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Lady Macbeth – stubenrein

Zwei Opern-DVDs von Schostakowitsch · Von Marco Frei

Ziemlich kalt dürfte es gewesen sein, als sich Galina Wischnewskaja, Gattin von Mstislaw Rostropowitsch, in die Fluten des Finnischen Meerbusens stürzte. Grund war die sowjetische Verfilmung aus dem Jahre 1966 von Dmitri Schostakowitschs Oper „Katerina Ismailowa“ von 1956/63, in der sie die Titelrolle spielte und die nun erstmals außerhalb Russlands veröffentlicht wurde (Decca 074 3137): Im letzten Akt der stubenreinen Fassung der „Lady Macbeth von Mzensk“, die 1936 von Stalin verboten wurde, springt die überführte Verbrecherin aus verlorener Ehre in sibirischer Verbannung in einen Fluss – die hämische Mitgefangene Sonjetka mit in den Tod reißend.

„Endlich, nach über vierzig Minuten, hatten sie die zweite Aufnahme im Kasten“, berichtet Wischnewskaja in ihren Erinnerungen. „Ich stürzte auf dem Heimweg eine halbe Flasche Wodka hinunter.“ Hätte seinerzeit Martin Kušej Regie geführt, wäre der wärmende Branntwein nicht nötig gewesen: In seiner klugen Amsterdamer Inszenierung der „Lady Macbeth“ von 2006, die nun ebenfalls auf DVD vorliegt (Opus Arte OA 0965 D), stranguliert Katerina die Sonjetka, eh sie selbst von den Mitgefangenen erhängt wird. Damit steigert Kušej noch Schostakowitschs Tendenz, das gesamte soziale Umfeld der Mörderin aus verlorener Ehre als Alptraum erscheinen zu lassen.
Man kann es nicht genug betonen: Beide DVDs sind einzigartige Dokumente und gehören in jede Klassiksammlung. Nicht zuletzt erlaubt ein Vergleich beider Opernfassungen spannende Einblicke in den prüden und humorlosen sowjetischen Kunstgeschmack. Wenn nämlich im Beiheft zur sowjetischen Verfilmung von „kleineren Unterschieden“ zu lesen ist, die man auch „überbewerten“ könne, so wird gewaltig verharmlost: Es reicht schon alleine ein Vergleich der Sexmusik zwischen Katerina und ihrem strammen Liebhaber Sergei. Jagt noch in der „Lady Macbeth“ eine orgiastische Polka in den Orgasmus und wird die Erschlaffung des männlichen Glieds mit Posaunenglissandi unüberhörbar dargestellt, so sind in der späteren „Katerina“, die vor einigen Jahren in Zürich Premiere hatte, markante Rhythmik wie generell alle expressionistischen Ausbrüche deutlich geglättet. Einiges, wie etwa die frivolen Glissandi, ist gar gestrichen, auch das Libretto wurde abgemildert. Das passt sehr gut zu einer Erinnerung von Wischnewskaja an die „Katerina“-Dreharbeiten: Moralinsauer sei strikt nackte Haut unterbunden worden.

„ Galina Petrovna, Ihre Schulter ist wieder entblößt“, soll geschimpft worden sein. „Wir machen einen Film für die werktätigen Massen, nicht für Lustmolche!“ Doch ist die sowjetische Opernverfilmung auch filmhistorisch ein wertvolles Dokument, denn Regisseur Mikhail Shapiro bricht den Realismus durch Parallelsequenzen und würdigt damit die frühere russische Filmavantgarde.

Nicht alles ist perfekt, vor allem schwächelt bisweilen die Tonqualität. Womöglich meint Schostakowitsch dies, wenn er in den von Solomon Wolkow aufgezeichneten Memoiren bemängelt, dass das Orchester kaum zu hören sei. Auch in einem Brief an seinen Vertrauten Isaak Glikman äußert sich Schostakowitsch eher zurückhaltend über die Arbeiten an der Verfilmung: „Aus irgendeinem Grund bin ich bislang ohne Enthusiasmus“, schreibt er am 10. September 1964.

Gleichwohl sollen ihn die Leistungen von Wischnewskaja beeindruckt haben. Wie auch in der späteren Welt-Ersteinspielung der „Lady Macbeth“ unter Rostropowitsch (EMI) präsentiert sich hier tatsächlich eine Grande Dame des Gesangs. Doch erinnert die DVD zugleich an Wischnewskajas großartiges Schauspielkönnen: Sie macht die-
se Opernverfilmung zu einem Erlebnis, das unter die Haut geht. Nicht minder packend sind jedoch die durchwegs exzellenten Darbietungen bei der Amsterdamer Aufführung der „Lady Macbeth“.

Es sind vor allem das Concertgebouw Orchester unter Mariss Jansons sowie Eva-Maria Westbroeck als Katerina, Christopher Ventris als Sergei, Vladimir Vaneev als Boris, die ein expressionistisches Feuerwerk entfachen. Bis auf einige frivole Posaunen-glissandi, die noch krasser hätten gestaltet werden können, brüllt, stöhnt und keucht die Musik – genauso wie es Stalin 1936 nicht mochte.

Noch dazu begeistert Kušejs ideenreich reduzierte Inszenierung, die die Partitur wirken lässt. In einem Glashaus hockt die gelangweilte, unbefriedigte Katerina – ein Käfig, der ihr tristes Leben als unterdrückte Kaufmannsfrau symbolisiert. Nur die unzähligen Schuhe bereiten ihr Freude. Im letzten Akt besteht der Käfig aus Eisenstangen: das sibirische Gefangenenlager. Ansonsten lässt Kušej die Musik selbst sprechen, unter der vorzüglichen Leitung von Jansons hat sie wahrlich viel zu sagen.

Marco Frei

„Katerina Izmailova“. Mikhail Shapiro (Regie), Konstantin Simeonov (Leitung), Chorus and Orchestra of the Shevchenko Opera and Ballet Theatre Kiev, Galina Wischnewskaja, Artem Inotemstev, Nikolai Boyarsky u.a., 1966, Decca 074 3137

Dmitri Schostakowitsch: „Lady Macbeth of Mtsensk“. Martin Kušej (Regie), Mariss Jansons (Leitung), Royal Concertgebouw Orchestra, Eva-Maria Westbroeck, Christopher Ventris, Vladimir Vaneev u.a., Opus Arte, 2006, OA0965 D

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