Trauer und Ringen gegen den Tod
„Die Weise von Liebe und Tod“ in Rudolstadt · Von Werner
Wolf
Dieser bewegende und erregende Musiktheaterabend mit den beiden
Vertonungen von Rainer Maria Rilkes Dichtung „Die Weise von
Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ im Theater Rudolstadt
verdient weithin Beachtung. Rilkes ebenso populäre wie ergreifende
Dichtung forderte in den Kriegsjahren 1942/44 die beiden Komponisten
Viktor Ullmann (1898-1944) und Frank Martin (1890-1974) unabhängig
voneinander und unter gänzlich verschiedenen Lebensumständen
zu intensiver Beschäftigung mit dem Stoff und dessen musikalischer
Bearbeitung heraus. Das bei Rilke im Kampf europäischer Soldaten
gegen die türkischen Invasoren im späten 17. Jahrhundert
spielende Geschehen muss für den 1942 ins KZ Theresienstadt
verschleppten Viktor Ullmann im Sommer 1944 als hartnäckiges
Ringen gegen den Tod gewirkt haben. Mit den ausgewählten Textteilen
drückte er die Leiden und Qualen der Gefangenen in Theresienstadt
aus. Aber dazwischen weckten ins Lager dringende Nachrichten vom
Vormarsch der Alliierten auch Hoffnungen auf Befreiung aus, die
in der Musik sehnsüchtig aufklingen. Es wurde die letzte größere
Komposition Ullmanns vor seiner Verschleppung nach Auschwitz und
seiner Ermordung in den Gaskammern.
Die Bedingungen im Lager ließen nur eine Einrichtung und
Aufführung für Sprechstimme und Klavier in Gestalt eines
Melodrams mit freier, rhythmisch nicht festgelegter Rezitation
zu. Die Instrumentation gedieh nur bis zu Takt zwölf. Nach
dieser Vorlage, vorhandenen Fragmenten und dem vorhanden Particell
richtete Henning Brauel eine der Musik gemäße Orchesterfassung
ein, die jetzt in Rudolstadt zu hören war.
Der Schauspieler René Sachse und die von Oliver Weder sicher
geführten Thüringer Symphoniker Saalfeld/Rudolstadt gestalteten
Dichtung und Orchesterpart eindringlich, mit großer innerer
Bewegtheit. Da wagt man kaum zu atmen. Christian Marten-Molnár
als Regisseur und Nikolaus Porz als Ausstatter fanden eine überzeugende
szenische Gestaltung. Der Sprecher steht in einem quadratischen
Glaskasten in der Größe einer Telefonzelle. Diese Enge
zwingt zu knappen, mechanisch wiederkehrenden Bewegungen, symbolisch
für die Enge der in Theresienstadt Gefangenen.
Fast zeitgleich mit Ullmann hatte der Schweizer Komponist Frank
Martin seine vollständige Vertonung des „Cornet“ von
Rilke für eine Singstimme und Kammerorchester abgeschlossen.
Obwohl er in Genf in Sicherheit lebte, wirkt das Geschehen in Rilkes
Dichtung gegenwärtig. In seiner Musik drückte Martin
die Trauer um das furchtbare Geschehen und die immensen Opfer des
zweiten Weltkrieges ergreifend aus.
Im Unterschied zu der begrenzten, von der SS überwachten
und propagandistisch ausgewerteten kulturellen Betätigung
in Theresienstadt hatte Martin eine vorzügliche Sängerin
und das von Paul Sacher geleitete Baseler Kammerorchester zur Verfügung.
Mit Elementen der wie von Ullmann freizügig genutzten Zwölftontechnik
schuf er eine melodisch, harmonisch und instrumental bis ins Feinste
differenzierte Vertonung von bezwingender Ausdrucksdichte.
In der Rudolstädter Aufführung bewegt sich in einem
geschlossenen Bühnenraum die in Stimmkultur und Ausdruck großartige
junge Sängerin Annerose Hummel beschwörend. Damen und
Herren führt der Regisseur mit einer dem Text gemäßen
Gestik. Oliver Weder gestaltet auch diese im Vergleich zu Ullmann
anspruchsvollere Partitur spieltechnisch sauber und ausdrucksdicht.
Mit diesem Abend machten das Landestheater Rudolstadt und die Thüringer
Symphoniker deutlich, was verloren gehen würde, wenn das Orchester
nach den Plänen des thüringischen Kultusminsters Jens
Goebel und dem hinter ihm stehenden Ministerpräsidenten Dieter
Althaus (beide CDU) aufgelöst würde. Um die Musiker ruhig
zu stellen, sollen zwar Abfindungen gezahlt werden. Doch die dienen
ja letztlich nur zum Abbau von Kultur. Was ein Orchester für
eine Region, für deren Musikschulen, Kirchenmusik und private
Musikerziehung bedeutet, scheinen diese Herren nicht zu wissen.
Doch die Rudolstädter und die Saalfelder stecken nicht auf.
Die Landrätin des Kreises Saalfeld/Rudolstadt Marion Philipp
(SPD) nahm den Ministerpräsidenten beim Wort, als er gegenüber
einer thüringischen Zeitung erklärte, das Land stocke
seine 1,5 Millionen Euro auf, wenn die kommunalen Träger sich
wie in Rudolstadt weitere 900.000 Euro für ihre Theater abringen,
falls dadurch sinnvolle Strukturen entstehen. Zudem zeigen sich
die Künstler des Theaters und des Orchesters zu einem Haustarifvertrag
bis 2012 mit wesentlichen Einsparungen bereit. Da aber erklärte
der Kultusminister, man habe den Nachsatz des Ministerpräsidenten
nicht richtig verstanden und plädiert weiter für Auflösung.
Und weiter: „Wir spielen nicht mehr das Spiel, wer sich zuerst
bewegt, hat verloren, wir spielen das Spiel, den letzten beißen
die Hunde.“
Nachdem die Theater Altenburg/Gera, Nordhausen, das Theaterhaus
und die Philharmonie Jena, die Vogtländische Philharmonie
Greiz/Reihenbach und das Puppentheater Waidspeicher Erfurt die
modifizierten Sparverträge unterschrieben haben, die sich
sicher fühlenden Theater in Erfurt, Weimar und Meinigen noch
abwarten, versucht Goebel schlimme Tatsachen zu erzwingen, indem
er gegen den Erhalt der Orchester Gotha/Suhl und Saalfeld/Rudolstadt
plädiert und die über Jahrhunderte gewachsene einzigartige
Thüringische Theater- und Orchesterlandschaft weiter dezimiert.
Er sollte mit Dieter Althaus in Rudolstadt eine Aufführung
der „Weise von Liebe und Tod“ besuchen, damit er sieht,
was er anrichtet.
Werner Wolf
|