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Ein archaisches Matriarchat
Robert Carsens legendäre „Kátja Kabanová“ in
Köln · Von Christian Tepe
Es gibt in dieser düsteren Opernballade mit ihrer rastlos
vorwärtsdrängenden Handlung, ihrem opaken Schicksalston
einen seltsamen Fremdkörper, der den dramatischen Fluss störend
aufhält. In seinem sarkastischen Tonfall steht dieser Einschub
im äußersten Kontrast zu dem Ernst, zu der Hingabe und
Liebe, mit der Janáceks Musik die Titelheldin auf ihrem
Weg bis zum Freitod in den eisigen Fluten der Wolga umfängt
und umschmeichelt, ja im Sinne einer Metaphysik der Oper verteidigt
und errettet. Gemeint ist die Szene des erotischen Stelldicheins
von Dikoj und der Kabanicha, beide Angehörige der herrschenden
Kaufmannsklasse und Exponenten einer repressiven Sozialordnung.
Die masochistisch getönte sexuelle Appetenz des alten Dikoj
und die sich anbahnende „Liebesszene“ unterlegt Janácek
mit einer rätselhaft erfindungsarmen, teilnahmslosen Musik.
Zum großen Verdruss des Komponisten hat man diesen Auftritt
häufig gestrichen, so auch seinerzeit bei der sonst verdienstvollen
deutschen Erstaufführung in Köln. Überhaupt hadern
viele Inszenierungen mit der Kabanicha, der bösen Schwiegermutter,
die oft zu einer keifenden Karikatur verzeichnet wird.
Wie sich bei einer adäquaten Besetzung dieser Figur gleich
das ganze Stück drehen lässt, zeigt auf fast erschreckende
Weise die überragende Doris Soffel in der aktuellen Kölner
Produktion. Wenn ihre Kabanicha am Ende der besagten Szene das
auf Selbsterniedrigung zielende Werben Dikojs endlich erhört,
geschieht dies mit den degoutanten Wonnen eines sadistischen Triumphs.
Der sexuelle Gestus steht hier nicht für sich selbst, auch
geht es nur vordergründig darum, die Doppelmoral der Kaufleute
zu entlarven. Diese Sexualität der Kabanicha ist vielmehr
ein entsetzliches Symbol, eine Fratze für die Erbarmungslosigkeit
eines der Gesellschaft vorgelagerten archaischen Matriarchats.
Dessen monströser Anspruch auf unbedingte Unterwerfung wird
gerade vom zartfühlenden Naturell Kátjas herausgefordert.
Ohne zu outrieren findet Doris Soffel für die Kabanicha auch
vokal die harten, schneidenden Akzente. Dagegen fällt Rebecca
Nash in der Titelpartie trotz der leuchtenden Höhe ihres ausdrucksreichen
Soprans deutlich ab. Ihr fehlt als Person das slawisch Weiche.
Sie ist darstellerisch einfach nicht die Kátja, von der
Janácek schreibt: „Die Hauptperson ist eine Frau von
so sanftem Gemüt, dass eine leichte Brise sie schon davonwehen
würde, geschweige denn der Sturm und das Gewitter, das über
sie hereinbricht.“
Über Robert Carsens bereits 2004 für die Antwerpener
Oper entstandene, berühmte Inszenierung sind zu Recht schon
manche Elogen geschrieben worden. Hier nur so viel dazu: Ist es
prinzipiell problematisch, wenn große Bühnen wie zum
Beispiel Hamburg oder Wien den Reiz ihres ohnehin schon mageren
Premierenangebots mit Zweit- und Drittverwertungen nochmals reduzieren,
so hat Köln mit der Übernahme dieser Produktion, einem
Meilenstein in der Inszenierungsgeschichte des Werkes, richtig
gehandelt. Interessanterweise kann man hier aber auch beobachten,
wie schnell so eine Jahrhunderttat beginnt „historisch“ zu
werden, ohne dabei etwas von ihrem künstlerischen Wert einzubüßen.
Es ist immer noch sehr poetisch, sehr sinnlich und vor allem zutiefst
abgründig, wie auf der vollständig unter Wasser gesetzten
Bühne die weißgewandeten, langhaarigen Vorgängerinnen
Kátjas auf ihre Schicksals- und Leidensgefährtin warten.
Doch steckt darin auch etwas von einem für das jüngst
vergangene Fin de Siècle typischen genießerischen Ästhetizismus,
bei dem einem Zweifel kommen, ob nicht die Lust an den stimmungsvollen
Bildern die ethische Dimension dieser Frauentragödie zu sehr
verdrängt.
Ähnliches lässt sich über die musikalische Seite
des Abends sagen. Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester
kommt das Verdienst zu, die Genialität von Janáceks
Instrumentationskunst auf unnachahmliche Weise transparent gemacht
zu haben. Überall entdeckt Stenz neue überraschende Details,
lässt er das Orchester in einem schier unerschöpflichen
Farbenspiel wie die unergründliche Wolga schimmern. Aber manchmal
vermisst man den Schmerzensklang, die dramatischen Zuspitzungen,
das Obsessive dieser Musik: ein in aller Schönheit etwas zu
abgeklärter, emotional distanzierter Janácek. Sorgsam
bewältigt der Chor seine überschaubaren Aufgaben mit
den kleinen textlosen Einsätzen. Nur ganz am Ende ist die
Mischung mit dem Orchester vielleicht noch optimierbar; das klang
eher diffus-verschwommen als geheimnisvoll.
Christian Tepe
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