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Im Spiegelbild der Realität
Daniela Kurz‘ letzte Uraufführung in Nürnberg · Von
Vesna Mlakar
Mit voller Kraft bis zum Schluss. Nur so und nicht anders will
Daniela Kurz ihre zehnjährige Amtszeit an der Spitze des Tanztheaters
Nürnberg beenden: „Wir arbeiten als Team schon sehr
lange zusammen, viele aus dem Ensemble sind seit sieben oder acht
Jahren dabei.“ Obwohl Kurz sicher ist, an verschiedenen Orten
und zu anderer Zeit wieder auf Leute aus ihrer Truppe zu treffen,
zwingt der bevorstehende Intendantenwechsel am Haus sie alle zum
harten Schnitt. Denn dahin, wohin Wulf Konolds Nachfolger Peter
Theiler den Tanz und vor allem die Tänzer ab der neuen Spielzeit
bringen will, kann die anerkannte zeitgenössische Choreografin
ihm („Wir haben uns sehr am Thema Musical aneinander aufgearbeitet“)
nicht folgen. „Die Trennung“, versichert sie, „hat
ganz klar einen künstlerischen Grund. Doch noch treibt uns
nicht der große Abschlussschmerz. Der wird sich wohl einstellen,
wenn die letzte Vorstellung im Juli gelaufen ist. Bis dahin sind
wir gut beschäftigt“.
Ihr letztes großes Tanzstück für das Staatstheater
der fränkischen Metropole hatte am 17. Mai Premiere. Und obwohl
der Titel „Nächster Halt: Freiheit!“ eine mehrdeutige
Auslegung geradezu herausfordert („eine schöne Fügung“),
ist sein Schwerpunkt ganz eindeutig ein sozialkritischer und politischer.
Noch bevor der Vorhang sich hebt, rezitiert eine Stimme aus dem
Off die neue Hausordnung des Theaters und weist das Publikum an,
gefährliche Gegenstände beim Personal in Verwahrung zu
geben. Das Verhüllen des Gesichts ist verboten, so wie Emotionen,
da diese – registriert über ein neuartiges Sensorensystem
an den Sitzen – Alarm auslösen. Auf den Hinweis der
Videoüberwachung des Zuschauerraums folgt die Aufforderung,
das Mobiltelefon zwar leise zu stellen, aber nicht auszuschalten,
damit die Besucher auch ja geortet werden können. Dieser verbale
Auftakt, beißend witzig von der Autorin Juli Zeh speziell
für den Abend ausformuliert, provoziert so manchen Lacher.
Etwas später nimmt Kurz darauf Bezug, wenn sie ihre Tänzer
in Designermilitärklamotten (Kostüme: Frank Albert) vor
einer Mauer aus aufgerichteten Tischen über die Vorderbühne
marschieren und einen älteren Herrn aus dem Parkett vor aller
Augen in grober Manier filzen und in die Psychomangel nehmen lässt.
Das Thema ist ernst und Bilder von Gewalt, Terror, Gefangenschaft,
Krankenlager und Verhören prägen den Großteil der
90 Minuten dauernden Choreografie. Ihre Struktur gründet,
wie schon so oft zuvor bei Daniela Kurz, auf einer intensiven gemeinsamen
Recherchearbeit der gesamten Nürnberger Mannschaft. Im Fokus
steht dabei der Begriff „Freiheit“. Ein Grundimpuls
war dabei die Angst vor dem Terrorismus, die die Menschen weltweit
nach immer mehr (vermeintlicher) Sicherheit suchen lässt und
im Zuge derer auch hierzulande – bisher zumeist ohne größere
Auflehnung – erste freiheitlich-demokratische Grundrechte
aufgegeben werden.
Daniela Kurz schildert, wie sie in der Vorbereitungsphase über
mehrere Tage Menschenrechtspreisträger der Stadt Nürnberg
im Studio zu Gast hatte, die über ihre Arbeit berichteten. „Wir
besuchten gemeinsam das Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen
Reichsparteitagsgelände und starteten außerdem eine
große Umfrage, wobei wir Zuschauer sowie verschiedene Persönlichkeiten
aus Kunst, Kultur, Religion und Politik baten, uns ihren persönlichen
Freiheitsbegriff zu definieren. Das Überraschende dabei war,
dass die Menschen Freiheit überwiegend nur über das Gegenteil,
die Unfreiheit definieren. Aus der Materialfülle haben wir
dann versucht, diejenigen Elemente herauszufiltern, die für
verschiedene Ebenen, Orte und auch Zeiten sprechen.“
Auf diese Weise ist ein Werk entstanden, das bisweilen fast schon
zu eindeutig Begebenheiten zum Thema Unterdrückung in Wort
und Bewegung zitiert, ohne jedoch einen wirklichen Spannungsbogen
aufzubauen oder nachhaltig zu kommentieren. Nach einem eindrücklichen
Solo – einem der wenigen, in dem die individuelle Auseinandersetzung
mit der „Freiheit“ anklingt –, umwickelt eine
Frau einen Mann, der in einem einseitig geöffneten Kubus Schutz
und Zuflucht sucht, mit einem orangefarbenen Tuch und steckt ihm
eine Fackel in die erhobene Hand. Zum Symbol der Freiheitsstatue
mutiert, wird der arme Kerl daraufhin von einem Miniflieger bedroht.
Die Anspielung ist klar, ebenso, wenn die Tänzer ihre bloßen
Unterarme vorzeigen: Hier standen die Nummern der KZ-Häftlinge.
In Guantanamo werden sie heutzutage mit Filzstiften dorthin geschrieben...
Live durch den Saal dröhnende Trommelsalven und Schläge
auf den Bühnenboden (Anno Kesting) sowie in elektronische
Soundkreationen gebettete Trompetenklänge (Udo Moll) begleiten
das Geschehen, an dessen Anfang und Ende die zwölf Tänzer
in verschiedenartigen weißen Gewändern das Publikum
in einem wirbelnden Bewegungsfluss auf die Reise zu einer multikulturellen
Utopiegemeinschaft entführen. Geschickt hantieren die durchweg
exzellenten Darsteller mit wenigen Requisiten. Und die einzelnen
Szenen, wenngleich manchmal ein wenig in die Länge gezogen,
verschmelzen zu einem anschaulichen Bilderreigen, dessen Stärken
trotz gut gecoachter Sprechpassagen (Co-Regie: William Nadylam)
in den so fabelhaft wie hingeworfen wirkenden Tanzmomenten liegen.
Vesna Mlakar
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