Sie wissen halt, wer sie sind
...und dem „Neuen“ William Spaulding · Von Paul
Bräuer Oper & Tanz: Herr Spaulding, wie gefällt es Ihnen in
Berlin?:
William Spaulding: Hervorragend! Nicht nur die Deutsche Oper, sondern
auch die Stadt und die Leute. Ich wurde bis jetzt sehr herzlich
empfangen. Das ist eine sehr positive Arbeitsatmosphäre, die
wir hier haben.
O&T: Sie haben ja auch für Ihre ersten Arbeiten Lob von
Presse und Zuschauern bekommen…
Spaulding: Wir freuen uns riesig über jeden Erfolg des Hauses
und sind stolz darauf, wenn der Chor daran entscheidenden Anteil
hat.
O&T: Nun ist das ja ein Neuanfang.
Und wenn man in einen neuen Chor kommt, braucht es normalerweise
eine Eingewöhnungszeit.
Wie war diese für Sie?
Spaulding: Die war nicht sehr lang. Das hat zum
Beispiel in Mannheim, Barcelona und auch in Wien länger gedauert. Das liegt zum
Teil daran, dass man in Mannheim nach demselben Tarifvertrag wie
hier arbeitet, auch wenn einige Hausordnungspunkte trotzdem etwas
unterschiedlich sind. Ein anderer Grund ist der Kollege Matthiesen,
der mich wunderbar unterstützt hat und über wirklich
unschätzbare Erfahrung verfügt. Er kennt jede einzelne
Einstudierung – Dinge, die in keinem Klavierauszug stehen,
die nur ein Chordirektor sagen kann.
O&T: Was zum Beispiel?
Spaulding: Zum Beispiel von genau welcher Bühnenstelle aus
man einen bestimmten Kulissengesang dirigieren muss, oder an welcher
musikalischen Stelle die Absprache eines Schlusskonsonanten stattfindet.
Nehmen wir an, Sie haben eine Note, die nach der Notierung zwei
Schläge lang gehalten werden soll. Der Chor hat diese Note
aber seit vielen Jahren kürzer, also einen Schlag gehalten.
Nun kann ich viel Zeit sparen, indem ich die gewohnte Fassung,
nämlich einen Schlag, verlange. Nur: das muss ich vorher wissen,
und das kann mir nur jemand sagen, der alle diese Details aus der
Perspektive des Chordirektors selber miterlebt hat.
O&T: Gerade haben Sie die „Cavalleria Rusticana“ und
den „Bajazzo“ in der Inszenierung von David Pountney
gegeben.
Spaulding: Ja, das ist auch ein gutes Beispiel:
Da treten die Choristen von drei verschiedenen Stellen auf, was
zu einer Einmaligkeit geführt
hat: drei Chordirigenten hinter der Bühne! O&T: Und das ist wirklich
notwendig?
Spaulding: Fragen Sie mal den Chorsänger, der – isoliert
von seinen Kollegen – in raschem Tempo etwas singen muss,
aber sonst keinen Dirigenten sähe.
O&T: Nun hat der Chor der
Deutschen Oper einen sehr guten Ruf. Ein Unterschied zur Arbeit
in Mannheim?
Spaulding: Das ist natürlich eine Ehre und das wird es bleiben.
Der Chor hat eine einmalige Tradition auch durch unzählige
Aufnahmen mit Karajan, Thielemann, Sinopoli. Das stimmt einen schon
ehrfürchtig, nachdenklich und bescheiden. Aber auch Mannheim
hat einen Chor der ersten Klasse. Eigentlich gibt es da mehr Ähnlichkeiten
als Unterschiede.
O&T: Erfordert der große Name des Chores manchmal eine
besondere Behandlung?
Spaulding: Na ja, sie wissen halt, wer sie sind,
und wollen sich nicht unter dem verkaufen. Da ist auch nichts Verwerfliches
dran.
O&T: Als erster Chorleiter
hat man zwar eine gewisse Präsenz,
steht aber nicht so in der Öffentlichkeit wie der Regisseur
oder der Dirigent. Findet man dennoch einen eigenen Klang, den
man dem Chor vermittelt?
