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Rückkehr zur Neoklassik
Robert Conn, neuer Ballettchef in Augsburg · Von Malve Gradinger Können Fans der „danse d‘école“ jetzt
wieder frohlocken? Hierzulande muss man ja seit plus oder minus
35 Jahren nach Berlin, Hamburg, München und Stuttgart reisen,
um Tanz auf Spitze zu sehen. Denn in Deutschlands mittleren und
kleinen Theatern dominieren Tanztheater und Modern Dance. Robert
Conn, im Herbst 2007 frisch angetreten als Augsburgs Ballettchef,
strebt nun eine Wende an – eine Rückkehr zur Neoklassik,
allerdings in ihren aktuellen Formen, „von fein geschliffener
neoklassischer Linie auf Spitze bis zu sinnlich athletischem Tanz“.
Drei „kinetische Handschriften“ hat er in seiner zweiten
Premiere im März dieses Jahres vorgestellt (s. unsere Kurzkritik).
Möglichkeiten und Grenzen
Sein Plan ist kühn. Aber Robert Conn kann immerhin auf seine
große Erfahrung zurückgreifen: Der Amerikaner aus Arkansas
schaffte es als junger Tänzer nach New York ins Joffrey Ballet
und ins illustre American Ballet Theatre (ABT). Wurde dann Erster
Solist im international renommierten National Ballet of Canada.
Als dessen Leiter Reid Anderson, ein ehemaliger Cranko-Solist,
1996 das Stuttgarter Ballett übernahm, ließ er Conn
1997 nachkommen. Praktisches Know-how in Trainings- und Leitungsaufgaben
holte sich Conn gleich nach seinem Bühnenabschied 2003 als
Ballettmeister und Stellvertreter von Tanzchefin Daniela Kurz am
Theater Nürnberg. „Natürlich kann ich mit meinem
Ensemble kein ‚Stuttgarter Ballett‘ machen“,
räumt er ein. „Wir sind 14 Tänzer, aber haben nur
11 Verträge. Der elfte ist gesplittet in zwei Eleven-Verträge,
und ein Vertrag ist gesponsert. Mit 14 bis 16 Tänzern kann
man aber schon viel machen. Leider sind Stücke zum Beispiel
von Jiri Kylián oder Mauro Bigonzetti für uns zu teuer.“
Aber auch ohne Elite-Gäste muss er hart kalkulieren. Denn
Conn sieht sich nicht als Choreograf, muss dennoch mit demselben
Budget auskommen wie seine Modern-Dance-Vorgänger, die sich
ihre Abende selbst choreografierten. „Es kosten ja nicht
nur die Gast-Choreografen, sondern auch ihre Ballettmeister, die
die Stücke bei uns einstudieren... Allein die Spitzenschuhe
für diesen neuen Abend haben 18.000 Euro verschlungen.“ Conn
ist jedoch – was ihm jetzt hilft – groß geworden
in nicht oder kaum subventionierten Theatersystemen: „Schon
bei Robert Joffrey wurden wir Tänzer angehalten, uns aktiv
im Bereich ‚fundraising‘ und ‚sponsorship‘ zu
engagieren. Und Reid Anderson war auf diesem Gebiet überhaupt
der Beste. Bei ihm habe ich gelernt, meine Augen offen zu halten,
für das, was hinter der Bühne und in den verschiedenen ‚fundraising‘-Büros
passiert. Heute kommen auch die deutschen Theater nicht mehr ohne
Sponsoren aus. Das ist einfach eine neue Realität.“ Ein Spiegel für die Tänzer
Vor aller Pragmatik steht Conns leidenschaftliches künstlerisches
Engagement: „Ich hatte das Glück, so viele Ballette
ganz verschiedener Tanzschöpfer zu tanzen, dass ich jetzt
bei jeder Handschrift sofort erkenne: Das geht mehr in die Richtung
Jiri Kylián oder Nacho Duato; das ist mehr der Dekonstruktionsstil
von William Forsythe; da ist ein Touch Martha Graham drin. Und
ich weiß auch gleich, wie diese Bewegung sich im Körper
anfühlt. Deshalb liebe ich es, Spiegel für die Tänzer
zu sein. Nicht, um sie auf Takte und Präzision zu drillen.
Sondern um ihnen zu zeigen, wie sie das Stück angehen sollen,
mit welcher Energie, wo der Atem ist.“
Fürs Coachen scheint Conn also bestens gerüstet. Nach
dem vorwiegend abstrakten neoklassischen Repertoire des Joffrey
Ballet begegnete er im ABT den großen klassischen Handlungsballetten „Romeo
und Julia“, „Schwanensee“, „Dornröschen“.
Der aufstrebende Tänzer wurde inspiriert vom damaligen ABT-Leiter
Mikhail Baryschnikow. In den folgenden beiden Engagements wurde
die Stil-Palette für Conn noch breiter. Denn Ballettchef Reid
pflegt im National Ballet of Canada ein exzellent aus amerikanischen
und europäischen Werken gemischtes Repertoire, fördert
anschließend in Stuttgart zusätzlich den choreografischen
Nachwuchs. Conn bleibt dennoch bescheiden: „Ich hatte nie
diese ‚danseur-noble‘-Linie eines Wladimir Malakhov,
auch nicht die körperlichen Voraussetzungen für eine
entsprechende Technik. Aber es gibt gewisse Aspekte der Bühnenkarriere,
mit denen ich mich völlig identifizieren konnte. Auf der Bühne
zu stehen, zum Beispiel in John Crankos ‚Der Widerspenstigen
Zähmung‘, hinüberzuschauen zu der Partnerin und
genau zu fühlen, wer ich war in eben diesem Moment, und genau
ihre Energie zu spüren. Und wenn beide dann eine vollkommene
Einheit bilden und vergessen, dass da überhaupt Publikum ist,
war das für mich immer der beste Moment. Als sich das entwickelte
und ich als guter Partner galt, habe ich diese Fähigkeit weiter
ausgebaut, um auch flexibel zu sein für ganz verschiedene
Ballerinen... Man muss im Voraus wissen, was die Partnerin tut,
was sie von einem erwartet. Man muss vor allem zusammen mit ihr
atmen.“
Natürlich hätte er jetzt Lust, dieses Wissen weiterzugeben,
auch in Augsburg Handlungsballette zu bringen. „Was ich mir
wünsche, wäre ein Choreograf, der in einem athletisch-neoklassischen
Stil arbeitet und zugleich auch ein Erzähl-Talent hat. Aber
die wenigsten Choreografen heute sind Erzähler. Das ist ein
Problem unserer Zeit.“
Malve Gradinger |