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Von der Haupt- zur Bundesstadt
Ein Porträt des Theaters Bonn · Von
Johannes Hirschler
Da steht sie nun, die zarte Braut. Der alte Bräutigam verprellt
ob der geschmälerten Mitgift, der neue noch nicht da. So nutzt
sie den Wartestand für eine zwangsverordnete Schlankheitskur
unter der fürsorglichen Hand eines erfahrenen Brautführers.
Elf Jahre lang, von 1991 bis 2002 hat Manfred Beilharz das Bonner
Theater geprägt, seit 1997 war er als Generalintendant auch
für die Oper zuständig. Doch die harten Einschnitte,
die das Theater nun durch den Wegfall der Bundeszuschüsse
und Kürzungen seitens der Stadt verkraften muss, wollte er
nicht mittragen und bat um seinen vorzeitigen Abschied. Herbe Kürzungen
In der Spielzeit 2000/2001 standen dem Theater Bonn noch umgerechnet
30,6 Millionen Euro für Oper und Tanztheater und rund 19,4
Millionen Euro für das Schauspiel zu Verfügung. Um
das Theaterangebot mit allen drei Sparten möglichst weitgehend
erhalten zu können, schichtete die Stadt trotz herber Sparzwänge
in einem einmaligen Kraftakt im Kulturetat 20 Millionen Euro
zugunsten des Theaters um. Trotzdem wird Beilharz’ Nachfolger
Klaus Weise bei seinem Antritt zur Spielzeit 2003/2004 einen
Etat von insgesamt nur noch 38 Millionen Euro vorfinden, mit
dem er für die ersten drei Spielzeiten auch noch etwaige
Tarifsteigerungen auffangen muss. Trotzdem gerade genug, um gutes
Theater zu machen, findet der 51-jährige Schauspielregisseur,
der in den vergangenen zwölf Jahren das Theater Oberhausen
zu einer der ersten Schauspieladressen machte. In Oberhausen
musste er zu seinem Amtsantritt 1991 Sparbeschlüsse des
Stadtrats umsetzen und das Musiktheater abwickeln, in Bonn kann
er die Grausamkeiten Arnold Petersen überlassen. Der 76-jährige
Theatermacher, 17 Jahre lang gefeierter Intendant am Mannheimer
Nationaltheater, ließ sich für die Interimsspielzeit
aus dem Ruhestand in der Toskana an den Rhein lotsen. Von den
einst 765 Angestellten des Theaters arbeiten dort jetzt nur noch
rund 600, wobei der Stellenabbau nach Einschätzung des Personalratsvorsitzenden
Willi Ganser bislang human ablief. Entweder hatten die Mitarbeiter
Zeitverträge oder nahmen Vorruhestandsregelungen in Anspruch;
andere machten sich selbständig, wurden abgefunden oder
umgeschult. Linderung beim Kahlschlag brachte auch der Bund.
Rückwirkend vom Jahr 2000 an bis 2010 erhält die Stadt
insgesamt 44,5 Millionen Euro zusätzlich, mit denen vornehmlich
Umstrukturierungsmaßnahmen im Kulturbereich abgefedert
werden sollen. Neue Verhältnisse
Was der Stadt Bonn im Großen widerfährt seit dem Beschluss
des Bundestages, Berlin zur Hauptstadt zu machen, muss sie im Kleinen
an ihrem Theater vollziehen: sich den neuen Verhältnissen
anpassen. Wie viel überschaubarer als im Theater-Moloch Berlin
mit seinen drei Opernhäusern und Dutzenden Theatern war doch
die Situation in der Bundeshauptstadt Bonn. Gerne griff der Bund
dem Theater unter die Arme, um seinen ausländischen Gästen
die ersten Stimmen und Regisseure der Nation bieten zu können.
