wie der oberste Beamte der Heeresverwaltung?
Anders als der Heeres-Generalintendant hat der Theater-Generalintendant
das Ende des Großdeutschen Reichs überlebt. Da der Titel
von seiner etymologischen Herkunft nichts anderes bedeutet als „allgemeiner
Aufseher“, gab es keinen Anlass, ihn zu entmilitarisieren.
Und so ein Titel putzt doch auch ganz ungemein. Die ebenfalls zum
„General“ aufsteigende Hierarchie der Orchesterleiter
verbindet sogar, an ihre Verwurzelung in der Hof- und Militärkapelle
erinnernd, Tradition und Parodie auf das Amüsanteste. Wen juckt
es nicht, vor einem veritablen GMD die Hacken zusammenzuschlagen?
Doch wehe wenn, wie es bei Goethe heißt, der Titel den Menschen
erst vertraulich macht, wenn die Titel, wie die Kleider bei Gottfried
Keller erst die Leute machen. Da kann unversehens im General der
Generalissimus erwachen und er deucht sich, seiner Künstlertruppe
oberster Feldherr mit uneingeschränkter Befehlsgewalt zu sein.
Das Einsetzen eines Standgerichts mit der Folge sofortiger Erschießung
steht ihm bei Insubordination eines Künstlers zwar angesichts
demokratischer Rechtsstaatslage nicht mehr zur Verfügung, aber
im Arsenal seiner disziplinarischen und juristischen Waffen findet
sich so manch eine, die zumindest für die bürgerliche
und berufliche Existenz des Delinquenten tödlich sein kann,
auch ohne Standrecht und Peloton.
Die fristlose Entlassung alias außerordentliche Kündigung
mit sofortiger Einstellung der Gagenzahlung ist so eine Waffe, die
der General im konkreten Fall lustvoll auch noch mit einem Hausverbot
schärft. Innere Satisfaktion wird ihm bei der Vorstellung zuteil,
dass sein Opfer am nächsten Ersten die Miete nicht mehr zahlen
kann. „Habt acht!“ lässt er, im ganzen Theater
vernehmbar, den Generalstabstrompeter blasen. Und er weidet sich
an der Vorstellung, dass seine ganze Künstlertruppe erschrocken
murmelt: „Was ist er doch für ein großer General!“
Doch schon Preußens großer Friedrich musste erfahren,
dass das Recht – zumindest gelegentlich – selbst königlicher
Befehlsgewalt und Willkür Grenzen setzt. Wie weiland der Müller
von Sanssouci vor dem Kammergericht, bekam auch des Generals Opfer
vor dem Bühnenschiedsgericht sein Recht. Es erkannte, dass
das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche
Kündigung beendet wurde, dass das Hausverbot zurückzunehmen
und der Künstler weiterzubeschäftigen sei.
Anders als Preußens großer Friedrich zeigte der große
General dessen Größe nicht. Nur insoweit ähnelt
er ihm, als er eine Niederlage sofort zu kaschieren, gar umzumünzen
versucht. Seine Gage musste er dem Künstler angesichts des
fortbestehenden Arbeitsverhältnisses jetzt zwar zahlen, doch
das Hausverbot erhielt er, dem Urteil zuwider, aufrecht. Da aber
Hausverbot und Weiterbeschäftigungsanspruch in unüberbrückbarem
Widerspruch stehen – schließlich kann der Künstler
nicht allein vor dem Theaterportal Gesänge anstimmen –
verfügte der General kurzerhand eine bis zum Beginn der Theaterferien
befristete „Freistellung“. Das bedeutet: Er bezahlt
seinen Künstler zwar, doch der muss dafür nichts leisten.
Das verletzt einerseits das Ansehen des Künstlers, verrät
andererseits, wie wohlhabend das Theater offenbar ist.
Auch seine Absicht, den Künstler seines Arbeitsplatzes verlustig
gehen zu machen, gab der General nicht auf. Einem allein schon an
formalen Rechtsfehlern gescheiterten Versuch, eine Nichtverlängerung
des Arbeitsverhältnisses auszusprechen, ließ er bald
darauf eine weitere Nichtverlängerungsmitteilung folgen, die
er mit der Ankündigung verknüpfte, den Künstler nun
gar bis zum nächsten Spielzeitende am 7. September 2007 von
jeder Tätigkeit freizustellen. Mit dieser Freistellung sei
auch ein fortdauerndes Hausverbot verbunden, da wegen der Freistellung
die Anwesenheit des Künstlers im Hause ohnehin nicht erforderlich
sei. Dieser Begründung ist, eine gewisse Logik nicht abzusprechen.
„Schafft mir den Kerl aus den Augen!“, befiehlt der
General. Ein böser Künstler hat auch keinen Anspruch auf
Teilnahme an Personalversammlungen oder am Kantinenessen. Basta!
Natürlich wird der Künstler jetzt wieder die Gerichte
anrufen. Respektvolle Scheu vor dem Eingriff in ein neu anlaufendes
Verfahren mittels weiterer höhnischer Kommentierung lässt
es geboten erscheinen, diese, wenn auch widerstrebend, zu unterlassen.
Wenn der Leser jetzt fragen sollte, was denn um aller Heiligen,
oder, um es landsmannschaftlich auszudrücken, um aller Zwetschgenkerne
willen der Künstler sich hat zu Schulden kommen lassen, womöglich
dem General persönlich angetan hat, um solch einen Taifun im
Schnapsgläschen auszulösen, dann fällt es schwer,
eine objektiv nachvollziehbare Antwort zu geben.
Künstlerisches Versagen ist es nicht, das gab der General
höchstselbst zu Protokoll. Welche Gründe aber sonst könnten
den Konflikt ausgelöst haben?
Aktenstudium fördert zu Tage, dass es nur um solche sich
handeln kann, die aus des Künstlers langjähriger Tätigkeit
in der betrieblichen Mitbestimmung herrühren: Sechzehn Jahre
als Vorstandsmitglied, davon zwölf – also sechsmal für
je zwei Jahre wiedergewählt – als Obmann vertrat er erfolgreich
die Interessen der Mitglieder des Opernchores. Und da hat es offenbar
bei den gelegentlich unvermeidbaren Auseinandersetzungen mit dem
Generalintendanten kräftig gescheppert. Wüste Briefwechsel
und Protokolle sowie eine durch bühnenschiedsgerichtlichen
Vergleich wieder zurückgenommene Abmahnung, sogar uralte Blindgänger
ohne Zündung säumen ein verbales Schlachtfeld, auf dem
die eine Seite wohl Contenance und Nerven verloren hat, der anderen
das Maul ausgerutscht ist. Vielleicht war es auch andersherum, und
wenn schon…
Jetzt ist der Künstler schon seit einiger Zeit nicht mehr
Obmann, sondern nur noch Künstler, der General aber noch immer
Generalissimus, der im Nachhinein die Rache des kleinen Mannes,
pardon: des großen Generals exekutiert, dem jedes Gefühl
für Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen zu
sein scheint.
In der endlich zu schreibenden kritischen Abhandlung über
bestimmte verkorkste Sozialstrukturen und verstaubte Hierarchien
des deutschen (Musik-)Theaters muss die Anmerkung zu finden sein,
dass es aus symbolischen Gründen gut gewesen wäre, den
Theater-Generalintendanten 1945 den Weg des Heeres-Generalintendanten
gehen zu lassen, nämlich den Weg in den Orkus.
(Die Namen des Künstlers und des Generalintendanten sind
der Redaktion bekannt, wurden aber, weil sie nichts zur Sache tun,
weggelassen.) stm
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