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Kulturpolitik

Großes Solo für den Chor

Chorklangprofile in Oldenburg, Köln und Essen · Von Christian Tepe

Den Opernchor stellte Richard Wagner in seinen Schriften gerne als obsolete Erscheinungsform der Prunk- und Ausstattungsoper hin: „Der massenhafte Chor unserer modernen Oper ist nichts anderes als die zum Gehen und Singen gebrachte Dekorationsmaschinerie des Theaters.“ Scheinbar im Widerspruch zu diesen Verlautbarungen sind die Chorszenen in seinen eigenen Opern theatralisch stets sehr wirkungsvoll. Wenn Wagner seine Werke selbst inszenierte, setzte er alles daran, die anfangs oft steif und hölzern agierenden Chorsänger zur vollen Beteiligung am dramatischen Geschehen zu führen. Der individuelle Ausdruck in Haltung, Blick und Gebärde sollte die überkommene Opernschablone beseitigen.

Verbannung hinter die Bühne

 
Ensemble, Chor und Extrachor am Oldenburgischen Staatstheater. Foto: Andreas J. Etter
 

Ensemble, Chor und Extrachor am Oldenburgischen Staatstheater. Foto: Andreas J. Etter

 

Was seinerzeit mühsam erkämpft werden musste, gehört heute, nach der längst abgeschlossenen Professionalisierung des Berufs, zu den selbstverständlichen Qualifikationen jedes Opernchormitglieds. Doch heißt dies keineswegs, dass die schauspielerischen Fähigkeiten der Sänger nun auch in den aktuellen Inszenierungen tatsächlich zur Geltung kommen dürfen. In Oldenburg verbannt Alexander von Pfeil in seiner „Tannhäuser“-Inszenierung den Chor fast durchgängig hinter die Bühne und zuletzt auf die Ränge des Zuschauerraums. Immerhin: Durch den eigenartig beseelten und schwingenden Vortrag der sehr spirituell interpretierten, inwendig glühenden Pilgerchöre sind die von Thomas Bönisch zudem sicher und präzise vorbereiteten Sänger vokal raumgreifend präsent. Über welche Regiequalitäten von Pfeil eigentlich verfügt, zeigt sich daran, wie minutiös jede seelische Regung im Beziehungsgeflecht unter den Protagonisten körperlich ausgedeutet wird. Davon profitiert im zweiten Aufzug endlich auch der Chor. Hier gelingt dem Regisseur ein virtuos arrangiertes und mit feinsinniger Ironie angereichertes Genrebild einer ebenso distinguierten wie scheinheiligen Wartburg-Gesellschaft, das durch den lustvoll befreiten Spielwitz der Chorsänger zum augenfälligen Höhepunkt der Aufführung avanciert.

Aggressive Sinnlichkeit

Es ist schon erstaunlich, wie individuell die Chorklangprofile an den verschiedenen Bühnen ausgeprägt sind. Während in Oldenburg ein durchaus glaubwürdiger Ton sublim vergeistigter Religiosität dominiert, verblüffen im Kölner „Tannhäuser“ die Pilgerchöre durch ihre fast aggressive Sinnlichkeit. Auch die teils wuchtig geballten, teils dramatisch aufgespaltenen Chöre im zweiten Akt hat Kölns Chordirektor Andrew Ollivant zu einem prächtigen Hörerlebnis von großer Plastizität, Schlagkraft und vokaldramatischer Intensität gesteigert. Regisseurin Jasmin Solfaghari versucht wenigstens, die ergiebigen dramatischen Möglichkeiten der Chorszenen voll auszuschöpfen, wie zum Beispiel zu Beginn des letzten Aufzugs, wenn die aus Rom zurückkehrenden, entsühnten Pilger teilnahmslos an der verzweifelten Elisabeth vorbeiziehen. Stark im Atmosphärischen, bleibt Solfagharis Deutung konzeptionell blass. Die modisch austauschbare Glaspalastästhetik der Bühne wirkt willkürlich aufgepfropft. Es scheint müßig, auf den im Stück behandelten Gegensatz von Natur und Unnatur auch nur hinzuweisen. Zur Frühlingslandschaft in Thüringen fällt heute einfach niemandem mehr etwas ein.

Vieldimensionaler Chorklang

Zumindest an szenographischer Phantasie und amüsanten Regieeinfällen mangelt es dem „Tannhäuser“ des Essener Teams um Altmeister Hans Neuenfels nicht. Mit einem Alter Ego Wagners als Titelhelden, mit Stangenwäldern, die sich in rauchende Schlote verwandeln, mit bühnenbildnerischen Reminiszenzen an Neuschwanstein und die Industriegeschichte des Ruhrgebiets – und natürlich mit einem König Ludwig als Überraschungsgast wird diese bunte Abfolge von Sketchen niemals langweilig, ohne dass indes ein sinnstiftender Zusammenhang immer erkennbar ist – oder auch nur erkennbar sein soll. Als wäre ein ironischer Kommentar zu Wagners Bemühungen um ein bewegliches, ungekünsteltes Spiel der Chorsänger beabsichtigt, stecken die gleichgeschalteten Choristen zu Beginn der Festszene und zum Finale in skurril stilisierten Einheitskostümen. Überhaupt nicht eindimensional wirkt dagegen der sehr warme und leuchtende Chorgesang, der bei strenger Wahrung einer homogenen Chorklangeinheit die Individualität der Stimmen dennoch ahnungsweise durchschimmern lässt. In dieser genau ausbalancierten Dialektik von Einzelstimme und Ensemble setzt die Einstudierung von Chordirektor Alexander Eberle höchste Maßstäbe. Vielleicht schwebte Wagner Ähnliches vor, als er bei den Proben zu seinen romantischen Opern den Chorsängern immer wieder zurief: „Schreit nicht, singt, singt so schön als möglich, als wenn ihr lauter Solopartien vorzutragen hättet!“ – Fazit: Alle besuchten Aufführungen beweisen die musikalische Klasse, Leistungsfähigkeit und jeweils exklusive klangliche Profilierung der Chöre; nur den Regisseuren fehlt es bisweilen an Interesse, Ideen und Mut, mit den Chorsängern szenisch individuell zu arbeiten.

Christian Tepe

 

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