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Opernland in der Krise
Ein Bericht aus Italien (Teil 1) · Von Wolfgang Molkow
9. Januar 2007, 20 Uhr 30. Schauplatz: Teatro Comunale di Bologna – ein „Opernhaus
mit einer glorreichen Vergangenheit, unsicheren Gegenwart und riskanten
Zukunft” (La Stampa). So mancher Zuhörer wird sich über
die kastrierte „Bohème“ Puccinis wundern, die
da über Euroradio mit Solisten, Kinderchor, schepperndem Piano
und Bühnenkrach abschnurrt. Angesichts der bedrohlichen finanziellen
Situation sprich: drastischen Kürzungen des Kulturetats streikt
das Comunale-Orchester, der Opernchor sagt im letzten Moment seine
Teilnahme zu. Der frischgebackene künstlerische Direktor Marco
Tutino beschließt im Einvernehmen mit Bolognas Bürgermeister
Sergio Cofferati die Aufführung. Das Ergebnis: „gelide
manine“ und „vecchie zimarre“ am Klavier!
Gold-Aida und Pech-Boheme
7. Dezember 2006. Gegenschauplatz: Mailänder Scala. „ Evviva
Verdi, Celeste Aida” – mit dem Opern-Repräsentationswunder
schlechthin stellt die traditionelle Scala-Eröffnung zu Ehren
ihres Schutzpatrons Sant’Ambrogio einen bombastischen Kraftakt
der besonderen Art dar: eine Demonstration im ägyptischen
Goldrahmen aus dem Land des Opernlächelns. Über zwei
Millionen Euro soll diese Götter-, Pharaonen- und Sphinx-bevölkerte
Inszenierung gekostet haben, private Spender haben tüchtig
zugeschossen, und der ebenso besorgte wie stolze Ministerpräsident
Prodi beeilt sich in der Premierenpause, von einem Sonderfall zu
sprechen. Allzu hager wurde ja auch das Scala-Jahr 2005 mit Mozarts „Idomeneo“ eingeläutet
und zugleich die über 20-jährige Scala-Herrschaft des
Maestro Riccardo Muti zu Grabe getragen, der im Orchesterstreit
den Dirigentenstab hinwarf und sich in einem Akt von Idiosynkrasie: „Nicht
gedacht soll meiner werden!“ aus der Erinnerung der Milanesen
selbst herausstrich.
„Nieder mit dem Regietheater, es lebe die Oper!“ In die „Aida“-Festtrompete
stößt nun martialisch Italiens Nestor der Opernszene,
der 83-jährige Florentiner Franco Zeffirelli. Mit tonnenweisem
Goldstaub und scharenweisem Ballettgewoge soll italienische Opernehre
mit den durch vornehmlich deutsche Regie geschändeten
Aidas, Traviatas und Trovatores zurück gewonnen werden. Im
Opernpomp wird gar die Nebensache zur Hauptaktion: der Primo Ballerino
Roberto Bolle sticht den Radames Roberto Alagnas aus und provoziert
die Tenorkrise des Jahres.
Zeffirelli sieht sich als letzten wahren Opernliebhaber: „Die
Deutschen lieben die Oper nicht, oder vielmehr, sie glauben sie
zu lieben, benutzen sie aber für ihre nicht einmal geniale
Regiewillkür.“
Dem selbstherrlich allgemeinen, wenn auch nicht durchweg falschen
Urteil Zeffirellis stellt sich mit vorsichtiger Präzision
der „Aida“-Dirigent Riccardo Chailly an die Seite,
der vor allzu viel Euphorie warnt angesichts der Gefahr, Italien
könne kulturell zum Entwicklungsland abrutschen. So bleiben
denn auch die Proteste gegen die neue Intendanz nicht aus, mit
dieser ägyptischen Glamourshow den künftigen Scala-Etat – ohnehin
bedroht von enormen Kürzungen - zu belasten. Denn die Gold-Aida
ist einmaliger Mailänder Festtag, aber die Pech-Bohème
kann grauer italienischer Alltag werden! Bang vernimmt man Mimis
Tod als klappernden Klavierepilog und denkt beklommen an mögliche
Symbolik. Musica senza futuro
Mitte November 2005 versammeln sich Künstler aus Film, Theater
