|
Die Bedeutung des Profichors
Der „kleine“ Opernchor am Beispiel Osnabrück
Nicht jede Bühne verfügt über einen Chor von 50
oder sogar 80 Sängern. Was bedeutet es für die vielen
kleinen, aber nicht weniger ambitionierten Häuser, die großen
Werke der Literatur trotzdem herauszubringen? In einem Hintergrundgespräch
für „Oper&Tanz“ stellten sich Chordirektor
Peter Sommerer sowie Chorvorstand und VdO-Mitglied Stefan Kreimer,
die gerade am Theater Osnabrück den „Tannhäuser“ probieren,
den Fragen von Christian Tepe.
Oper & Tanz: Ist es künstlerisch eigentlich befriedigend,
große Choropern wie „Tannhäuser“ an kleinen
Häusern aufzuführen, die nur wenig mehr als 20 professionelle
Chorsänger haben?
Peter Sommerer: Den Beweis müssen wir letztlich bei der Premiere
antreten. Ich bin sehr zuversichtlich. Natürlich sind die
Herausforderungen für jeden Einzelnen immens. Die großen
Pilgerchöre haben wir durch den Extrachor verstärkt.
Die speziellen Schwierigkeiten beim „Tannhäuser“ sehe
ich in den reichhaltigen A-cappella-Stellen. Man muss sich wie
ein Konzertchor in klanglicher Balance üben, um die Intonation
zu halten.
Stefan Kreimer: Was die musikalisch-dynamische Spannbreite angeht,
die kann man mit einer Besetzung von, sagen wir, 46 Sängern
aus Haus- und Extrachor vollends hören lassen, so wie sie
Wagner einfordert. Bei einem Chor unserer Größenordnung
besteht natürlich für den einzelnen Sänger schnell
die Gefahr, stimmlich zu übersteuern, weil man denkt: Wir
sind ja nur so wenige! Sobald man jedoch die dynamischen Vorschriften
Wagners genau einhält, ist die musikalische Wirkung auch an
einem kleinen Haus automatisch da.
O&T: Um klanglich dürftigen Ergebnissen vorzubeugen, entwickelt
man an kleineren Theatern gelegentlich pragmatische Lösungen
wie die Vereinfachung des Chorsatzes durch Zusammenlegung einzelner
Chorpartien oder sogar die Verwendung eines Tonbandes. Finden Sie
das künstlerisch vertretbar?
Sommerer: Eine schwierige Frage, die man nicht pauschal beantworten
kann. Am Ende muss jeder musikalische Leiter für sich selber
entscheiden, ob er das gut findet. Die Debatte über die Werktreue
reicht gerade bei Wagner von absolutem Bruch (auch szenisch) bis
zu einer gewissen Heiligkeit der Werke, wo nichts verändert
werden darf. Prinzipiell bin ich der Meinung, man sollte schon
versuchen, die Stücke möglichst so aufzuführen,
wie sie vom Komponisten aus gedacht sind. Lösungen mit Band
sind zwischendurch sicher auch mal zulässig, solange daraus
nicht ein Dauerzustand wird. Geht es allerdings nur noch darum
Kosten einzusparen, dann bin ich dagegen. Wenn zum Beispiel bei
Mozarts „Entführung“ der Chor vom Band kommt,
sehe ich das sehr kritisch, da in diesem Fall keine künstlerische Überlegung,
sondern nur noch der Pragmatismus vorherrscht.
O&T: Auswendig singen, präzise auf Stichworte einsetzen
und dazu noch darstellerisch überzeugend agieren – dies
alles erfordert geschulte Spezialisten. Welche Möglichkeiten,
aber auch welche Grenzen sehen Sie für die Mitwirkung des
Extrachores bei einer „Tannhäuser“-Produktion?
Sommerer: Ich beschreibe die Mitglieder des Hauschores gerne als
die Einzelfliesen eines großen Mosaiks. Und um die Fugen
zu füllen, damit jede einzelne Fliese zur Geltung kommen kann
und sich ein Gesamtbild ergibt, ist der Extrachor mit seinen ganz
unterschiedlichen Stimmqualitäten von Gesangsstudenten bis
zu engagierten Hobbysängern quasi der Fugenkitt.
Kreimer: Ich warne in diesem Zusammenhang aber davor zu glauben,
dass es keinen Profichor mehr geben muss. Die Qualität eines
Extrachores ist hinlänglich nicht zu vergleichen mit der eines
Profichores. Das muss man ganz klar sagen. Die Charakteristik der
einzelnen Stimmgruppen legt der Hauschor fest, ihm obliegt die
Stimmführung. Das Klangvolumen, die Fülle, entsteht dann
auch durch die Unterstützung des Extrachors.
O&T: Zum Verhältnis von Einzelstimmen und Chorklangeinheit
hat Norbert Balatsch einmal formuliert: „Man muss gewisse
individuelle Anschauungen korrigieren, damit EINE Klangfarbe herauskommt.“
Kreimer: Man singt nicht nur mit der Stimme, sondern auch mit den
Ohren. Ich muss auch hören, was die anderen machen. Im Orchester
ist es ähnlich, da spielt nicht nur jeder privat seine Violine,
sondern die Instrumentalisten entwickeln gemeinsam einen Klang.
Genau dies macht auch die Arbeit im Chorsaal aus.
Sommerer: Solange sich jeder Sänger nach bestem künstlerischen
Wissen und Gewissen einbringt, ist das, was der Einzelne zurücknehmen
muss, um ein einheitliches Bild zu gewinnen, viel weniger als man
ursprünglich glauben möchte. Was bei Wagner immer wieder
ein besonderes Thema ist, sind die Klangfarben der Vokale. Durch
die große Internationalität unseres Ensembles spricht
sie natürlich jeder anders aus, da muss ich dann manchmal
klare Anleitungen geben.
O&T: Herzlichen Dank für das Gespräch
|