|
Reiche Mitgift in Charlottenburg
Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 8) ·
Von Susanne Geißler
Seit der Reichsgründung von 1871 war die deutsche Wirtschaftsentwicklung
dank französischer Reparationszahlungen förmlich explodiert.
Das Häusermeer Berlins wuchs rasant und weit über die
Stadtgrenzen hinaus. Es sog das Umland in sich auf. Ein weit verzweigtes
Stadtbahnnetz machte die bisher nur mühselig erreichbaren Nachbargemeinden
zu Vororten. Was schon längst passiert war, wurde am 1. Oktober
1920 gesetzlich geregelt und festgeschrieben: Sieben Städte
und zahlreiche Dörfer wurden nach Berlin eingemeindet. Die
Stadt vergrößerte sich dadurch um das Dreizehnfache und
nannte sich nun stolz „Groß-Berlin“.
Komfortables Leben
Die von der Eingemeindung Betroffenen waren wenig erfreut, insbesondere
die unmittelbar angrenzende, gleich hinter dem Brandenburger Tor
beginnende Stadt Charlottenburg. Hierher hatten sich viele wohlhabende
Berliner samt ihrer Geldbeutel vor dem unersättlichen Fiskus
gerettet. So verdiente man sein Geld denn in der Hauptstadt, lebte
und zahlte seine Steuern jedoch in einer nur 15 Bahnminuten entfernten
Provinzstadt bei sehr moderaten Steuersätzen, unbehelligt von
Fabrikabgasen, Mietskasernen, Arbeitervierteln und sozialem Elend.
Komfortabel hatte man sich eingerichtet, mit eleganten städtischen
Wohnhäusern, zwei Villenkolonien im Grünen, einem luxuriösen,
55 Meter breiten Prachtboulevard – dem Kurfürstendamm
– mit teuren Geschäften, Restaurants, Cafés und
Theatern. Das größte und pompöseste Theater errichtete
man 1896 in der Kantstraße, nannte es „Theater des Westens“
und weihte es der leichten Muse. Überraschenderweise hat das
wilhelminische Baudenkmal beide Weltkriege nahezu unbeschadet überlebt.
Unsagbar öde und trivial
Was fehlte den Charlottenburgern noch, um glücklich zu sein?
Natürlich ein großes Opernhaus. Ab 1910 wurde das Projekt
in den Zeitungen diskutiert. Im Februar 1911 formierte sich eine
„Betriebs-Aktiengesellschaft Deutsches Opernhaus der Stadt
Charlottenburg“ und schon im Sommer begannen die Bauarbeiten
auf dem Baugelände an der Bismarckstraße. Im Auditorium
boten Parkett und 3 Ränge Platz für 2.300 Zuschauer. Die
Bühne war riesig und mit modernster Technik ausgestattet. Mit
28 Metern Breite, 20 Metern Tiefe und einer eisernen Rundhorizontkuppel
von 18 Metern Durchmesser entstand die größte Bühne
der Welt. Zur Nebenstraße hin wurde dem Opernhaus ein Gaststättentrakt
angefügt. Die gesamten Baukosten beliefen sich auf 3.205.000
Mark. Das war eine stolze Summe, doch Charlottenburg, damals die
zweitreichste Stadt Deutschlands, ließ sich bei seinem Opernbau
nicht lumpen und griff tief in die vollen Taschen.
Bereits vor der Eröffnung publizierte das Berliner Tageblatt
eine vernichtende Architekturkritik: Das neue Charlottenburger Haus
sei unsagbar öde, trist und trivial. Im Zuschauerraum herrsche
eine säuerlich-strenge Stimmung. In den Foyers und Korridoren
werde der ornamentale Aufwand aus alten Stilfibeln und Innungsbüchern
bestritten. Warum baute sich Charlottenburg überhaupt ein eigenes
Opernhaus? Die Initiative dazu ging von einem neu gegründeten
Verein unter seinem Präsidenten, dem Komponisten Engelbert
Humperdinck, aus. Dieser „Große Berliner Opernverein
e.V.“ wollte den von Hofbeamten geleiteten Königlichen
Schauspielen ein bürgerliches Modell entgegensetzen, sorgfältige
Inszenierungen auf die Bühne stellen und frischen Wind in das
Repertoire bringen. Der Kaiserliche Hof hielt sich ein unter Staubschichten
begrabenes Opernmuseum, um sich dort vornehmlich selbst darzustellen.
In Charlottenburg wollte man mit der Zeit gehen, ja, dieser sogar
vorauseilen. Mindestgagen, garantiert niedrige Eintrittspreise und
Abonnements sowie ein anzulegender Fundus sollten Neid-Intrigen
dämpfen, das Haus füllen und Kosten sparen. Wer ahnte
schon, dass der Erste Weltkrieg, die Inflation und die Nazi-Zeit
die schönen Ideen sehr bald korrumpieren würden?