und Musikbranche in Rom zu gemeinsamem Protest gegen die staatliche
Schere. Der seit 1985 bestehende Kulturfonds FUS (Fondo unico dello
spettacolo) wird um 40 Prozent gekürzt, das bedeutet 160 Millionen
Euro weniger als im Vorjahr. Die Opernhäuser, mit 47 Prozent
an der FUS höchstbeteiligt, werden entsprechend stark betroffen;
ganze Produktionen müssen gestrichen werden. In Mailand, Florenz
und Rom finden Kundgebungen statt; man singt in deutlicher Anspielung
an die Misere die Verdichöre „Va pensiero“ (Flieg,
Gedanke) und „Patria oppressa“ (unterdrücktes
Vaterland). Für 2007 sieht die Situation keineswegs rosiger
aus: Die staatliche Versicherung, die Etatkürzung betrage
21 Prozent weniger als im Vorjahr, wird als Hohn empfunden angesichts
der FUS- Schrumpfung um 51 Prozent seit 2003. Sinnliche Italianità
Die Kulturschere schneidet gerade zu einem Zeitpunkt so unbarmherzig
zu, an dem sich Italien wenigstens punktuell und ansatzweise im
Stadium einer Repertoire-Rückbesinnung befindet: ein zögernder
Weg vorbei an dem ewigen „Figaro-Barbiere-Traviata-Boheme-Rigoletto-Aida-Tosca“-Karussell,
das sich kulturmüde im Alltags- wie im Festspiel-Betrieb dreht.
Eine Wiederaufführungstendenz vergessener Werke, zwar deutschem
Ausgrabungsfieber nicht vergleichbar, aber doch ähnlich gelagert
wie bei uns die Schreker-, Zemlinsky- und Korngold-Welle, die seit
Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts bei uns alte Kitsch-Vorurteile
ausräumt. Die Werke aller drei Wiener Komponisten nebst ihren
Zeitgenossen D’Albert, Schillings und Schoeck bekennen sich
ja – abgesehen einmal von den beiden Deutsch-Italienern Busoni
und Wolf-Ferrari – zu Puccinismen aller Art und sinnlicher
Italianità. Das italienische Milieu von Schrekers Oper „Die
Gezeichneten“ etwa ist so unverkennbar, dass italienische
Kritiker (bei der Salzburger Aufführung von 2005) das Vorbild
von Umberto Giordanos – allerdings später entstandener – Oper „La
Cena delle Beffe (Das Spöttermahl)“ wieder erkennen.
Diese bemerkenswerte „Cena delle Beffe“ bringt sich
in sporadischen Aufführungen der 80er- und 90er-Jahre in Foggia
und Bologna eher mühsam in Erinnerung; Giordanos populärere „Fedora“ sowie
die napoleonische „Madame Sans-Gêne“ werden ihrer
weiblichen Starrollen wegen von Mirella Freni zu zeitweiligem Bühnenleben
wiedererweckt – wie übrigens auch Francesco Cileas „Adriana
Lecouvreur“. Die vordem unermüdlichen Regenerierungsversuche des großen
Bergamasker Dirigenten Gianandrea Gavazzeni von Werken der so genannten
Generazione dell’Ottanta – also den Komponisten Ottorino
Respighi, Ildebrando Pizzetti, Francesco Malipiero und Alfredo
Casella – verhallen relativ folgenlos im Ursprungsland; nur
die RAI gedenkt noch bisweilen Gavazzenis fesselnden Interpretationen
von Mascagnis „Parisina“, Pizzettis „Assassinio
alla cattedrale“ oder Zandonais „Cavalieri di Ekebu“.
Einzelaktionen: Die Mascagnistadt Livorno unternimmt in den 90er-Jahren
den Versuch, sämtliche Opern
ihres großen Sohnes zu geben– und gelangt mit guter
provinzieller Absicht gerade mal eben bis zur exotischen „Iris“.
Mascagnis reizvoller Vorläufer der Puccinischen „Butterfly“ mit
seinem affirmativen „Inno del Sole“ geht dann auch
prunkvoll überladen 1995 über die Bühne des Teatro
Costanzi di Roma – in der Inszenierung Ugo de Anas unter
der Leitung des neuen musikalischen Direktors Gianluigi Gelmetti.
