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Neue Formen für alte Einsichten
Musiktheater beim Kurt Weill Fest in Dessau · Von Isabel
Herzfeld
Kein Ton ohne klingende
Münze – Dirigenten und Sänger, Bühnentechniker und Hausmeister
müssen bezahlt sein, bevor die erste Note einer Partitur hörbare Gestalt
annehmen kann. Dass Musik und Geld durchaus ein Verhältnis miteinander haben,
die holde Kunst niemals ohne den schnöden Mammon sein konnte und das Fressen
vor der Moral kommt, ist gerade in den heutigen finanzknappen Zeiten eine unumstrittene
und ein wenig banale Einsicht. Als programmatischer roter Faden für das
Kurt Weill Fest Dessau jedoch erwies sie sich als bestens geeignet. Unter dem
Motto „Noten und Münzen“ präsentierte der neue künstlerische
Leiter Clemens Birnbaum, der nach zehn Jahren den verdienstvollen Andreas Altenhof
ablöste, seine persönliche Handschrift mit stringentem dramaturgischen
Styling. Die gut 25 Veranstaltungen waren nun bestens aufeinander abgestimmt:
von der in den Mittelpunkt gestellten, zu ihrem 75. Geburtstag gefeierten „Dreigroschenoper“ mit
ihrem nicht minder brisanten historischen Vorbild, der „Beggar’s
Opera“, über die Dinnershow „Money makes the world go around“ bis
hin zur „Harmoniemusik“ aus der „verkauften Braut“ oder
Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“ – das alles
eher verspielt anregend als tiefschürfend Zusammenhänge aufzeigend.
So wurde auch der „Dreigroschenoper“ letztlich der
an den „Verhältnissen“ nagende
Zahn gezogen – mit einer Inszenierung, die ihrerseits subtile Aktualität
hervorlockte. Für die Regie und gleich auch noch Bühne und Puppenentwürfe
sowie das Casting der Sänger und Puppenspieler stand der Pantomime Milan
Sladek ein, schuf damit ebenso eine seltene Stimmigkeit wie sich wechselseitig
durchdringende, sich brechende Verfremdungsebenen. Mackie Messer, die Seeräuber-Jenny,
Polizeichef Tiger Brown et cetera werden als etwa kindergroße Marionetten
von je drei Spielern nach Art des altjapanischen Bunraki-Theaters an Kopf,
Händen und Füßen geführt. Die schwarze Kleidung der Puppenführer
verschmilzt mit dem Bühnenhintergrund und lässt die weiß leuchtenden,
karikaturistisch gestalteten Figuren umso deutlicher hervortreten. Auf einer
dritten Ebene hoch über dem Bühnengeschehen thronend, leiht ein Schauspielerteam
den Puppen seine Sprech- und Gesangsstimmen, eine Klangfolie von farbenreicher
Plastizität. Die Präzision, mit der sich hier Sprachmelodie in differenzierte,
schlagkräftige Gesten umsetzt, ist atemberaubend, der bizarre Realismus
der Beziehungsgefechte des Ehepaars Peachum, der traurigen Huren mit den schaukelnden
Riesenbrüsten im „Zuhälter-Tango“ bisweilen zwerchfellerschütternd.
Ein doppelter, poetisch-ironischer Boden ist dem Werk so eingezogen, treibt
ihm den moralischen Zeigefinger endgültig aus und zeigt es als getreues
Abbild unserer Gegenwart, in der man sich über die Raffinesse und Unangreifbarkeit
ganz legaler Schurkereien am besten zu Tode amüsiert. Einen wie ausrasierten
Klang peitscht Golo Berg aus der Anhaltischen Philharmonie heraus, gibt der
Musik damit ebenso die dem unterhaltsamen Bild fehlende engagierte Schärfe
wie er die Aufmerksamkeit auf Parodieelemente „großer Oper“ lenkt – mit
dem Höhepunkt eines Finales voller „Fidelio“-Anklänge,
zu denen der „reitende Bote“ auf einem winzigen Pferdchen vom Bühnenhimmel
schwebt.
Sladek, der unlängst bei den
Schwetzinger Festspielen mit einer Mozart-Inszenierung Furore machte, war als
erster „Artist in Residence“ des Weill-Festes nach Dessau eingeladen
worden. Eine glückliche Wahl, denn Pantomime war das Element, mit dem
der junge Weill der Krise des traditionellen Musiktheaters zu begegnen versuchte:
Die Unglaubwürdigkeit des singenden Menschen auf der Bühne sei
spätestens mit dem Desaster des ersten Weltkriegs offenbar geworden,
Oper nur noch als irreales, surreales Geschehen denkbar und ihr erzählerischer
Verlauf ganz der Musik anvertraut, führte Prof. Dr. Michael Heinemann
im musikwissenschaftlichen Seminar „Das Musiktheater der Zwanziger
Jahre“ aus.
Welch unglaubliches Bühnentalent Weill hatte und wieviel
uns davon durch die Zeitläufte und vielleicht
auch die Anpassung des Komponisten an reduzierte Möglichkeiten verloren
gegangen ist, zeigte bezaubernd und bewegend das allererste Musiktheaterwerk
des Zwanzigjährigen: von der Ballettpantomime „Die Zaubernacht“ existiert
nur noch ein handschriftlicher Klavierauszug mit wenigen Hinweisen auf Handlung
und Instrumentation, nach denen Meirion Bowen das solistisch transparente Arrangement
für das Kölner Ensemble Contrasts erstellte. Gesungen wird hier nur
ein einziges Mal. Ansonsten lässt Weill die Instrumentalmusik erzählen.
In seiner Inszenierung liest Milan Sládek aus ihr den Zukunftstraum
des Jungen, das Erwachen von Sexualität und erster Liebe, bebildert dies
liebevoll-ironisch mit bunt herumgaukelnden Blumen, Bienen und Schmetterlingen,
erzeugt mit den Mitteln des alten tschechischen Schwarzen Theaters, und vor
allem mit einer lebendigen, punktgenau und differenziert Verläufe nachzeichnenden
Musikalität.
Mozart gehörte zu Weills
Vorbildern, was gerade dem Erstling deutlich anzumerken ist. Wenn Birnbaum
in einem seiner zahlreichen „Crossover“-Events eine deutsche
Erstaufführung von Peter Greenaways völlig unbekanntem Film „M
is for Man, Music, Mozart“ zur Live-Musik von Louis Andriessen präsentiert,
so tätigt er damit einen mindestens dreifachen dramaturgischen Schachzug:
Auch Weill liebte Grenzüberschreitungen, wandte filmschnittartige Techniken
an, und zum „Dreigroschen“-Drive passen Andriessens poppig-parodistische
Repetitionen ebenso gut wie zum barocken Gestus der ebenfalls in Dessau konzertant
zu erlebenden „Beggar’s Opera“. So zeigte sich das Festival
lehrreicher und zugleich weiter gefächert auf seinen „Protagonisten“ Weill
konzentriert als in früheren Jahren, während sein Thema „von
der belebenden Wirkung des Geldes“ durch die Vorjahresproduktion „Die
Bürgschaft“ gleichwohl genauer und ernsthafter vermittelt wurde
als durch die eher fantasiereich verspielten Einblicke in zweifellos spannendes
Musiktheater.
Isabel Herzfeld
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