Spaulding: Die Sprache des Chores ist die Sprache
der großen
Werke und Komponisten. Wenn wir Mozart aufführen, wollen wir
keinen besonderen Klang, der losgelöst von Mozart ist. Wenn
man sich einhundertprozentig der Aufgabe widmet, die Anforderung
eines Werkes zu erfüllen, dann relativieren sich alle diese
Fragen nach Individualität und Eigenem. „Ist es Mozart?“ – das
ist der Maßstab wenn wir ganz ehrlich sind, und nicht: „Heben
wir uns ab?“
O&T: Kann man so Ihren Stil
charakterisieren? Präzise
und dem Werk treu?
Spaulding: Die wahre Musik liegt – wie Mozart selber gesagt
hat – zwischen den Noten. Ein geistiges Ganzes. Dem verschreibe
ich mich. Ich möchte mich aber sofort distanzieren von dem
Begriff der „Werktreue“, der mit Noten- und Buchstabentreue
gleichzusetzen und nur vermeintlich stilgerecht ist. Jetzt steht
bei uns zum Beispiel „Lohengrin“ vor der Tür.
Da gibt es eine Passage „Bewahre uns des Himmels Huld“,
die soll laut Vorschrift pianissimo anfangen. Da wird man aber
vom Orchester begleitet, und ich täte hier den Teufel, pianissimo
im Sinne von „gerade noch hörbar“ zu verlangen...
O&T: ...wie im Pilgerchor
von „Tannhäuser“,
den Sie für die nächste Spielzeit einstudieren werden?
Spaulding: Wie in der Tempelszene der „Aida“, die wir
gerade einstudiert haben! „Tannhäuser“ ist wieder
ein anderer Fall, denn der Chor fängt ja hinter der Szene
an, zieht an ihr vorbei und hört erst auf der anderen Seite
hinten wieder auf, dort klingt der Chor automatisch leiser. Bei „Aida“ stehen
alle auf der Bühne.
O&T: Es scheint zu funktionieren.
Sie haben Lob bekommen für
Präzision insbesondere in der Dynamik.
Spaulding: Ich freue mich, dass man die Präzision lobt. Aber
es gibt eigentlich keine Geheimnisse. Es ist so viel gewonnen,
wenn der Chor zusammen anfängt und zusammen aufhört.
Deswegen sollten wir die Takte vor unserem Einsatz mindestens genauso
gut kennen, wie das Eigentliche, das man singt.
O&T: Für einen engagierten Klang, wie ihn der Chor der
Deutschen Oper hat, ist aber auch Leidenschaft nötig. Haben
Sie als Chordirektor Einfluss darauf?
Spaulding: Ich glaube schon, dass man auf den
Klang einen Einfluss hat. Beim italienischen Repertoire beispielsweise
versuche ich
oft, den Herrschaften eine sehr runde Tongebung nahezulegen und
von Dingen abzusehen, die in der deutschen Musik selbstverständlich
wären, zum Beispiel eine stellenweise hellere Tongebung oder
die deutliche Trennung der Noten. Das „Regina Coeli“ in
der „Cavalleria Rusticana“ ist ein wirklich sehr gutes
Beispiel dafür. Rund und weich, statt textbetont.
O&T: Bei Wagner dagegen kommt dem Chor eine
ganz andere Rolle zu. Arbeiten Sie viel am Stil?
Spaulding: Ich versuche schon, gerade diese stilistischen
Unterschiede herauszuarbeiten.
O&T: Götz Friedrichs „Lohengrin“-Inszenierung
geht sehr auf die Musik ein. Wie kommen Sie mit anderen Fällen
der Regie klar?
Spaulding: Ich versuche immer, gemeinsam mit der
Regie ein Konzept zu entwickeln, das für alle Beteiligten vorteilhaft ist. Sicher
kann man über vieles diskutieren, aber wir sollen die Bereitschaft
nie verlieren, Gewohntes zu hinterfragen.
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