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Reverenz an den Spieltrieb des Ichs
Rui Hortas Tanztheater am Staatstheater Nürnberg · Von
Vesna Mlakar
Schon Baudelaire hat Kunst mit Prostitution verglichen. Tatsächlich
wird gerade im Tanz, wo ja zumeist der sich bewegende Körper
im Zentrum der Darstellung steht, häufig Selbstentblößung
von den Tänzern verlangt. Ihr Schutz dabei ist die Rolle,
die zu spielen sie sich verpflichtet haben. Einen Meister des provokativen
Monologisierens zum Zweck der Publikumsaufstachelung und Vertiefung
von Inhalten hat Rui Horta in seiner Neukreation „Great Originals“ für
das Nürnberger Tanzensemble in dem jungen Rumänen Sergiu
Matis gefunden: Charmant „von oben herab“ und bis auf
den Slip entkleidet, richtet er seine Blicke schelmisch ins Dunkel
des Zuschauerraums und fragt „Sie denken jetzt wohl: Zieht
er seine Unterhose aus oder nicht?“ Klar, dass der agile
Tänzer sie diesmal anbehält, schließlich würde
sonst ja keiner mehr sein Augenmerk auf die – im Hintergrund
aktionistisch wuselnde – Kunst richten... Es folgt ein Diskurs über
Voyeurismus und Künstlertum, der sich perfekt in die Reihe
locker verknüpfter Revuenummer eingliedert, abgelöst
von einer Probenplan-Lesung zum Schlag eines Metronoms, einem Karaoke-Gesangsduett
und dem Ansatz zu einer fetzigen südamerikanischen Mambo-Combo.
Pina Bausch, deren Name im Gegensatz zu anderen Prominenten nicht
an den Portalrahmen geklebt wurde, lässt grüßen!
Dabei geht Horta das knapp einstündige, gemeinsam mit den
13 Darstellern erarbeitete Stück fast behutsam an: Ein filmischer
Prolog, der im Schnelldurchlauf Gesichter abwechselnd mit Intimaufnahmen
der sich die Zähne putzenden Solisten zeigt, gibt diesen die
Möglichkeit, in Zuckungen, Posen und getanzten Gesten auch
live auf sich aufmerksam zu machen. Eine schöne Exposition,
die der Ausruf „I want to go to Cuba“ beendet. Gleichzeitig
liefert er der sich anschließenden Show einen weiteren Aufhänger:
Witziges rund um und auf Kosten von Kuba. Doch während alle
Redesequenzen nur an der Oberfläche kratzen, gelingen dem
Portugiesen Horta gerade da beeindruckende Szenen, wo er auf musicalhafte
Leichtigkeit verzichtet und ganz auf die Kunst der non-verbalen
Ausdruckskraft setzt.
Im Zwielicht rollen die Tänzer über den Boden, springen,
drehen, laufen und führen ein geordnetes Chaos vor, das zwischen
Momenten des Verharrens und der Ekstase pendelt – bis jemand
das Wort „ICH“ hochhält. Stille tritt ein. In
Reih’ und Glied stehend bekommt nun jeder, breit grinsend,
so ein Schild um den Hals gehängt, was ein Boxgerangel in
slow motion auslöst, das in einem Kreistanz mit Poklatschern,
Umarmungen und Siegerposen kulminiert: Jeder ist sich selbst der
Nächste! Mit dem Beuys Zitat „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und
seiner Demontierung per T-Shirt-Aufdruck „Ich bin kein Künstler“ klingt
Hortas Uraufführung aus. Das letzte Wort überlässt
er jedoch Sergiu Matis, der noch schnell Fidel Castro mit Osama
bin Laden in einen Topf wirft, bevor er lieber in ein kubanisches
Restaurant als gen Kuba entschwindet: „Vive la révolution“.
Die Crux an diesem Tanztheaterabend ist, dass Horta in „Great
Originals“ eigentlich nur die Aussagen noch einmal breit
tritt, die er schon vor der Pause in nur 25 Minuten wesentlich
konzentrierter formuliert hatte: „Nest“ bringt die
Zwänge zwischen Individuum und Masse, zwischen Sein und Schein
auf den Punkt. Und dies ganz ohne Einsatz von Mikrofonen, Rasseln
oder verschiebbarem Mobiliar. Vielmehr werden vier mal vier Interpreten
in ein Experiment geschickt, dessen schachbrettartiges Spielfeld
sie erst einmal selbst auf das Bühnenplateau kleben müssen.
Und während man noch darüber rätselt, was die Buchstabenkombinationen
auf ihren Sweatshirts zu bedeuten haben, lenkt ein Spot die Aufmerksamkeit
auf den darin gefangenen Tänzer. Bricht er aus dem Lichtschein
aus, begrenzt der zuvor angehaltene Atem den Radius seiner Bewegungen.
Weitere Tänzer klinken sich in den Rhythmus seines Luftholens,
Stampfens und Hechtens ein, tummeln sich mit vor den Mund gepresster
Hand über das Raster.
Bisweilen zwingt elektronisches Getrommel (Musik: Viktor Joaquim,
Queen Esther, Yens & Yens, Maxim Frank) die Choreografie in
lineare Formen. In einer Reihe am Boden hockend kippen die Tänzer
zur Seite, krabbeln auf allen Vieren rückwärts, lassen
tief in die Knie gebeugt ihre Körper rotieren, rennen dem
Verlauf der Quadrate folgend über den Platz und steigern den
Bewegungsfluss durch kräftigen Armeinsatz und gewagte Vertikalsprünge.
Ausbrüche Einzelner oder der vergebliche Annäherungsversuch
eines Pärchens konterkarieren diesen Drive, der sich bald
auch als Revierkampf entpuppt. Auf die immer wiederkehrenden Provokationen
und Beschimpfungen eines Machos wehrt sich die Gruppe, indem sie
den Raum auflöst und den Unruhestifter mit den Klebestreifen
an den Boden fesselt. Nur eine Tänzerin bleibt zurück,
greift Schrittvariationen wieder auf und bekennt sich, ihre Kleider
ablegend, unter der angesungenen Frage „could you promise“ zu
dem Verstoßenen. Für einen kurzen Augenblick stehen
sich beide nackt gegenüber. Mutig, dieser Moment von Wahrhaftigkeit,
der so viel Zerbrechlichkeit und kommunikative Ehrlichkeit transportiert.
Vesna Mlakar
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