Neue Erkenntnisse
Ein Versuch von Brigitte Hamann
Brigitte Hamann, Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. Piper,
München 2002, 688 S., 26,90 €.
Ihrem Buch „Hitlers Wien“ lässt die Historikerin Brigitte Hamann jetzt „Hitlers Bayreuth“ folgen,
wiederum in der Absicht, durchaus auch einem breiteren Publikum Hitlers Aufstieg
verständlich zu machen. Beispielhaft wählt sie hierfür den Lebensweg
der Winifred Wagner, die als zehnjährige Engländerin 1907 ins Deutsche
Reich zu ihrer Berliner Pflegefamilie Klindworth kam, 1915 den Bisexualität
praktizierenden einzigen Sohn Richard Wagners heiratete, die vier Wagner-Enkel
Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena gebar und nach ihres Mannes Siegfried
frühem Tod von 1930 bis 1944 die Bayreuther Festspiele leitete.
Aus Überzeugung hatte die „Herrin von Bayreuth“ nach dem gescheiterten
Feldherrnhallen-Putsch von 1923 Hitler und die nationalsozialistische Bewegung
kräftig gefördert; ohne Hitlers massive finanzielle Unterstützung
wären die Richard Wagner-Festspiele wahrscheinlich schon 1933 im wirtschaftlichen
Desaster untergegangen. Von 1923 bis 1940 standen sich „Winnie und Wolf“ auch
persönlich sehr nahe; zeitweilig spielte der charmante, faszinierende
Onkel Wolf in Wahnfried die Vaterrolle.
Wenn das gut recherchierte, mit einer geradezu überwältigenden Fülle – auch
bisher unbekannten – historischen Materials aufwartende Buch am Ende
mehr Fragen aufwirft als dass es etwas, zum Beispiel Hitlers Aufstieg verständlich
macht, so signalisiert schon der merkwürdige Doppel-Titel den Grund hierfür: „Winifred
Wagner oder Hitlers Bayreuth“. Brigitte Hamann wollte mit Winifred Wagner
eine Person beschreiben, „die in möglichst langem und engem Kontakt
zu Hitler stand, um aus deren Sicht seinen Aufstieg zeigen zu können“.
So überschattet die Figur Hitlers Winifreds Biografie und lässt die
Autorin zu folgender Bewertung ihrer Protagonistin gelangen: „Sie war
weder eine Heldin noch ein Verbrecherin, sondern gehörte zur großen
Masse der Gutgläubigen, Verblendeten, die dem großen Verführer
erlagen“. Das liest sich, als sei Winifred Wagner die geistige Schwester
von Mutter Kempowski aus dem Roman „Tadellöser & Wolff“. Winifred Wagner als große, machtbewusste Natur, als Erbin der antisemitisch-deutschnationalen
Gesinnung des „Bayreuther Kreises“, als in der Wolle gefärbte
Nationalsozialistin, die vielen vom Nazi-Regime Verfolgten half, ohne daran
zu denken, dass sie auf der Seite der Verfolger stand, als gesellschaftliche
und finanzielle Nutznießerin der Diktatur, kommt bei Brigitte Hamann
zu kurz. Die Autorin wird angesichts der unbestreitbaren Stärke ihrer
Heldin schwach.
Auch zu „Hitlers Bayreuth“ trägt sie wenig bei. Über
den Privatmann Hitler und seinen politischen Aufstieg gibt es weit informativere
Studien und kein Thema ist für sie, welchen Narren Adolf Hitler an Richard
Wagner und seinem Werk gefressen hatte, als Bildungserlebnis und als Persönlichkeitsprojektion.
Brigitte Hamann verkürzt Hitlers Beziehung zu Wagner auf das „Adabei-Sein-Dürfen“ in
Bayreuth, im Dunstkreis des Meisters.
Dennoch liest insbesondere der an der Geschichte der Bayreuther
Festspiele Interessierte das Buch mit großem Gewinn: Viel Erhellendes zur Wiederaufnahme
der Festspiele nach dem Ersten Weltkrieg, zur Usurpation Bayreuths durch die
Nazis und zum Beginn „Neu-Bayreuths“ enthalten die reichhaltigen,
größtenteils bislang unpublizierten Materialien. Die Biografien
dreier Mitglieder der Wagner-Familie bedürfen aufgrund dieser Materialien
der Korrektur.
Siegfried Wagner, der Sohn Richards, war nicht der ein wenig
weltferne, liberale Komponist und Dirigent, sondern teilte durchaus
die nationalistische, auch
judenfeindliche Position des „Bayreuther Kreises“, wie Brigitte
Hamann belegen kann. Seine Biografie steht ohnehin noch aus, da sein Nachlass,
ebenso wie der Winifreds, bisher unzugänglich ist. Und auch Friedelinds,
1944 im Londoner Exil geschriebene bitterböse Abrechnung „Nacht über
Bayreuth“ nimmt es stellenweise, wie Hamann nachweist, mit der Wahrheit
nicht genau.
Erschreckend und zugleich Vieles erklärend ist, was Brigitte Hamann über
die Jugendjahre Wieland Wagners zu Tage gefördert hat. Dass der 1917 geborene älteste
Sohn Winifreds und Siegfrieds seine enge Beziehung zu Hitler persönlich
nutzte, wann immer erforderlich, das war bekannt. Doch darüber, dass er
schon 1943 versuchte, seine Mutter und deren Ex-Geliebten Heinz Tietjen von
der Festspielleitung zu verdrängen, und dass er sich, um der Einberufung
zur Wehrmacht zu entgehen, zum stellvertretenden zivilen Leiter der Konzentrationslager-Außenstelle
Bayreuth ernennen ließ, berichtet sie erstmals.
Ihr Buch ist eine Fundgrube für Details und ein Steinbruch für zu
korrigierende, bisher beschönigende und für noch zu schreibende Biografien,
zum Beispiel für eine Biografie Winifred Wagners. Stefan Meuschel
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