Nun spielt die Musik in Berlin, und die Geburtsstadt Beethovens,
geadelt als „Bundesstadt“, macht das Beste daraus als
Teilregierungssitz. Noch residieren hier etwa das Verteidigungsministerium
und Behörden wie der Bundesrechnungshof und das Bundeskartellamt. Wirtschaftliche Erfolge
Künstlerisch ist von den Einbußen in der laufenden Saison
nichts zu spüren. Mit der „Ariadne auf Naxos“ etwa
zeigt das Orchester der Beethovenhalle Bonn unter Kapellmeister
Christoph König einen Feinsinn und Farbreichtum, der den Opernabend
zu einem kammermusikalischen Genuß macht. Doch auch Bonn
ist nicht gefeit vor lustloser Repertoireroutine. Dasselbe Orchester,
derselbe Dirigent zeigt sich zwei Tage zuvor mit der nun schon
mehrere Spielzeiten alten „Zauberflöte“ von Jürgen
Rose glanzlos und uninspiriert. Mechanisch wird die bunte, familiengerecht
plakative Aufführung heruntergespult, den tieferen Sinn der
Aktion bleibt man schuldig. Dennoch, das Haus war voll. 132.000
Besucher konnte Arnold Petersen bis März verzeichnen, 137.000
ist der Vergleichswert aus der letzten Spielzeit unter Beilharz.
Durch sparsames Wirtschaften, durch Abstriche am Gästeetat
und an der Ausstattung liegt Petersen zum Ende der Spielzeit vermutlich
rund drei Millionen Euro unter dem Etat-Ansatz. 1,4 Millionen wollen
er und Klaus Weise öffentlichkeitswirksam an die Stadt zurückgeben.
Für eine ausgeglichene Bilanz wird sicher auch die Wiederaufnahme
von „Les Misérables“ sorgen. Die hervorragende
Inszenierung von John Dew festigte gemeinsam mit „Cabaret“ von
Pavel Fieber in den vergangenen Spielzeiten das Renommée
der Bonner Musicalproduktionen. Klaus Weise will in der kommenden
Spielzeit mit „Anatevka“, inszeniert von Kirsten Harms,
daran anknüpfen. 2003/2004 wird auch das Händel-Oratorium „Saul“ in
der beeindruckenden Inszenierung von Dietrich Hilsdorf wieder aufgenommen.
Derzeit arbeitet dasselbe Team wie bei „Saul“ mit Hilsdorf,
Dirigent Jos van Veldhoven, Ausstatter Johannes Leiacker und Chordirektorin
Sibylle Wagner an Händels „Belsazar“. Intensive Chorarbeit
Hier ist der Chor physisch und seelisch bis an seine Grenzen
gefordert, erzählt Sibylle Wagner: „Das ist wie eine große
Mozartpartie für einen Solosänger. Der Chor ist ständig
präsent, er ist ja auch Handlungsträger“. 42
Sänger stehen ihr zur Verfügung, die Untergrenze für
ein Haus mit diesem Repertoire, aber für sie die optimale
Größe: „So ist jeder richtig gefordert und fühlt
sich für das Gelingen des Abends verantwortlich“.
Parallel zu „Belsazar“ probt der Chor schon voraus
für „Satyagraha“ von Philip Glass, mit dem im
Juni 2004 die Bonner Biennale eröffnet wird. „Hier
vermittle ich dem Chor mehr an Hintergrundwissen als etwa bei
Verdi. Das italienische Repertoire hat eine lange, hervorragende
Tradition in Bonn, da muss ich nichts zu sagen, aber Minimal
Music wie ,Satyagraha’ müssen wir uns erst erarbeiten“.
Für die Ghandi-Oper liest und singt sie auch gemeinsam mit
dem Chor Sanskrit und setzt sich mit indischer Kultur und Geschichte
auseinander. Den „Saul“, bei dem sie in der vergangenen
Spielzeit in der Continuogruppe mitspielte, wird sie in der kommenden
Spielzeit selbst dirigieren, ebenso Hans Werner Henzes „Pollicino“ und
die Kinderoper „Die drei Rätsel“ von Detlev
Glanert. „Natürlich ist es schön, wenn Kinder
in die Oper gehen, die ,Zauberflöte’ ist wunderbar
für Kinder. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn Kinder
für Kinder spielen, das interessiert sie ungleich mehr und
weckt ihre Liebe fürs Theater“. Angefangen hatte das
Projekt mit der Idee, den Kinderchor auch dann zu beschäftigen,
wenn gerade nicht Opern wie „Hänsel und Gretel“ auf
dem Spielplan stehen. Daraus entstanden Aufführungen von „Brundibár“ und „Der
kleine Schornsteinfeger“. Die große Unterstützung
durch die Theaterleitung, die Eltern und die städtische
Musikschule machte es jetzt möglich, „Pollicino“ mit
einem kompletten Kinderorchester aufzuführen. Neues Team
Als Nachfolger von Marc Soustrot wird mit dem Amtsantritt von
Klaus Weise Roman Kofman neuer GMD und Chefdirigent des Orchesters
der Beethovenhalle. Das Orchester plant mit seinen 106 Musiker
neben den Operndiensten rund 50 Konzerte allein in der ersten
Saison unter seinem neuen GMD, der Schwerpunkte mit der Musik
Beethovens und Schostakowitschs setzen will. In der Oper wird
er Verdis „Macbeth“ und Alban Bergs „Lulu“ dirigieren.
