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Altes Genre erfrischend aufgelegt

Henzes Rundfunkopern auf CD · Von Thomas Nytsch

Regression oder genialer Wurf? In einer Zeit der General-Medialisierung der Kunstwelt in audiovisuellen Bildern, performativem Turn und der vieldiskutierten „Verfransung“ der Künste erscheint die Frage berechtigt. Merkmal einer im Rundfunk ausgestrahlten Oper ist die Verbindung von narrativen und dramenspezifischen Elementen, wobei rein medienbedingt die sonst gattungstypische szenisch-visuelle Ebene wegfällt. Kann es also noch zeitgemäß sein, ein beinahe antiquiertes, weil auf nur eine, die akustische Komponente beschränktes Genre des Musiktheaters auf CD herauszubringen? Um es kurz zu machen: ja. Und erst recht dann, wenn das Ergebnis entsprechend überzeugend ist wie die von WERGO vorgelegte Aufnahme mit Hans Werner Henzes beiden nunmehr über ein halbes Jahrhundert alten Rundfunkopern.

Gründe dafür gibt es im Fall dieser erstaunlich reifen Frühwerke des Komponisten mehrere. Die Funkopern „Ein Landarzt“ (1951) nach der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka und „Das Ende einer Welt“ (1953) nach einer der „Lieblosen Legenden“ Wolfgang Hildesheimers sind nicht allein wichtige Dokumente der ersten Musiktheaterversuche Henzes. In ihnen klingen bereits Merkmale an, die bald charakteristisch für seinen auf spannungsgeladene Kontraste setzenden Vokalstil überhaupt werden sollten: von einer dramaturgischen Konzeption aller Details bis hin zur gezielten Verwendung traditioneller oder populärmusikalischer Stilelemente.

Vier Jahrzehnte nach ihrer Entstehung hat Henze 1993/94 seine Funkopern für die Aufführung im Konzertsaal überarbeitet und somit von dem für viele andere Werke der Gattung üblichen Schicksal des Vergessenwerdens bewahrt. Auf der CD ist die Erstaufführung dieser Neufassungen zu hören, die der Henze erfahrene Markus Stenz 1996 mit dem WDR Sinfonieorchester Köln und hervorragenden Solisten eingespielt hat.

Radiotypische elektroakustische Effekte wurden dabei mittels Live-Elektronik realisiert. Als Schmankerl spricht der Komponist selbst die Erzählerfigur in Hildesheimers surrealer Geschichte vom Untergang einer snobistisch-künstlichen Scheinwelt und präsentiert dabei ein überraschendes Spektrum an Ausdrucksnuancen: vom streng rhythmisierten Skandieren über leicht swingenden Sprachklang zum distanzierten Erzählton.

Zeitgemäß kritisch sind beide Opern nicht zuletzt wegen ihrer im Sinne Nietzsches „unzeitgemäßen“, also unbequemen Sujets. Der bekannteren alptraumhaften Geschichte Kafkas folgt mit „Das Ende einer Welt“ eine herrlich bissige, mitunter selbstironische Satire des Kulturbetriebs. Diese hat mit ihrem schillernden Figureninventar vom Kulturimpresario, über einen sich anbiedernden Politiker bis hin zur schillernden „Doppelbegabung“ kaum an Aktualität verloren. Charakterisiert werden diese Figuren durch die in der Produktion akustisch äußerst differenziert wiedergegebene Klangvielfalt.

Mit seiner großen Bandbreite an Geräuschen und swingender Jazzrhythmik, stilisierten Renaissanceklängen und deren atonaler Auflösung wirkt dabei das Hildesheimer-Stück wesentlich frischer als die frühere Kafka-Oper. In beiden Werken fein schattiert werden die Sprechmodi, die ähnlich wie bei Schönberg und noch stärker bei Berg, vom Erzählton über den Sprechgesang bis zum Koloratursopran abgestuft sind.

Diese Vielfalt an Parametern verlangt vom Zuhörer hohe Konzentration und große Vorstellungskraft. Waren diese Anforderungen in den 60er Jahren neben dem Aufkommen des Fernsehens ein Grund für das Ende der Gattung Funkoper, so können sich heute, dank des Booms von Hörspielen und Audiobooks, rein akustisch konzipierte Musiktheaterwerke durchaus wieder als zeitgemäß erweisen.

Thomas Nytsch

 

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