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Hilferufe werden ignoriert
Ein Gespräch mit dem koordinierenden Wiener Chordirektor Thomas
Lang
und dem Chorsänger Mario Steller
Seit dem 1. September ist
Thomas Lang koordinierender Chordirektor an der Wiener Staatsoper,
in der Saison 2007/08 wird er als Nachfolger
von Ernst Dunshirn die Gesamtverantwortung für den Chor übernehmen.
Den Lesern von „Oper&Tanz“ ist der Chordirigent
durch seine Engagements in Lübeck und Wiesbaden bekannt. Mit
ihm sprach Christian Tepe für „Oper & Tanz“ Am
Gespräch beteiligte sich zudem der vielgefragte Wiener Kulturemissär
Mario Steller, Mitglied des Fachgruppenvorstandes der Gewerkschaft,
Mitglied des Betriebsrates des darstellenden künstlerischen
Personals und natürlich Sänger des Staatsopernchores. Oper&Tanz: Herr Lang, wie gelingt es Ihnen, aus den verschiedenen
Künstlertemperamenten des Chores die homogene Chorklangeinheit
auf der Bühne zu gewinnen?
Thomas Lang: Man muss sich sehr
für Menschen, für Individuen
interessieren und bereit sein, in diesem Kollektiv, das man natürlich
als Kollektiv zu führen hat, die Eigenheiten der Individuen
in einer gewissen Form zu tolerieren, sofern sie nicht den Interessen
des Kollektivs entgegenwirken.
Mario Steller: Es gibt einen weiten Konsens von
der Direktion über
die Chordirektion bis zum Chorsänger: Die künstlerische
Entwicklung des Einzelnen genießt bei uns hohe Wertschätzung.
Das ist tarifvertraglich verankert. Wenn jemand zum Beispiel einer
qualifizierten künstlerischen Tätigkeit zuliebe ansucht,
für diesen Abend frei zu bekommen, sagen wir bis in die Direktion
hinauf: Das nutzt auch der Wiener Staatsoper, wenn sich der Kollege
musikalisch weiterbildet, also werden wir das unterstützen,
wenn sich das mit den Erfordernissen der Oper vereinbaren lässt. O&T: In jüngster Zeit wird das Regietheater wieder sehr
kontrovers diskutiert. Wie sehen Ihre Erfahrungen aus?
Lang: Dazu muss man zunächst grundsätzlich sagen: Es
gibt einfach gute und es gibt schlechte Regisseure. Viele Regisseure,
die ich erlebt habe, können wunderbar mit Solisten arbeiten,
doch wenn da plötzlich 50 Leute stehen, werden sie so nervös,
dass überhaupt nichts geht. Ein Chor kann nur dann gut spielen,
wenn er auch das Gefühl hat, dabei gut singen zu können.
Wird das vom Regisseur nicht gefördert oder im schlimmsten
Fall sogar verhindert, dann haben der einzelne Chorsänger,
die Gruppe und letztlich auch der Regisseur ein Problem und es
wird nicht das Ergebnis herauskommen, das man sich wünscht.
Steller: Ich habe bei den wenigsten Regisseuren
festgestellt, dass die klangliche Meinung eines Chordirektors bei
der Inszenierung,
ohne dass er sich unwirsch einbringt, eingefordert wird. Aber das
wäre geradezu unabdingbar.
O&T: Wie beurteilen Sie die
Präsenz des Chores in den
Musikkritiken?
Steller: Findet der Chor überhaupt Erwähnung, dann hat
es einfach nur stattgefunden oder es war sehr gut. Man liest kaum
noch eine wirklich differenzierte Kritik, wo über Stimmfarben
gesprochen wird. Es wäre auch interessant, wenn die Rezensenten,
so wie das bei Orchestern getan wird, Vergleiche ziehen und durch
Beispiele ausloten, wie sich die Chorklangprofile an verschiedenen
Orten voneinander unterscheiden.
O&T: Und wie charakterisieren
Sie den Wiener Gesangsstil?
Steller: Der ist eine Mischung
zwischen dem deutschen und dem südlichen
Stil. Wir haben hier so eine Art Wiener Melange, das heißt
eine eher runde Gesangsweise, bei der alles ein bisschen in einen
weicheren, samtfarbeneren Klang eingebettet wird. Es ist also verpönt,
hart zu singen. Es soll ein Gesamtbild sein, das weich ist, das
ist unser Ziel.
O&T: Würden Sie gerne mehr zeitgenössische Werke
einstudieren und singen?
Lang: Also..., nein. Ich antworte
jetzt ganz persönlich und
ganz eigennützig: Ich bin froh, dass ich an einem Opernhaus
arbeiten darf, wo eben genau das Repertoire gepflegt wird, wie
es hier gepflegt wird. Das ist meine Herkunft, das ist meine musikalische
Heimat. Ich habe überhaupt nichts dagegen, ein zeitgenössisches
Stück zu machen, nur, ich muss sagen, wenn es selten vorkommt,
bin ich nicht traurig.
Steller: Meistens hören wir doch, wenn es um zeitgenössische
Musik geht, Experimente. Ich halte es für völlig falsch
im größten Opernhaus der Welt zu experimentieren. Die
Leute kommen wegen des Opernhauses nach Wien. Die Touristen verlangen
von uns, den Abend in der Wiener Staatsoper als unvergesslich in
Erinnerung zu behalten. Denen kann ich doch keine Experimente vorsetzen,
das wäre nicht fair.
Lang: Wir würden uns natürlich einer derartigen Produktion
nicht verweigern, wir würden auch diese Produktion so gut
wie möglich und gerne machen. Nicht dass jetzt der Eindruck
entsteht, dies wäre reaktionär.
Steller: Als Künstler ist es mir schon wichtig, vor vollem
Haus zu spielen. Wir leben ja vom Publikum.
O&T: Herr Steller, berichten
sie bitte noch von den aktuellen Schwerpunkten Ihrer gewerkschaftlichen
Arbeit.
Steller: Die Republik Österreich besitzt dieses Opernhaus
und sie tut herzlich wenig in letzter Zeit, um dem Nachdruck zu
verleihen. Man hat es fertig gebracht, innerhalb der letzten zehn
Jahre das Opernhaus mit einem eingefrorenen Budget zu versehen.
Da hat ein Minister Schüssel noch in den 80er-Jahren während
einer Japan-Tournee der Staatsoper gratuliert: „Was wir in
langen Verhandlungen nicht geschafft haben, hat die Wiener Staatsoper
in wenigen Stunden ermöglicht. Dafür bedanke ich mich.“ Dieselbe
Person ist dann Bundeskanzler und sagt: „Die Oper kriegt
auf keinen Fall mehr Geld, unabhängig davon, wie die politische
Zukunft ausschaut.“ Das war die Ansage an uns Betriebsräte
im Herbst 2005. Seit 1995 fehlen uns etwa 20 Prozent Reallohn,
dafür mussten wir aber eine Stellenkürzung hinnehmen
und die damit verbundene Mehrarbeit. Die politische Führung Österreichs
scheint völlig desinteressiert und ignoriert alle Hilferufe,
die aus der Staatsoper dringen.
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