Das Oberlandesgericht in Dresden hat unlängst dem
Intendanten der Sächsischen
Staatsoper ins Stammbuch geschrieben, dass er Änderungen einer Inszenierung
zu unterlassen habe, da dem Regisseur als ausübendem Künstler für
diese ein Leistungsschutzrecht zustehe, Änderungen eine Beeinträchtigung
seiner Regieleistung darstellten und „sein schutzwürdiges Interesse
an der Integrität seiner Interpretation“ verletzten. Der 1998 zwischen
dem Opernregisseur Peter Konwitschny und dem Intendanten Christoph Albrecht geschlossene
Vertrag über die Inszenierung der Kálmán-Operette „Die
Csárdásfürstin“ habe auch keine Befugnis des Intendanten
enthalten, in die Regie eingreifen oder Änderungen vornehmen zu dürfen.
Der Regisseur ist also
ein starker Mann: Er
interpretiert das Werk nach seinen Vorstellungen; ihm stehen uneingeschränkte
Gestaltungsfreiheit und künstlerische
Verantwortung zu. Und das ist auch gut so, möchte man meinen – beschliche
einen da nicht ein ungutes Gefühl. Steht denn nicht im Intendantenmustervertrag,
der Intendant trage die Gesamtverantwortung, jedenfalls für alle künstlerischen
Entscheidungen, in der Regel auch für deren wirtschaftliche Folgen? Rechtsträger
oder Verwaltungsdirektor können ihm doch nur bei vorhersehbaren Überschreitungen
des Etats dreinreden.
Wer wäre denn der Adressat von „Zielvorgaben“ des
Rechtsträgers im Hinblick
auf Auslastung des Hauses, Einspielergebnisse, Premieren- und Vorstellungszahlen,
wenn nicht der Intendant? Ob es denn vorstellbar sei, hatten Mitglieder des
Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten des Abgeordnetenhauses Berlin
bei einer Anhörung zum Thema „Struktur-Konzept: Oper in Berlin“ gefragt,
den drei Berliner Opernhäusern künftig solche Zielvorgaben mit auf
den Weg zu geben, ihre Nicht-Einhaltung sogar mit Sanktionen zu belegen?
Zwar drückten sich alle Befragten mehr oder weniger elegant
um eine Antwort herum, auch dann noch, als klargestellt wurde,
die Vorgaben sollten auch den gelegentlichen Misserfolg, das schwach
besuchte Experiment berücksichtigen,
also nicht aufs Populäre um jeden Preis zielen. Aber bedenkenswert bleibt
die Frage allemal. Und bedenkenswert ist auch, ob und warum die Verantwortung
für die Einhaltung der Vorgaben allein dem Intendanten auferlegt werden
soll. Liegt sie nicht auch beim Regisseur, dem gerichtsnotorisch starken Mann?
Der riskiert doch allenfalls, dass er nicht wieder beschäftigt
wird, wenn seine Inszenierungen regelmäßig das Haus
leeren, statt es zu füllen. Der
Opernregisseur, an mittleren und großen Häusern nicht gerade schlecht
bezahlt, ist am Erfolg oder Misserfolg seiner Inszenierung überhaupt nicht
beteiligt: Ob er das Werk zum Event umgestaltet, das nur Wenige interessiert,
ob er die Traviata hinter Gazeschleiern versteckt, die Fidelio-Dialoge zur
Stummen Jule macht, die Trovatore-Azucena zur Massenvergewaltigung freigibt – die
wirtschaftlichen Folgen solchen künstlerischen Tuns verantwortet nur der
Intendant. Weder gibt es für den Opernregisseur eine Erfolgs- oder Einspielbeteiligung,
noch haftet er für den Flop. Beim Hausregisseur sieht das anders aus,
aber den gibt es ja immer seltener. Für den Gastregisseur jedoch, den
Star des Regietheaters, sollten Beteiligungsmodelle erwogen werden, die in
anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien, an privatwirtschaftlich
geführten Bühnen und erst recht beim Kinofilm durchaus Vorbilder
haben.
Die Berliner Abgeordneten waren nicht aus Jux und Dollerei
zu ihren Fragen gelangt, sondern durch das ihnen von der Deutschen
Opernkonferenz vorgelegte
Zahlenmaterial, das für zwei der Opernhäuser weit unterdurchschnittliche
Auslastungen von nur 55 beziehungsweise 61 Prozent auswies.
Karl Valentin hatte einst die Frage „Woher diese
leeren Theater?“ schlicht mit dem „Ausbleiben des Publikums“ beantwortet.
Um dem abzuhelfen, wollte
er eine staatlich verordnete „Allgemeine Theaterbesuchspflicht (ATBPf)“ eingeführt
sehen. Vielleicht gibt’s da doch praktikablere Möglichkeiten?
Ihr Stefan Meuschel
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