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Ärgernis oder Notwendigkeit
Zwei neue Bücher fragen nach dem Beruf Opernregie ·
Von Frank Kämpfer
Manuel Brug, Opernregisseure heute. Henschel Verlag, Berlin.
ISBN 3-89487-533-X. 320 Seiten. 24,90 €
Warum Oper? Gespräche mit Opernregisseuren. Herausgegeben
von Barbara Beyer. Alexander Verlag, Berlin 2005. ISBN 3-89581-145-9.
278 Seiten. 20,70 €
„Ist es das,“ fragt Manuel Brug im eigenen Vorwort,
„was wir von einer Inszenierung erwarten, dass sie uns, auch
auf Kosten der Werktreue, zum Nachdenken“ anregt? Die Rede
ist von einem im deutschen Feuilleton unerschöpflich diskutierten
Phänomen: der Oper und ihren heute sensationsträchtigsten
Vermittlern, den Regisseuren. Brug versteht Musiktheaterregie in
erster Linie als deutsche Erscheinung; ihr Ge- oder Misslingen dominiere
heute die öffentliche Meinung zu einer Opernvorstellung, ja
zum Live-Erlebnis Oper schlechthin. 199 Namen versammelt das Register
seiner Publikation „Opernregisseure heute“, in der Brug
einen Überblick gibt, wer wann und wie im letzten halben Jahrhundert
überregional bedeutsam Oper an deutschen Bühnen inszeniert
hat. Historisch korrekt setzt der Autor Wieland Wagner, Oscar Fritz
Schuh, Günther Rennert und Walter Felsenstein an den Beginn.
Weshalb ihnen die Nachkriegszeit besondere Spielräume bot,
vor allem die szenische Komponente von Opernästhetik neu zu
entfalten, ist allerdings nur skizziert. Auch die Herleitung des
Regie-Berufs vor und nach 1900 hat wenig Tiefgang, zumal Brug sie
überraschend mit einer Polemik gegen die Opernmoderne ab den
20er-Jahren verknüpft.
Theatersoziologisches aber ist nicht der Hauptgegenstand. Vielmehr
geht es um den Überblick über Personen und ästhetische
Hausnummern, um Inszenierungen und um deren Bewertung. Hierzu wird,
und das ist in der Tat ein Gewinn, lexikonartig versammelt. 139
Regisseure, darunter 21 Frauen, werden genauer beleuchtet. Eine
enorme Herausforderung für nur einen einzigen Autor; vermutlich
hat Brug viele beschriebene Arbeiten mit eigenen Augen gesehen.
Um thematisch zu bündeln, verteilt er sein Material auf vierzehn
Kapitel. Einige sind historisch sortiert, andere begründen
sich in ihrer Thematik. So werden inszenierende Ausstatter, Filmleute,
Choreografen und Schauspielregis- seure, die sich auf dem für
sie zunächst artfremden Arbeitsfeld Oper versuchen, von einander
getrennt. Illustre Namen wie Pina Bausch und Robert Wilson, Andrzej
Tarkowski und Patrice Chereau begegnen dem Leser en masse. Doch
die entscheidende Frage, wie andere darstellende Künste Oper
zu bereichern, ja zu erweitern vermögen, wird nur gestreift.
Solch Manko erklärt sich, wenn man sich den Adressaten des
Buches als Jemanden vorstellt, der Gesichertes, aber wenig Vertieftes
erfahren und möglichst schnell einordnen soll. Brug reißt
in der Regel nur an, stellt Behauptungen auf und bietet zur Beantwortung
seiner Grundfrage nach Sinn und Unsinn von Opernregie und Regietheater
eine breite Palette von Positionen, aus der jeder Leser nach eigenem
Gusto Plausibles für sich heraussuchen kann.
Ein weitaus weniger opulenter Gesprächsband – „Warum
Oper?“ betitelt – greift hier grundsätzlich anders.
Wiewohl auch er auf Vielfalt der Meinung abzielt, ist seine Handschrift
die möglichst große Authentizität. Herausgeberin
Barbara Beyer, selbst Regisseurin, hat mehr oder weniger gleiche
Fragen an dreizehn in Deutschland tätige und bekannte Regisseure
und eine Regisseurin gestellt, deren Antworten höchst subjektive
Einblicke in konkrete Denk- und Arbeitswelten ergeben. Zum Beispiel
bei Nigel Lowery, der ursprünglich vom Bühnenbild kam
und bei Proben das Improvisieren favorisiert. Oder bei Sebastian
Baumgarten, der in Schauspiel- wie Opernproduktionen in neuer Qualität
filmisch arbeitet. Christof Nel andererseits findet Konzeptionen
gemeinsam mit einer Analytikerin und hat aus dieser Zusammenarbeit
einen neuen Blick auf die Geschlechterverhältnisse in Opern
gewonnen.
Regisseure unterschiedlicher Generationen, dieser Eindruck verstärkt
sich auf 270 Seiten lebendig-kontroverser Lektüre, wollen mittels
ihres Berufs sehr Verschiedenes bewirken. Hans Neuenfels behauptet
nach wie vor die Notwendigkeit sozialer Utopie. Calixto Bieito verlangt
auch auf der Bühne Radikalität und Ungeschminktheit. Jossi
Wieler seinerseits betont die Arbeit mit Sängern, denen es
bei den Proben zuerst die Ängste zu nehmen gelte. Karoline
Gruber will die Substanz von Musik reaktivieren und verlangt, ein
„neues Hören durch neues Sehen zu schaffen“. –
Wie differenziert sich die Positionen gestalten, alle Befragten
bekennen sich zum Theater als einem Forum gesellschaftlich wichtiger
Fragen und zu dessen unbedingtem Erhalt. Repertoirewerke –
auch darin besteht Übereinkunft – eignen sich dafür
meist besser als zeitgenössische Experimente. Opernregie erweist
sich in diesem Zusammenhang also als Kunst von Vergegenwärtigung;
Regisseure alter Partituren – dies betonen Peter Konwitschny
und andere – haben in diesem Übersetzungsvorgang mehrerlei
Funktionen: Sie sind die Bindeglieder zu den Autoren von gestern,
sie sind ob ihrer Neu-Sicht selber Autoren, sie sind heute unverzichtbare
Vermittler zwischen Werk, Interpreten und Publikum.
Frank Kämpfer
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