Mensch im Abgrund
Peter Ruzickas Oper „Celan“ in Mainz
Der beklagenswerte Zustand, dass Uraufführungen speziell
von Opern vor allem dazu dienen, dem
jeweiligen Theater überregionale Aufmerksamkeit zu bescheren, während
die Archive schon gierig den Staub für die Einlagerung der Eintagsfliege
bereitstellen, scheint sich glücklicherweise in der letzten Zeit auf dem
Rückzug zu befinden.
Nur zwei Beispiele seien hier
genannt: Peter Eötvös „Trois
Soeurs“ erfuhren inzwischen
ein halbes Dutzend Nachspielungen, ähnlich Salvatore Sciarrinos „Tödliche
Blume“. Ein Theaterstück oder eine Oper offenbaren erst durch unterschiedliche
szenische und musikalische Interpretationen ihre innere und äußere
Spannweite, eröffnen in unterschiedlichen Inszenierungen unerwartete Perspektiven.
Das gilt auch für Peter Ruzickas „Celan“-Oper, die vor zwei
Jahren an der Dresdner Semperoper uraufgeführt wurde, in der Regie von Claus
Guth und unter der musikalischen Leitung Marc Albrechts. Jetzt kann man an der
Oper in Mainz die zweite Inszenierung besichtigen, in Regie und Ausstattung von
Gottfried Pilz, von Catherine Rückwardt mit großer Perfektion und
hohem Engagement dirigiert: fabelhaft das Mainzer Orchester – in den
Orchestern der mittleren und kleineren Theater arbeiten heute hervorragend
ausgebildete
junge Musiker.
Ruzickas Darstellung der Celan-Figur verfolgt weder die Biografie
des rumänisch-jüdischen
Dichters, der seine Gedichte in Deutsch schrieb, noch will sie Lyrik vertonen
und optisch
garnieren. Ruzickas Ästhetik des Fragmentarischen dient in „Celan“ primär
dazu, in sieben „Entwürfen“ existenzielle Situationen zu zeigen,
die für Leben und Schaffen des Dichters signifikant erscheinen. Celan – auch
eine Chiffre für die existenzielle Not, in die Menschen ohne Schuld und
Zutun geraten können. In Ruzickas Oper tritt dieses übergreifende Element
in hoher Eindringlichkeit Szene für Szene plastisch hervor. Gottfried Pilz
nun treibt die Konzentration weiter: Schwarz ist die dominierende Farbe, magisch
leuchten rote oder weiße Quadrate auf, eine flimmernde Fahrplantafel verbrennt – die
Reise ins Ungewisse hat keinen „Fahrplan“, das könnte es vielleicht
bedeuten. Als Video-Sequenz stürzen immer wieder Figuren kopfüber herab – wo
gibt es noch einen Halt in der sichtbaren Welt. Im Dunkel aber steht der Chor
und singt mit drängender Gewalt sein unaufhörliches „Jerusalem“.
Da spürt wohl jeder im Publikum, der es hört, dass dieser Klang-Ruf
unverändert seine politische Bedeutung besitzt. Im Dichter Paul Celan erfahren wir bestürzend etwas über
die denkbaren Verheerungen der Seele, die eine gedankenlose, kalte,
brutale Zeit anzurichten vermag, wenn in ihr
jedes Gewissen, alle Moral abhanden gekommen ist.
Gerhard Rohde
Info:
Peter Ruzickas erste Oper „Celan“ in Dresden (nmz
2001/04)
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