In den Feuilletons der Tagespresse wurde am 17. Oktober 2006 das „Sau
tot!“ auf Kirsten
Harms geblasen, auf die Intendantin der Deutschen Oper Berlin und Regisseurin
von Alberto Franchettis Oper über die antinapoleonische deutsche Widerstands-
und Befreiungsbewegung „Germania“, die, 1902 unter der Stabführung
Arturo Toscaninis an der Mailänder Scala uraufgeführt, seit den fünfziger
Jahren offenbar nicht mehr gespielt worden ist.
„Au Backe!“, konnten die Leser nur stöhnen,
wenn da in den Rezensionen mit „Ab in
die Mottenkiste“ (Süddeutsche), mit „Schmachtfetzen“ (Tagesspiegel)
oder mit „Deutschland, verflache!“ (Welt) auf das „plärrige
Libretto“, den „klingenden Kitsch“ und das „biederste
Erzähltheater“ eingedroschen wurde. Die Leser mochten zwar stutzig
werden, weil in jeder Besprechung der so genannte „Idomeneo-Skandal“ (vgl.
Editorial in „Oper&Tanz“, Ausg. 5/06) oder die Probleme
der Opernstiftung erwähnt wurden, weil musikhistorische Bezugnahmen, zum Beispiel
zu Mahler, chronologisch daneben lagen oder weil sich ihnen die Frage aufdrängte,
warum denn Toscanini fast dreißig Jahre die „Germania“ im
Repertoire behielt, wenn deren Musik doch „erschreckend simpel getaktet
und ohne Eigenwert“ ist.
Verstand Toscanini von der Musik seiner Zeit so wenig?
Noch
auffälliger waren Anwürfe der Art, die Ausstattung
sei „den
historischen Vorbildern abgeschaut“. Preußens Königin Luise
ist nicht in Blue Jeans oder gar als Nackedei aufgetreten, erfuhren die Leser,
und die aufständischen
Intellektuellen und Studenten der Jahre 1806 bis 1813 hantierten nicht mit
Kalaschnikows und Dynamitgürteln. Ist das denn im Regietheater erlaubt? Entgegen
der Absicht der Verrisse, die Besucher von solch einer
garstigen Aufführung
der Deutschen Oper Berlin fernzuhalten, hilft bei den aufkommenden
Zweifeln doch nur eines: Hingehen und sich selbst einen Eindruck
verschaffen. Und der ist:
Ein interessanter, überwiegend großer Abend. Eine in der Exposition
etwas mühsame, in ihrer ausgestellten Komik zunächst gewöhnungsbedürftige,
dann spannend werdende, stark idealisierende Schilderung deutscher historischer
Ereignisse aus italienischem Blickwinkel, zusammengehalten von der zeittypischen
Dreiecksgeschichte des Vor-Kino-Melodrams. Das Libretto ist eher weniger krude
als das, was „Germania“-Autor Luigi Illica sonst für Puccini
(zusammen mit Giacosa) und für Giordano geschrieben oder was Piave Verdi
zugemutet hat. Und die Partitur ist meisterlich. Die Suche
nach einer Erklärung für die auffallend einhellige
Ablehnung der Aufführung durch die Tagespresse führt
zu drei Vermutungen. Hier sollte in der wieder hochgekommenen,
hitzigen Debatte um die „Stiftung Oper in Berlin“ die
Theaterpolitik mit anderen Mitteln fortgesetzt werden. Hier sollte klar gemacht
werden, dass eine handwerklich tadellose, Mätzchen und Provokationen aussparende
veristische Inszenierung nicht in die Zeit der Events passt. Hier verstörte – und
das gilt wohl auch für die Reaktionen des Publikums auf einige Szenen – die
Darstellung eines Ausschnitts deutscher Geschichte, deren – aus heutiger
Sicht – naiver Patriotismus, italienisch temperiert, und deren ebenso
naive Vorstellungen von einer friedlichen, von Philosophen, Dichtern und Musikern
geprägten
Bürgergesellschaft so gar nicht ins Geschichtsbild passen, das unsere
Standpunktsprothesenträger
als einen geradlinigen Weg von Luther zu Hitler darstellen. Das Nachdenken
auslösende
Erschrecken über „Lützows wilde verwegene Jagd“ und über
die Ausstellung authentischen Opferwahns ist aber deren Vernebeln oder Denunzieren
vorzuziehen. Animierte die Kritik zur Auseinandersetzung mit Werk und Inszenierung,
wäre
sie förderlich und hoch willkommen. Die ungerechtfertigte, uniforme Vernichtung
von Werk und Inszenierung jedoch ist geeignet, auch theaterpolitische Schieflagen
herbeizuführen, von denen die „Stiftung Oper in Berlin“ (vgl.
Brennpunkte auf S. 6) schon zur Genüge hat. Ihr Stefan Meuschel
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