Erfolg und Notstand
Mit einem Solistenensemble aus jungen und bewährten Kräften,
einem 72 Mitglieder zählenden Orchester, einem 80-stimmigen
Chor und einem kleinen Ballett schmückte sich die erste Spielzeit
1912/13, die nach der feierlichen Eröffnung am 7. November
1912 mit Beethovens „Fidelio“ 15 Premieren bewältigte.
Die Kritiken waren verhalten. Man schrieb von redlichem Bemühen,
eher abgegriffenen Darstellungsformen, gediegenen, aber langweiligen
Bühnenbildern. Trotz herber Schelte: Der Erfolg, jedenfalls
der am Kassenstand ablesbare, stellte sich rasch ein. Schon in der
zweiten Spielzeit hatte das Haus 11.000 Abonnenten. Man wünschte
und bekam solide Opernkost geboten.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verlangte dem Personal viele
zusätzliche Verpflichtungen bei gleichzeitiger Gagenkürzung
ab. Als sich der Aufsichtsrat zögerlich zeigte, 1918 die Gehälter
wieder aufzustocken, kam es zum Streik.
nergiesparmaßnahmen begrenzten alle Opernaufführungen
auf drei Stunden. „Kohle beherrscht Kunst“, befand der
Volksmund. Die wirtschaftliche Misere der Inflation trieb die Sänger
zu Gastspielen ins Ausland. So reiste der Intendant Georg Hartmann
1923 mit Sängern und Sängerinnen seines Hauses auf Wagner-Konzerttournee
durch die USA, was seine Gegner in Berlin gegen ihn zu nutzen wussten.
Hartmann wurde seines Postens enthoben und Leo Blech zum kommissarischen
Leiter berufen. Er begann die Spielzeit 1923/24 mit den „Meistersingern
von Nürnberg“. Der Spielzeit folgte Blechs Abgang und
ein Konkursantrag. Die Stadt Berlin übernahm das Haus. Der
kostbarste Juwel aus der reichen Charlottenburger Mitgift fiel Berlin,
ohne einen Pfennig Baukosten aufwenden zu müssen, sozusagen
in den Schoß und wurde neben der Staatsoper, dem Schauspielhaus
und der Krolloper ihr viertes, modernstes und größtes
Opernhaus. Gemäß den neuen Besitzverhältnissen erfolgte
mit der Übernahme die Umbenennung in „Städtische
Oper“.
Ära Bruno Walter
Leo Blech war gegangen, es kam als neuer musikalischer Leiter
Bruno Walter. „Das Haus der Städtischen Oper wirkte auf
mich von Anfang an als das beziehungsloseste, unzauberischste aller
Theater. Nicht nur war es architektonisch ganz und gar nüchterne
Sachlichkeit, es hatte sich auch noch durch keine höheren Kunstleistungen
seinem Publikum kostbar gemacht...“ So schilderte Walter in
seinen Memoiren die ersten Gefühle an seiner neuen Wirkungsstätte.
Ihm zur Seite gab man den vormaligen Breslauer Theaterchef Heinz
Tietjen als Intendanten. Mit ihm betrat ein Mann die preußische
Kulturszene, dem es gelang, als Intendant und Generalintendant die
Städtische Oper, die Preußischen Staatstheater einschließlich
der Staatstheater Kassel und Wiesbaden und die Bayreuther Festspiele
unter seinen Einfluss zu bringen.
Walter wollte dem Haus eine Gefühlsbedeutung gewinnen, die
ihm bisher versagt geblieben war. Die Erneuerung geschah stetig
und von Grund auf. Walter brachte einen Teil seines alten Münchener
Ensembles mit. Er engagierte neue Kräfte hinzu und holte als
ständige Gäste einige der berühmtesten Sänger
und Sängerinnen der Zeit. Neben der Arbeit am gängigen
Repertoire wandte sich Walter besonders der Musik des späten
19. Jahrhunderts zu. Tschaikowskys „Pique Dame“, Hugo
Wolfs „Corregidor“, „Der arme Heinrich“
von Pfitzner, auch Verdis „Falstaff“ standen unter seiner
Leitung. Für Neuheiten war von 1925 bis zu seinem Wechsel 1927
an Klemperers Krolloper Fritz Zweig zuständig. Er dirigierte
Busonis „Brautwahl“, Janáceks „Katja Kabanowa“,
Zemlinskys „Zwerg“ und auch so entlegene Werke wie Halévys
„Der Blitz“. Den ersten Skandal provozierte im Oktober
1927 Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“. Da brachte jemand
Songs, freche Schlager, gar Jazz-Anklänge in ein ernstes Opernhaus.