Außerdem kommen „Hoffmanns Erzählungen“ und
die Barock-Oper „Dardanus“ von Jean-Philippe Rameau
auf die Bühne, die wie alle Produktionen weitgehend aus
dem 14-köpfigen Sängerensemble besetzt werden sollen.
Zeitgenössisches wird wie gehabt der kleinen, feinen Reihe „bonn
chance!“ für experimentelles Musiktheater vorbehalten
bleiben. Den starken Schwerpunkt im Schauspiel wird Klaus Weise
beibehalten. Fortgeführt wird auch die Bonner Biennale.
Manfred Beilharz hatte das Theaterfestival in den vergangenen
zehn Jahren gemeinsam mit Tankred Dorst zum wichtigsten Umschlagplatz
für zeitgenössische europäische Dramatik gemacht. Veränderung beim Tanz
Den größten Umschwung muss vermutlich das Tanzpublikum
verkraften. 1997 holte Manfred Beilharz Pavel Mikulástik
mit seinem Choreografischen Theater von Freiburg nach Bonn. Das
Publikum rieb sich zunächst heftig an der ungewöhnlichen
Mischung von modernem Tanz und Artistik, Schauspiel und Gesang,
mit der Mikulástik mal melancholische Geschichten wie „La
Strada“ von Fellini, mal politische Statements wie „Tatort“ über
die dramatische Erschießung des mutmaßlichen Terroristen
Wolfgang Grams durch Beamte des GSG-9 in Bad Kleinen aufarbeitete.
Doch Mikulástik und seine Tänzer blieben beharrlich,
und am Ende demonstrierten nicht wenige Theatergänger für
den Verbleib der Truppe, die aber Klaus Weise nicht behalten mochte.
In den letzten Jahren hatte Mikulástik erfolgreiche Stücke
wie die biblische Erzählung „Ester“ auf die Bühne
gebracht, das Schöpfungsepos „Gilgamesch“, aber
auch die Peter Handke-Bearbeitung „La Cuisine“. Vom
Bonner Publikum verabschiedet er sich mit seiner Truppe mit der
Produktion „©Rats“ – als ultimative Antwort
auf das Musical „Cats“. 14 Ratten toben und tanzen,
steppen und walzern über die Bühne, verwursten alles
von Rap bis „Schwanensee“, mit Charme und der nötigen
Akuratesse, die die Parodie erst witzig macht. Mit „©Rats“ beweist
Pavel Mikulástik erneut seine Fähigkeit, Geschichten
und Charaktere zu erfinden, die ein abendfüllendes Stück
tragen können. Fröhlich bedient sich das Stück bei
allem, was von „A Chorus Line“ über „My
fair Lady“ bis zu „Blues Brothers“ auf der Bühne
funktioniert, angefeuert von der witzigen Musik von James Reynolds
und „The Ratpack“.
Doch nun steht ein ästhetischer Wechsel bevor. Die immer wieder
ins Spiel gebrachte Möglichkeit, gemeinsam mit Köln,
das nur noch von Tanz-Gastspielen lebt, eine Compagnie aufzubauen,
ist vertan. Zur Spielzeit 2003/2004 kommt Johann Kresnik aus Berlin
und bringt seine fertigen Produktionen mit. In Bonn ist für
die erste Spielzeit „Einhundert Jahre Einsamkeit“ nach
dem Roman von Gabriel García Márquez geplant. Pavel
Mikulástik, der einst selbst bei Kresnik tanzte, muss seine
Truppe auflösen und bleibt Manfred Beilharz in Wiesbaden lose
mit Gastspielen verbunden.
Johannes Hirschler |