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Wechselvolle Karriere
Porträt der Choreografin Eva-Maria Lerchenberg-Thöny
· Von Malve Gradinger
„Ich hab halt doch gemerkt, dass der Tanz meine Sache ist“,
meldet sich die Choreografin Eva-Maria Lerchenberg-Thöny nach
längerer Pause zurück. Ab 1985 hatte sie mit ihren Modern-Dance-Stücken
– unter anderem „Geschlossene Gesellschaft“ nach
Sartre, „Fräulein Julie“, „Lamento –
die Klage der Frauen gegen den Krieg“ – weit über
den weiß-blauen Tellerrand hinaus auf sich aufmerksam gemacht.
Ihr „Tanz-Tanztheater“ tourt durch ganz Deutschland,
wird eingeladen nach Moskau, Kiew, Krakau, Nowgorod, Tunis, Belém
und Kairo.
Von 1992 bis 1995 übernimmt Lerchenberg-Thöny die Tanztheaterleitung
am Tiroler Landestheater in Innsbruck, ihrer Heimatstadt, und 1996/97
an den Städtischen Bühnen Augsburg. Ihre expressiven Tanzdramen
nach literarischen Vorlagen (u.a. „Bluthochzeit“, „Yerma“,
„Der Idiot“, „Der Weibsteufel“, „Medea“)
oder basierend auf gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen („Rosa
Winter – die leidvolle Geschichte einer Sinti“) werden
von Publikum und Presse begeistert aufgenommen. Aber die ihr bei
den oft hart konkurrierenden Interessen innerhalb eines Mehrsparten-
Hauses abgeforderte Hindernisbewältigung erschöpfte, entmutigte
die immer hundertprozentig engagierte Tanzchefin, vorübergehend
jedenfalls. Sie wollte tatsächlich einen Schlussstrich ziehen.
Als Tochter eines Journalisten wirft sie sich, nach einer gedrängten
Journalisten-Ausbildung für Quereinsteiger, auf diesen neuen
Beruf, schreibt über soziale Themen, verfasst Kinderbücher
und -stücke. Und inszeniert selbst ihre „Robin-Hood“-Dramatisierung
und ihre Bühnenfassung „Ronja Räubertochter“
nach Astrid Lindgren für die Wunsiedeler Luisen-Festspiele,
die ihr Mann, Schauspieler und Regisseur Michael Lerchenberg, seit
2004 höchst erfolgreich leitet.
Neue Projekte
„Michael hätte schon gerne, wenn ich weiter bei ihm
inszenieren würde“, sagt Eva-Maria Lerchenberg-Thöny.
Aber gleich drei Projekte, vorgetragen mit der ihr eigenen ernsthaften
Intensität, lassen dafür keine Zeit: „Für Mai
2007 mache ich ein Stück im Auftrag der Fundacao Carlos Gomes
im brasilianischen Belém. Es ist eine Art Musikhochschule,
die über Lehrangebote und eigene Produktionen gezielt auch
Sozialarbeit leisten will. Ich gebe dort einen Workshop, um zehn
bis zwölf Tänzer für ,Tod einer Nonne‘ auszusuchen
und vorzubereiten.“ Die Titelfigur ist die amerikanische Nonne
Dorothy Stang, die 30 Jahre lang in Brasilien für die Rechte
der landlosen Bauern und den Erhalt des Regenwaldes kämpfte
und 74-jährig von Auftragskillern ermordet wurde. „Es
ist ein Stück gegen das Vergessen“, sagt Lerchenberg-Thöny.
„Ich wollte schon in meinen frühen Arbeiten immer vor
allem ‚etwas bewegen‘. Und mir wird plötzlich bewusst,
dass sich die journalistische Periode jetzt fürs Choreografieren
positiv auszahlt.“
Gesellschaftskritisch grundiert ist auch ihre Version von „Romeo
und Julia“, die am 17. März 2007 am Theater Coburg zur
Premiere kommt. Es geht mir um das Scheitern der Liebe an starren
Machtstrukturen, ob sie nun religiöser oder politischer Natur
sind.“ Das Coburger Tanz-Ensemble hat nur sechs Mitglieder.
Aber Intendant Dieter Gackstetter, in den 70er-Jahren Ballettchef
an der Bayerischen Staatsoper, hat immer noch eine Liebe für
den Tanz und sorgt für zusätzliche Gasttänzer. Und
schließlich ist da noch das für Mitte 2007 anvisierte
Münchner Projekt „Tod am Nachmittag“ über
das letzte lebensgierige Aufbäumen eines in die Verzweiflung
der Arbeitslosigkeit gestürzten älteren Schauspieler-Ehepaares
kurz vor dem Suizid.
Nicht schon wieder Giselle
Wenn sie für dieses Selbstmord-Duo noch einmal ins Tanzkleid
schlüpft, mit Dinko Bogdanic als Partner, dann hat das auch
eine nostalgische Komponente. Beide gehörten dem Ballett der
Bayerischen Staatsoper an, vor Konstanze Vernons Umstrukturierung
zum opernunabhängigen Staatsballett. Für die Ende der
70er-Jahre frisch von der Münchner Hochschule für Musik/Abteilung
Ballett diplomierte Lerchenberg-Thöny war es das erste Engagement
– ein Glück eigentlich, gleich in einem solchen renommierten
Ensemble tanzen zu können. Aber nach drei Spielzeiten nagt
es an ihr: „Nein, nicht schon wieder ,Giselle‘ proben.“
Der Modern Dance, erkennt sie, ist ihre Bestimmung. Und ihr hoch
gewachsener schlank-biegsamer Körper erweist sich in der Folge
auch als wunderbares Instrument für den weichen Fluss des modernen
Tanzes.
Eva Thöny kündigt, holt sich in London und Paris noch
fehlende Kenntnisse, tanzt anschließend bei der modern ausgerichteten
Krisztina Horváth am Theater Osnabrück und Freiburg
– um sich dann risikobereit als Choreografin auf die freie
Wildbahn zu wagen. Genau da knüpft sie nun wieder an, furchtlos.
Sie hat ja gelernt, Spielstätten zu suchen, Gastspiele zu organisieren,
die Werbung selbst zu machen, Training und Proben für ihre
Tänzer zu geben – also sich rundum durchzusetzen. Nicht
von ungefähr also, dass die Ballettakademie in Kairo sie gleich
dabehalten wollte, anlässlich ihrer „Woyzeck“-Version,
die sie, stürmisch gefeiert, mit Tänzern der Staatsoper
Kairo herausbrachte. Will sie jetzt noch einmal die ganze Last einer
freien Compagnie-Chefin schultern? „Ich sehe mich eher am
Theater“, gibt sie zu. „Die freie zeitgenössische
Szene mit ihren Experimenten ist schon wichtig für die Entwicklung
des Tanzes. Aber sie spricht ein Spezialpublikum an. Manche Stücke
werden nur zwei-, dreimal gespielt. Im Theater muss man 20 Vorstellungen
voll kriegen, muss mit dem Publikum kommunizieren. Und genau das
will ich. Tanz ist für mich immer Ausdruck einer Emotion, geht
von Bauch zu Bauch. Ich kann problematische Themen ansprechen, die
vom Zuschauer unmittelbar angenommen werden, weil der Intellekt
gar nicht dazu kommt, abzuwehren.“ Eva-Maria Lerchenberg-Thöny
hat sich gerade wieder als Tanzchefin beworben. Man drückt
ihr die Daumen.
Malve Gradinger
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