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Der Tanz im Zentrum
Dessauer Kurt-Weill-Fest mit originellem Schwerpunkt · Von
Andreas Hauff
Im Jahr 1993 lud eine Handvoll mutiger Menschen zum ersten Kurt-Weill-Fest
nach Dessau. Inzwischen hat sich das Festival als Konstante in
der deutschen Kultur-Landschaft etabliert. Mit über 10.000
verkauften Eintrittskarten sei ein neuer Rekord erreicht, freute
sich Intendant Clemens Birnbaum zum Abschluss. Dabei war das diesjährige
Motto „Weill getanzt“ einigermaßen gewagt angesichts
eines Werkes, dessen Schwerpunkt eindeutig auf Oper, Musical und
Song liegt. Allerdings besteht durchaus ein Zusammenhang: Ohne
die vom Jazz geprägte Tanz- und Unterhaltungsmusik der 1920er-Jahre
hätte der Komponist nie seinen typischen Songstil entwickelt,
der ihm seit der „Dreigroschenoper“ zu erstaunlicher
Popularität und Breitenwirkung verhalf.
Was passiert, wenn man diese Musik nun wieder vertanzt? Sozusagen
aus dem britischen „Tanz-Museum“ wurde ein historisches
Beispiel eingeflogen. 1940 hatte das renommierte Londoner Ballet
Rambert „Judgement of Paris“ uraufgeführt: eine
Parodie des antiken Mythos vom Urteil des Paris, zu der Musik aus
der „Dreigroschenoper“ in einer Klavier-Bearbeitung
erklang. Die Choreografie damals stammte von Antony Tudor, die
Ausstattung von Hugh Laing. Nachdem kürzlich Laings Skizzenbuch
wieder aufgefunden wurde, hat Sally Martin mit der Rambert Dance
Company dieses Ballett wieder einstudiert. Die Handlung ist recht
simpel: An die Stelle der drei antiken Göttinnen treten drei
müde Prostituierte, die in einer abgetakelten Kneipe einen
alkoholisierten Gast zu bezirzen suchen und ihn, nachdem er eingeschlafen
ist, zusammen mit dem Kellner ausrauben; dazu wird Weills Musik
auf einem verstimmten Bar-Piano gespielt. Wie die drei Damen ihren
Part in einer eigenartigen Mischung von akuter Trunkenheit, altersbedingter
Steifheit und verbliebener Rest-Eleganz bewältigen, hat etwas
anrührend Komisches; Weills Musik aber, phrasenweise vertrippelt
und vertänzelt, kippt dabei eher ins Lächerliche. Deutlich
im Kontrast dazu standen die Revue-Nummern der Girl-Trupps, die
in Joe Francis’ Stummfilm „La Revue des Revues“ von
1927 zu sehen waren. Leider vermittelt die wieder aufgenommene
Vorjahresinszenierung des Anhaltischen Theaters von „Aufstieg
und Fall der Stadt Mahagonny“ kaum etwas von der Faszination
der in der Oper verborgenen Revue-Elemente.
Immer wieder spannend ist es, Weill im Kontext zu erleben. Der
Pianist Michael Rische als diesjähriger Artist-in-Residence
kombinierte auf der Bauhausbühne „Dreigroschenoper“-Bearbeitungen
mit Musik von Weills Zeitgenossen Ravel, Milhaud, Schulhoff und
(Paul) Dessau. Im Spiegelsaal des Köthener Schlosses führte
er hingegen vom dortigen Schutzpatron Johann Sebastian Bach über
Schumann zum „Intermezzo“ des 17-jährigen Weill,
dann weiter zu dessen späterem Lehrer Busoni und wiederum
zu Ravel. Auch die Rambert Dance Company präsentierte weitere
Stücke neben „Judgement of Paris“: Zum letzten
Satz von Beethovens Mondscheinsonate tanzten Martin Joyce und Angela
Towler Joyce’ eigene Choreografie „Divine Influence“,
die auf tänzerisch virtuose und inhaltlich durchaus ironische
Weise die Wandlung einer Paarbeziehung von der Dominanz des sich
heroisch aufspielenden Mannes zu liebevoller Gleichberechtigung
nachzeichnet. Enttäuschend, da seltsam beliebig, spannungslos
und unpräzise, wirkten daneben Merce Cunninghams „Pond
Way“ zur Musik von Brian Eno und Michael Clarks „Swamp“ zur
Musik von Bruce Gilbert.
Einen originellen Zugriff wagte Gregor Seyf-fert, Chef der seit
2004 am Anhaltischen Theater in Dessau angesiedelten Gregor Seyf-fert
Dance Compagnie. Mit „Tango-Palast“ gestaltete er eine
Zeitreise in drei Akten, die jeweils mit einer Version der „Tango-Ballade“ aus
der Dreigroschenoper begannen und mit Weills französischem
Tango „Youkali“ endeten. Im ersten Teil spielte unter
der Leitung von Lothar Hensel eine typische Tango-Besetzung (Orquesta
tipica) traditionelle und moderne Tango-Musik. Im zweiten Teil übernahm
die Anhaltische Philharmonie unter GMD Golo Berg. Im dritten Teil
schließlich hörte man aus dem Lautsprecher moderne Electro-Tangos
im Klang-Design von Michael Pregler. Dazu gab es auf der Bühne
eine spielerische Tango-Komödie mit zwölf schrulligen
Persönlichkeiten, die Namen trugen wie Burgunde Walz-Schlüpp,
Monte Cobald zu Azur, Blu Lulu oder Neutrinus Zero.
Seyffert selbst
tanzte die tragikomische Figur des Kellners Gustav, der mit Woody-Allen-Brille
und Buster-Keaton-Mimik den Tänzern
stets zu Dienst ist und dabei von der Liebe zu einer schönen
Unbekannten träumt. Im dritten Akt spielte die Kompanie das
Wechselspiel von Faszination und Karikatur dann nicht nur am Tango,
sondern auch an der virtuellen Medienwelt durch: In großen
Bildschirmen ließ Seyffert die Tänzer sich spiegeln,
scheinbar drinnen weitertanzen, verschwinden und wiederhervorkommen – technisch
höchst aufwändig und optisch frappierend. Offenheit gegenüber
neuen Medien, musikalische und tänzerische Abwechslung, viele
junge Leute im Publikum – Weill selbst hätte an dieser
Produktion vermutlich großen Spaß gehabt. Andreas Hauff
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