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Aristokrat und Bestie
„Jekyll & Hyde” im Kölner Musical Dome · Von
Johannes Hirschler
Ein Kopfschütteln reicht, die
Haare fallen ins Gesicht, und aus dem distinguierten Doktor, dessen gemessene
Schritte und tadellose Haltung mit jedem Zoll natürliche Aristokratie verraten,
wird eine menschliche Bestie. Derselbe Mann, jetzt im Pelzmantel, wirkt mit einem
Mal raumgreifend, massig und ungeheuer bedrohlich. Mehr braucht Yngve Gasoy-Romdal
nicht, um sich aus dem idealistischen Arzt Dr. Henry Jekyll in den ruchlosen
Serienmörder Edward Hyde zu verwandeln. Ruhig und klar fließt Jekylls
Stimme, ein mustergültiger Verlobter und Ausbund an männlicher Tugend – und
fast nicht wiederzuerkennen, wenn er als Hyde markerschütternd grollt und
poltert oder mit zynischer Sanftheit mit seinen Opfern spielt. Was der Norweger
mit seinem akzentfreien Bariton und seinen darstellerischen Fähigkeiten
für die Kölner Musical-Produktion leistet, zeigt sich am deutlichsten
in den Begegnungen mit seinen weiblichen Widerparts. Abweichend von Robert Louis
Stevensons Novelle hat der Textdichter Leslie Bricusse die Figuren der unglücklichen
Hure Lucy Harris und Jekylls Verlobter Lisa Carew als starke Gegenspielerinnen
eingeführt. Hyde verletzt Lucy Harris und wird sie schließlich töten,
doch Dr. Jekyll bietet ihr jenseits viktorianischer Doppelmoral seine Freundschaft
und pflegt sie. Anna Montanaro, eines der wenigen deutschen Musicaltalente, die
sich am New Yorker Broadway durchsetzen konnten, verkörpert die Lucy mit
musikalischer Verve und umwerfender tänzerischer und darstellerischer Energie.
Dietrich Hilsdorfs Inszenierung, nach Bremen 1999 und Wien 2001
nun auch in Köln zu sehen, kommt
der überragenden Bühnenpräsenz von Anna Montanaro und Yngve
Gasoy-Romdal entgegen. Der gefragte Regisseur, der an den Opernhäusern
der Rhein-Ruhr-Region maßstabsetzende Mozart- und Verdi-Zyklen inszenierte,
läßt die Schauergeschichte um den doppelgesichtigen Arzt bis ins
drastische Detail ausagieren, mit heruntergelassenen Hosen im Bordell und viel
Theaterblut, wenn Jekyll/Hyde zuletzt von seinem Freund den erlösenden
Gnadenschuss erhält.
Der Bühnenbildner Johannes Leiacker, häufiger Arbeitspartner
Hilsdorfs, hat ihm dazu gemeinsam mit Lichtdesigner Hans Toelstede
einen vieldeutigen Bühnenraum geschaffen.
Dieser gewinnt durch die Distanz zu den historisierenden Kostümen Renate
Schmitzers eine Spannung, die die psychologische Vielschichtigkeit hinter der
Schauergeschichte faszinierend aufschlüsselt. Die riesenhafte Kontur eines
Kopfes, die vor Beginn des Stückes wie ein Passepartout den roten Vorhang
zeigt, zieht sich durch das ganze Stück. Bald ist als Strahlenkranz die
linke Kopfhälfte zu sehen, bald als anatomisches Modell die rechte – Sinnbild
für Jekylls irrwitzigen Versuch, die menschliche Seele in einen guten
und einen bösen Teil aufzuspalten. Die wenigen Dekorationsgegenstände
erlauben einen schnellen und permanenten Wechsel der Bühnenbilder. Wie
ein Film läuft die Inszenierung mit beindruckenden Licht- und Soundeffekten
ab, die jedoch selbst dann, wenn Jekyll/Hyde auf dem Höhepunkt seines
Wahns zu schweben beginnt, immer der Inszenierung dienen und nicht umgekehrt.
Live-Musik ist anscheinend
teuer, und deshalb wollten New Yorks Musicalproduzenten kürzlich als Standard
eine Besetzung von sieben bis maximal 15 Musikern durchsetzen. Es kam zum Streik,
und man einigte sich mit den Gewerkschaften auf eine Reduzierung der derzeit üblichen
Besetzung von rund 25 auf 18 bis 19 Musikerstellen. Hier in Deutschland scheint
eine entsprechende Lobby zu fehlen. Im Kölner Musical Dome, der 1700 Zuschauern
Platz bietet, spielen auf einem luftigen Ausguck über Portalhöhe
rechts am Rande des Zuschauerraums nur noch 16 Musiker, nachdem man in Bremen
mit immerhin 22 gearbeitet hatte. Sauber ausgesteuert, liefert die Kapelle
einen schmissigen Sound, eine bewundernswerte Leistung angesichts der farblosen
Musik von Frank Wildhorn, die man beim Rausgehen schon an der Garderobe wieder
vergessen hat.
So lebt „Jekyll & Hyde“ von
der Leistung seiner Darsteller. Neben Yngve Gasoy-Romdal und Anna Montanaro
fällt die Lisa von Nicole Seeger leicht ab, naturgemäß, bietet
doch das Böse auf der Bühne fast immer mehr Ausdrucksmöglichkeiten
gegenüber dem faden Guten. In ihrer unumstößlichen Treue
gegenüber Jekyll ist sie durchwegs glaubhaft, doch an diesem Abend erwies
sich ihre Mittellage als nicht tragfähig genug für ihre Rolle.
Die meisten der Nebendarsteller wie Hans Holzbecher als Utterson, Brigitte
Oelke als Nellie und Tim Zahner als Poole geben ihren Rollen ein eigenes
Gepräge und sorgen für einen packenden Musicalabend.
Johannes Hirschler
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