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Integrative Chorarbeit
Alexander Eberle über seine Essener Chorprojekte
Anlässlich der 2. Chordirektorentagung in Köln sprach
Alexander Eberle, Chordirektor am Aalto Theater, über seine
umfassende Chorarbeit mit unterschiedlichen Ensembles in der Stadt
Essen.
Vor neun Jahren übernahm ich, damals noch als Solorepetitor,
mit Beginn der Intendanz von Stefan Soltesz die Leitung des Essener
Musikvereins, eines Traditionschores, der – wie in vielen
anderen Städten auch im 19. Jahrhundert gegründet –
das Musikleben der Stadt Essen lange Zeit grundlegend geprägt
hat.
Ebenso wie in vielen anderen Städten lösten wir das
Problem der Überalterung und auch der fehlenden musikalischen
Qualität dieses Oratorienchores dadurch, dass wir nur noch
in Kooperation mit dem Opern- und Extrachor der Theater und Philharmonie
Essen konzertierten. Es existierten in dieser Zeit also zwei Chorleiter,
die teilweise drei verschiedene Ensembles zu einem Konzert vorbereiteten.
Mit Beginn meiner Tätigkeit als Chordirektor des Aalto Theaters
1999 hatte ich nun das Glück, verantwortlicher Leiter all dieser
Gruppen zu werden. Nach den ersten Chorvorsingen im Opernchor, die
ich miterlebte, fielen mir folgende Punkte auf:
- Es gibt zu wenig wirklich für den Chorberuf qualifizierte
und auch sich hierfür berufen fühlende Sängerinnen
und Sänger.
- Die Zahl der Absolventen unserer Hochschulen, die sich für
eine Chorstelle bewerben, ist erschreckend gering.
- Den meisten Bewerbern fehlt stilistisch der Überblick
über das Spektrum des Chorsingens, das sich ja auch an den
Opernhäusern vom Barock bis zur Moderne erstreckt.
- Von den Sängerinnen und Sängern, die für eine
Berufschorstelle im Bereich Opernchor vorsingen, hat eine Vielzahl
vorher nie intensiv im Chor gesungen.
Nun habe ich mich an Robert Schumann und an seinen wunderbaren
Aufsatz über die Bedeutung des Chorgesanges in der Erziehung
und der Gesellschaft erinnert, und dabei folgende Gründe
für die vorherrschende Situation festgestellt:
- In unseren Schulen, beginnend mit den Grundschulen, wird nicht
mehr gesungen. Der Musikunterricht hat sich des Gesangs weitgehend
entledigt.
- Das Repertoire, mit dem man die Jugendlichen während des
Musikunterrichts in den Schulen doch noch zu ködern versucht,
ist nicht geeignet. Eine dauerhafte Bindung an die Materie Musik
kann man doch eher mit Bach und Mozart schaffen als mit Andrew
Lloyd Webber. Ich glaube auch, dass die meisten Kinder keine Berührungsängste
mit der Musik der klassischen Komponisten zeigen werden, wenn
man ihnen die Größe und Schönheit der Werke entsprechend
überzeugend vermittelt.
- Es gibt zu wenig Nachwuchsarbeit innerhalb unserer Chöre.
An den Hochschulen findet zu wenig Ensemblegesang und Chorschulung
statt. Es muss in Zukunft den Studiengang „Berufschorsänger“
an den Hochschulen geben.
Chorforum Essen
Nach Jahren der Umstrukturierung, möchte ich Ihnen den derzeitigen
Zustand meines Projektes „Chorforum Essen“ vorstellen.
Der „Essener Musikverein“, inzwischen umbenannt in „Philharmonischer
Chor Essen“, hat heute folgende Unterabteilungen:
- Zwei Kinderchorgruppen. Die jüngsten sind die Sechs- bis
Siebenjährigen. Sie heißen Aalto-Spatzen. Es handelt
sich dabei um eine Chorvorstufe, die auf der Basis der Kodaly-Methode
arbeitet. Die Kinder singen auf der Bühne schon bei Produktionen
wie „Hänsel und Gretel“ mit. Die zweite Stufe
ab der dritten Klasse ist der eigentliche Aalto-Kinderchor. Ohne
öffentliche Werbemaßnahmen hatten wir sehr schnell
60 Kinder zusammen, die regelmäßig in beiden Ensembles
arbeiten.
- Ein Jugendchorensemble. Es ist in erster Linie als Auffang-Ensemble
für die der Kinderchorarbeit entwachsenden Jugendlichen gedacht.
Inzwischen haben wir dort mehr als 20 Mädchen und Jungen.
Auch diese wirken bei Produktionen an unserem Theater mit.
- Ein Kammerchorensemble. Gegründet wurde es mit einem hohen
Anteil von Gesangsstudenten und Extrachormitgliedern, aber auch
mit geeigneten Sängern des Philharmonischen Chores zunächst
für spezielle Konzertproduktionen wie zum Beispiel das „Alexanderfest“.
Vor zwei Jahren wurde dann der Philharmonische KammerChor Essen
offiziell ins Leben gerufen. In diesem Jahr hat er seine erste
Johannespassion am Aalto-Theater mit den Essener Barocksolisten
gesungen.
- Der große Konzertchor. Inzwischen hat dieser Chor wieder
ein eigenes Konzertleben. Im Jahr 2004 machte er die erste größere
Konzertreise seit seinem Bestehen und sang im Rahmen der Puccini-Festspiele
Puccinis „Missa di Gloria“ in Torre del Lago.
Integration
Ein für mich sehr wichtiger Punkt war die Integration der
Extrachormitglieder in diese Chorarbeit. Ich habe es immer als unbefriedigend
empfunden, im Extrachor ein wenig homogenes, durch sehr viele Individualisten
und Einzelkämpfer geprägtes Chorbild vorzufinden. Dies
bedeutet ständig chorerzieherische Grundlagenarbeit mit Sängern
durchführen zu müssen, die später auf der Bühne
zusammen mit einem Berufschor arbeiten sollen.
Inzwischen sind alle meine Extrachormitglieder auch Mitglieder
des Philharmonischen Chores. Hierdurch hat sich eine deutliche Qualitäts-
und Effektivitätssteigerung ergeben. Der Extrachor ist trotz
aller repertoirebedingt nötigen Besetzungswechsel ein Ensemble
geworden.
Der wichtige Bereich „Studiengang Berufschorsänger“
an der Hochschule scheitert leider bis heute am mangelnden Interesse
beziehungsweise Einsicht der Studenten und vor allem auch der Gesangsprofessoren.
Nach langjährigen Gesprächen werden wir in Essen zum Schuljahresbeginn
in diesem August an zirka 30 Grundschulen feste Kinderchorstützpunkte
einrichten, die hoffentlich auch nach Ablauf unserer Kulturhauptstadtperiode
2010 noch von Bedeutung sein werden. Der Ministerpräsident
des Landes Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, hat zu
Beginn dieses Jahres individuellen Instrumentalunterricht für
alle Schülerinnen und Schüler in NRW gefordert. Dies lässt
ja hoffen!
Alexander Eberle
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