Gelmetti ist der überzeugendste Verfechter eines Comeback
vergangener Opernperlen, und er unternimmt dies an seinem Haus
mit einer entsprechenden Ästhetik, die zwar deutscher „Barbarei“ nicht
den Krieg ansagt wie Zeffirelli, aber spürbar eine „Fülle
des Bildschönen wie des Wohllautes“ anbietet . Opernkomponist
Respighi…
Respighi einmal nicht nur als Autor seiner allbekannten römischen
Brunnen-Pinien-Feste-Trilogie, sondern als bedeutender Opernkomponist:
den ersten Höhepunkt der künstlerischen Symbiose Gelmetti/de
Ana bildet im November 1997 die düster-großartige „Fiamma“:
nordische Hexenoper im gleißend byzantinischen Gewand Ravennas.
Da das niederdonnernde Fatumthema des Anfangs dramaturgisch die
Beilhiebe der Strauss’schen „Elektra“ nachvollzieht,
spürt die Regie de Anas wie dort Klytämnestra/Elektra
hier furios dem Eudossia/Silvana-Konflikt nach und weitet die Choroper
im Inquisitionsfinale zum barock-blasphemischen Grandioso aus.
Gelmetti, der nach eigener Aussage zunächst mit Respighi seine
Schwierigkeiten hatte, legt mit der folgenden Respighi-Premiere
eine Bekenntnistat ab: die Welturaufführung der verschollenen,
1915 beendeten „Marie Victoire“ am 27. Januar 2004, – Gelmetti
nennt sie liebevoll „La mia Marie Victoire.“ Ein Werk,
das in und nach der Französischen Revolution spielt und sich
allein mit seinem langen wie explosiven 2. Akt einen Platz neben
der „Frau ohne Schatten“, den „Gezeichneten“ oder „Wozzeck“ erspielt
hätte – wäre es seinerzeit im Teatro Costanzi gegeben
worden. Die szenisch und vokal keineswegs fulminante Wiedergabe
vermittelt gleichwohl den Eindruck der von der Weltkriegssituation
diktierten Stimmungsdichte der Oper, deren Bedeutung bereits Puccini
erkannte. …
und andere Entdeckungen
Mit Alfanos „Leggenda di Sakuntala“ gedenkt Gelmetti
durch die Personalunion von Regie und Musikdirektion seine römische
Respighi-Renaissance noch zu überflügeln. Auch dem von
Luciano Berio gescholtenen Vollender der „Turandot“ schlägt
seit einigen Jahren die Stunde der Wiederentdeckung. Ob allerdings
die klangluxurierende „Sakuntala“ wirklich das Opus
summum Alfanos darstellt und an die Jugendfrische der Risurrezione
(nach Tolstoi) heranreicht, bleibt Geschmackssache. Auch streift
dieses Mal die hedonistische Bild-und-Klangkonzeption Gelmettis
bei der Verklärung der Titelfigur die Kitschgrenze der Exotik.
Dieser Maxime bleibt er treu: man mag angesichts und angehörs
Gelmettis und Pier’Allis „Tristano e Isotta“ vom
vergangenen November in Rom an Platens Tristanverse denken: „Wer
die Schönheit angeschaut mit Augen...“ Inmitten eines
Blaue-Blume-Bühnenbildes gibt Gelmetti mit seiner intimen
Beschwörung der Partitur dem „Tristan“ eine Belcanto-Eigenschaft
zurück, die Wagner selbst in ihr nur vermutete.
Der „Marie Victoire“ an Bedeutung vergleichbar ist
die Ausgrabung von Riccardo Zandonais Oper „I Cavalieri di
Ekebu“ von 1926 nach Selma Lagerlöfs „Gösta
Berling Saga“, zuerst im Oktober 2004 im Triester Teatro
Verdi, gefolgt im Januar 2006 vom Teatro Massimo Bellini in Catania.
Auch hier vermitteln ein gemäßigt aktueller Inszenierungsstil
und eine vokal-orchestral ausgewogene Interpretation die Lebendigkeit
einer balladesken Oper, die einst mit ihrem nordischen Verismo,
gebildet aus frischen Chören, elegischen Violinsoli und Griegzitaten
zur schwedischen Nationaloper avancierte. All diese szenischen
Wiedererweckungen der letzten zehn Jahre bilden Hoffnungsschimmer,
den immensen Reichtum italienischen Musiktheaters wieder präsent
zu machen, wäre da nicht der trübe Blick in eine ungewisse
finanzielle Zukunft, die alle künstlerischen Bestrebungen
zunichte machen könnte. Wolfgang Molkow
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