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Moderne und einsame Menschen
Drei Schönberg-Einakter in der Oper Leipzig · Von Werner
Wolf
Mama, was sind das, moderne Menschen?“, fragt am Ende der
Oper „Von heute auf morgen“ (1928/29) das Kind eines
Ehepaares. Das lässt Arnold Schönberg in seinem Einakter
nach einem Text seiner sich hinter dem Pseudonym Max Blonda verbergenden
Frau Gertrud als Frage offen. Nachdem sich eine Frau ohne Namen
mit ihrem ebenso namenlosen Mann gehörig gestritten hat, finden
beide im Dialog mit der vom Mann anziehend gefundenen Freundin
der Frau und deren Freund wieder zueinander. Das schafft die Frau,
indem sie die Freundin übertrieben kopiert und dem Mann einen
Flirt mit deren Freund vorführt. Haben sie aber wirklich zueinander
gefunden? Es sind im Grunde so einsame Menschen wie jene in den
etwa 20 Jahre vorher geschaffenen Einaktern „Erwartung“ (1909)
und „Die glückliche Hand“ (1910/13).
Das Monodram „Erwartung“ nach einem Text von Marie
Pappenheim zeigt die Tragödie einer Frau, die ihren Geliebten
erwartet und ihn nach irrem Suchen tot auffindet. Im Mittelpunkt
von „Die glückliche Hand“ nach einem Text des
Komponisten steht ein vereinsamter Mann, der trotz Warnungen abermals
vergeblich versucht, sein Glück mit einer Frau zu finden.
Wenn man die Texte liest, könnten sie – abgesehen von
der expressionistischen Diktion der beiden frühen Werke – heute
geschrieben sein. Vor allem aber die mit seismographischem Gespür
geschaffene Musik zwingt zur unmittelbaren Anteilnahme. Die Geschehnisse
in „Erwartung“ und in „Die glückliche Hand“ lassen
verstehen, wie sie Schönberg zur Aufgabe tonaler Beziehungen
drängten. Das musikalische Geschehen kann zu derartigen Vorgängen
am Ende nur ins Leere laufen.
Anders sieht das in der Oper „Von heute auf morgen“ aus,
die der Komponist in einem Brief als „heiter bis lustig,
manchmal sogar komisch“ bezeichnete. Die hier angewendete
Zwölftontechnik birgt kompositorische Strenge in sich, die
eine sozusagen federleichte Wiedergabe verlangt. Dem trauten der
Regisseur dieses Stückes, Immo Karaman, und sein Bühnenbildner
Kaspar Zwimpfer nicht recht. Damit es heiter, lustig, ja komisch
werden soll, lassen beide die gesamte Wohnungsausstattung des streitenden
Ehepaares einschließlich Kühlschrank, Waschmaschine
und Badewanne wie auch Beleuchtung wiederholt vorüberfahren
und am Schluss zu einem Gerümpelberg auftürmen. Nicht
wenige Theaterbesucher freuen sich vor allem darüber. Weil
Wortverständlichkeit unbedingt notwendig, aber nicht leicht
ist, wird der gesamte Text eingeblendet. So sind Auge und Ohr und
dazu noch Verstand gleichzeitig gefordert. Hendrikje Wangemann
als Frau würde auch bei weniger „Möbelrücken“ szenisch-musikalische
Lebendigkeit erreichen. Sie setzt dem Mann gehörig zu und
Wolfgang Newerla hat da vor allem zu reagieren. Was der Freundin
abgefordert wird, bietet Susanna Andersson beweglich. Timothy Fallon
als deren Partner darf den eitlen, etwas einfältigen Tenor
spielen.
Schon hier entsteht eine Diskrepanz zwischen Regie und Musik.
Dem für „Die glückliche Hand“ verpflichteten,
in Venezuela aufgewachsenen Regisseur Carlos Wagner fehlt jedes
Gespür für die Vorgänge und die Musik in „Die
glückliche Hand“. Er betrachtet das Ganze im Gegensatz
zu Schönberg als bloßes Spiel. Der Mann schwebt im Raumfahreranzug
herab und findet sich bald auf einem Fußballplatz, auf dem
sich sechs Fußballer (Mitglieder der Kampfsportgruppe der
Universitäts-Sportwissenschaft) in sachsen-grünweißer
Kleidung (Bühneneinrichtung und Kostüme Daphne Kitschen)
tummeln. Offensichtlich wollten der Regisseur und die Ausstatterin
in diesem bedrohlich ernsten Stück den Zuschauern auch einigen
Spaß bereiten. Da hat es Matteo de Monti als ernsthaft agierender
und eindringlich singender Mann ohne Namen schwer. Die enormen
gesangstechnischen Anforderungen an den das Stück eröffnenden
und beschließenden (unsichtbaren) Chor bewältigen die
von Stefan Bilz vorbereitete Mitglieder des Opernchores souverän.
Zu welchen Leistungen der Leipziger Opernchor insgesamt fähig
ist, hatte er ja schon 1994 in Schönbergs „Moses und
Aron“ bewiesen.
Den Höhepunkt des Abends schafft Deborah Polaski als Frau
in „Erwartung“. Zunächst minutenlang an einem
Tisch sitzend, dann stehend, erfüllt sie Wort und Musik mit
bezwingender, tief bewegender Ausdruckskraft. Hier vertraut die
Regisseurin der Musik und deren Interpretin. Allerdings versetzt
Sandra Leupold die Sängerin im Gegensatz zur farbenreichen
Musik, die wie jene zu „Die glückliche Hand“ eine
differenzierte Ausleuchtung düsterer szenischer Vorgänge
verlangt, in einen weiß getünchten, grell ausgeleuchteten
Raum. In keinem der drei Stücke führen die Abweichungen
von den Vorgaben der Partituren zu vertieften Einsichten – im
Gegenteil.
Stets auf der Höhe der Aufgaben stehen das Gewandhausorchester
und der Dirigent Axel Kober. Vor allem in „Die glückliche
Hand“ und „Erwartung“ erschließt Kober
mit den beweglich reagierenden Musikern das feingliedrige, farbenreiche
und auch in zarten Abschnitten ausdrucksdichte Geschehen eindringlich
und nachhaltig. Da wird kaum spürbar, welche enormen Anforderungen
die Musik Schönbergs an die Interpreten stellt.
Werner Wolf
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