Und die Hauptfigur war ein Schwarzer. Die konservative Presse schäumte.
Schon ein Jahr später folgte der nächste Schreck: Kurt
Weills Einakter „Der Protagonist“ und „Der Zar
lässt sich fotografieren“. Damit war die musikalische
Belastbarkeit des Publikums aber auch erreicht. Es blieb bei diesen
wenigen Sensationen in einem sonst gemäßigten Repertoire.
Schon 1926 brach an der Städtischen Oper – vorerst versteckt
– eine Krise aus. Die Zusammenarbeit zwischen Tietjen und
Walter scheiterte an der Machtfülle des Generalintendanten,
die dieser zu Gunsten der Staatsoper nutzte. Bruno Walter fürchtete
um die künstlerische Autonomie seines Hauses und witterte überall
das „Gespenst des Staatsmonopols“. Drei Jahre später
resignierte er. Die Beziehungen zu Tietjen waren restlos zerrüttet.
Mit dem „Fidelio“ nahm Walter im April 1929 einen bewegenden
Abschied. Es folgten erneut zwei Interimsjahre, durchaus nicht ohne
Glanz. Arturo Toscanini dirigierte, es gastierte das Diaghilew-Ballett.
Leo Blech kehrte als Gast zurück und Wilhelm Furtwängler
dirigierte seinen ersten Berliner Opernabend in Charlottenburg.
Trotz solcher Höhepunkte trieb die Städtische Oper langsam
in die nächste Krise.
Krise und kurze Blüte
Rettung kam 1931 aus Darmstadt. Carl Ebert hatte dort mutiges,
modernes und erfolgreiches Theater gemacht. In den zwei Jahren seines
Wirkens sorgte Ebert in Charlottenburg für begeisterte Zustimmung
beim Publikum. Eberts Erfolge ließen Tietjens Neid und Missgunst
ins Kraut schießen, und er begann zu intrigieren. Er drang
bei den preußischen Behörden ergebnislos auf Schließung
der Städtischen Oper. Dann kamen ihm die Nazis zu Hilfe. Sie
verlangten die Abkehr von der verhassten Moderne, dem angeblich
Undeutschen. Der sozialdemokratische Ebert sollte umschwenken auf
die NS-Kunstdoktrin, dann hätte er Intendant bleiben können.
Er lehnte ab, wurde abgesetzt und ging in die Emigration.
Braune Oper
Der Minister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph
Goebbels, machte aus der Städtischen Oper ein reichseigenes
Institut und benannte es um in „Deutsches Opernhaus“.
Hitler berief den Bariton Wilhelm Rode zum Intendanten. Inszenierungen
fanden fortan nur noch als szenische Arrangements statt –
bestenfalls gefällig, schlimmstenfalls hilflos. Die Dekorationen
mussten solide sein, naturgetreu bis ins kleinste Blatt aus Pappe.
So sang denn Hans Sachs unter Butzenscheiben, die Festwiese der
„Meistersinger“ kam direkt aus einem Film von Leni Riefenstahl,
Siegfried ritt zu Pferd heran, auf dem Schild die berüchtigte
S-Rune. Den neuen Machthabern war das Interieur des Opernhauses
entschieden zu schlicht. So ging man 1934/35 an eine Neugestaltung
des Zuschauerraumes. Festlicher, man kann auch sagen beeindruckender,
sollte er werden. Die Maler ergingen sich in den Farben Elfenbein,
Hellbraun, Mahagoni und Gold. Steinmetze verteilten reichlich Marmor,
Stuckateure formten zusätzlichen Gips-Schwulst.
Im Deutschen Opernhaus gingen die Nazis ein und aus, was ihm bald
den Spitznamen „Braune Bonzenoper“ einbrachte. Auch
die Sitzungen der Reichskulturkammer fanden hier statt. Künstlerisch
arbeitete man solide und bodenständig. Unter der Leitung von
Generalmusikdirektor Artur Rother, ab 1942 Hans Schmidt-Isserstedt,
entwickelten sich die sängerischen Karrieren von Irma Beilke,
Elisabeth Schwarzkopf, Michael Bohnen, Walter Ludwig, Karl Schmitt-Walter,
Rudolf Schock und Joseph Metternich. Das Repertoire war breit gefächert
mit dem Schwerpunkt auf Wagner und italienischen Opern. Am 23. November
1943 wurde die Charlottenburger Oper bei mehreren Bombenangriffen
total zerstört. Als Ausweichquartier diente das Theater des
Westens und der Admiralspalast an der Friedrichstraße. Im
Herbst 1944 wurden mit der Ausrufung des totalen Krieges alle Theater
mit Spielverbot belegt.
Nachkriegszeit
Nach dem Krieg zog das ausgebombte Charlottenburger Opernensemble
für 16 Jahre in das Gebäude des Theaters des Westens ein.
Die Direktoren tauchten wieder auf, darunter natürlich Heinz
Tietjen. Seine Vergangenheit war für die Siegermächte
interessant genug, politisch durchleuchtet zu werden, weshalb der
Bariton Michael Bohnen von den Sowjets zum „Bevollmächtigten
für das Opern- und Konzertwesen“ ernannt wurde. Er übernahm
die Intendanz und begann am 2. September 1945 mit dem „Fidelio“
in der zur „Städtischen Oper“ rückbenannten
Charlottenburger Oper. Lange konnte sich Bohnen nicht halten, dann
war wieder Tietjen zur Stelle. Von 1948 bis 1954 nahm er die Geschicke
der Oper in die Hand, holte den greisen Leo Blech zurück, engagierte
den jungen Dirigenten Ferenc Fricsay und verstand es, große
Sängerinnen und Sänger an das Haus zu binden. Zu seinem
Ensemble gehörten Elisabeth Grümmer, Martha Musial, Margarete
Klose, Lisa Otto, Rita Streich, El-friede Trötschel, Mathieu
Ahlersmeyer, Hans Beirer, Herbert Brauer, Dietrich Fischer-Dieskau,
Gottlob Frick, Joseph Greindl, Fritz Hoppe, Helmut Krebs, Ludwig
Suthaus und Joseph Metternich. Tietjen erlaubte sich allerdings
permanente Etat-Überziehungen. Die sorglose Haushaltsführung
brachte ihm andauernden Ärger ein. 1954 lief seine Zeit ab.
Er hatte sich erschöpft, in seiner Führungskraft, seinem
musikalischen Mut, im Spiegel der Meinungen.
Seine Nachfolge übernahm Carl Ebert. In der Emigration hatte
er die von ihm gegründete Schule für Oper und Drama in
Ankara geführt, gemeinsam mit Fritz Busch und Rudolf Bing das
Glyndebourne Festival gegründet und als Professor an der University
of South California in Los Angeles gearbeitet. Nun war er wieder
in Berlin. Seine Ära dauerte bis zum Einzug in das neu erbaute
Haus an der Bismarckstraße im Jahr 1961 und war geprägt
von Inszenierungen auf hohem Niveau. Ein Stürmer der Moderne
konnte und wollte er mit 70 Jahren nicht mehr sein.
Trennung: Ost und West
In diesen Jahren gab es einen regen Austausch von Sängern
und Dirigenten zwischen allen Berliner Opernhäusern. Der Cross-over
zwischen den Bühnen in Ost- und Westberlin war gängige
Praxis, was aber bald durch die politische Entwicklung gestoppt
werden sollte. Mit der Gründung der DDR begann man die zerbombte
Mitte Berlins zur neuen Hauptstadt wieder aufzubauen. Viel historische
Bausubstanz wurde rigoros abgetragen, so das Stadtschloss als Zeuge
jahrhundertealter Feudalherrschaft. Die Lindenoper blieb, wenn auch
als Kriegsruine, verschont vor der restlosen Zerstörung. Der
Kalte Krieg führte zu einer regen und konkurrierenden Bautätigkeit
in beiden Stadthälften. Als die Staatsoper nach dem Wiederaufbau
1955 ihr altes Haus Unter den Linden wieder beziehen konnte, ging
man auch in Westberlin daran, ein neues Opernhaus zu errichten.
Nach dem Entwurf des Architekten Fritz Bornemann begann man 1956
am alten Platz in der Bismarckstraße mit den Bauarbeiten für
ein hochmodernes Haus aus Stahlbeton mit seitlichen Glasfronten.
Der Zuschauerraum mit 1.899 Sitzplätzen erhielt hängende
Logen in treppenförmiger Seitenstaffelung und eine dunkle hölzerne
Täfelung. Beeindruckend war die große fensterlose Straßenfront
des Gebäudes aus Waschbeton. „Klagemauer“ nannten
sie die Berliner respektlos und in Anspielung auf die hohen Baukosten.
Noch vor der Eröffnung des neuen Hauses am 24. September 1961
bekam das Spottwort jedoch eine unerwartete und viel tiefere Bedeutung:
Seit dem 13. August wurde die Stadt durch eine Mauer gespalten und
blieb es 28 Jahre lang.
Susanne Geißler
|