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Im Bann der großen Tradition
Ein Porträt der Wiener Staatsoper · Von Christian Tepe
Ist die Wiener Staatsoper ein Hort der künstlerischen Reaktion?
Erschöpft sich das einmalige, 60 Stücke umfassende Repertoire
in der bloßen Wiederholung des Bewährten? Wer die Restriktionen
der Spielplangestaltung hinter der vordergründigen Vielfalt
beobachtet, ist rasch versucht, die Programmpolitik der Direktion
infrage zu stellen: Ganze acht Opernuraufführungen verzeichnen
die hauseigenen Annalen seit der Wiedereröffnung des Prachtbaus
am Ring vor über einem halben Jahrhundert und die große
Musik nach 1945 bleibt darin ein weitgehend unbekanntes Reich.
Oder entspringt solche Missbilligung einer zu wenig für den
Genius des Ortes sensibilisierten Sichtweise, welche diese Weihestätte
der Musik am liebsten zu einer beliebigen Filiale des deutschen
Regietheaters gemodelt sähe? Und das während viele Opernfreunde
bereits bei den szenischen Aktualisierungsversuchen eines Peter
Konwitschny oder Robert Carsen aufseufzen und Sena Jurinac in der
Wiener „Presse“ gar ein generelles „Weg mit den
Subventionen!“ als Voraussetzung für eine auf die Musik
konzentrierte Wiedergeburt der Oper fordert.
Indessen kann sich wohl niemand der diversen Kombattanten dem
einzigartigen Faszinosum des Hauses entziehen. Sogar der gestrenge
Adorno, beharrlicher
Anwalt der Wiener Avantgarde, urteilte noch 1969: „Von diesem
Operninstitut geht eine Kraft der Suggestion aus, die trotz allem
das Äußerste verspricht.“ Wäre 1945 die ganze
Staatsoper ein Raub der Flammen geworden, vielleicht wäre
mit der Architektur auch die retrospektive Opernästhetik untergegangen.
Aber zum Glück kann der Besucher noch heute über die
festliche Hauptstiege lustwandeln, vorbei an der Fensterfront des
kaiserlichen Teesalons, der gleichsam von einer „Hofoper
ohne Hof“ kündet. Die Poesie dieser Architektur besitzt
eine normative Kraft, sie weckt Erwartungen, sie definiert die
Oper vorab als seliges Refugium, als Asyl aus der Alltagsmisere.
Dennoch: Befindet man sich endlich in dem nach dem Krieg neu errichteten,
etwas schüchtern die alte Gestalt zitierenden Zuschauerrund
der Logen, so eröffnen die Aufführungen in der aktuellen
Spanne von Mozart bis Schönberg ein weitaus differenzierteres
Spektrum, als es die pauschale Antithese von Opernmuseum oder Regietheater
wahrhaben will. Die erste Saisonpremiere ist eine musikalisch intelligente und
szenisch klar gegliederte Deutung von Verdis „Otello“.
Regisseurin Christine Mielitz, die sich mit regelmäßigen
Arbeiten in Wien festgesetzt hat, führt Desdemona nicht als
das prädestinierte Opfer vor, sondern stellt sie in hellstes
Licht als eine Frau von unerschütterlicher Stärke des
Gefühls. Genau das ist es, was diese unsere Welt braucht:
Hoffnung, die sich auch in der Verzweiflung nicht beugen lässt.
Der Dirigent Daniele Gatti verzichtet auf allzu luxuriöse
Klangschwelgereien und ist bestrebt, die subkutane Struktur der
Musik als ein aufgerauhtes Relief zersplitternder Klänge freizulegen.
Es ist schon bewunderungswürdig, was hier von den Musikern
geleistet wird, denkt man an die notorische Überlastung des
Staatsopernorchesters. So hatten die Wiener Philharmoniker, die
sich bekanntlich aus den 148 Instrumentalisten des Opernorchesters
rekrutieren, schon am Vormittag nach der Premiere ihre nächste
Auftrittsverpflichtung beim „Konzert für Österreich“ unter
Nikolaus Harnoncourt zu absolvieren, ganz zu schweigen vom dichten,
kaum einen vorstellungsfreien Tag duldenden Jahresspielplan mit
seinen fast 300 Opern- und Ballettaufführungen. Da geht das
künstlerische Credo des Hofoperndirektors Gustav Mahler – „In
jeder Aufführung muss das Werk neu geschaffen werden“ – darstellerisch
nicht immer in Erfüllung, wie ein abgespielter, von Schablonenpsychologie
gefährdeter „Rigoletto“ vor Augen führt.
Erstaunlich jung geblieben kommt dagegen Franco Zeffirellis „Carmen“ von
1978 in einem Stil daher, der in Deutschland Skandal machen würde:
nämlich als realistische, historisch detaillierte, vitale
Milieuschilderung, aus der sich umso schockierender die Tragödie
erhebt. Was die ausgefeilte Durchdringung von szenischen und musikalischen
Prozessen betrifft, ist die Produktion immer noch sehenswert, gerade
wenn man an die Verstiegenheiten mancher postmoderner Inszenierungsversuche
denkt.
Nicht nur in „Carmen“ bewährt sich der Chor der
Wiener Staatsoper als Rückgrat der Aufführung. Sei es
die ungetrübte Präzision des „Streitchores“,
sei es das unvergleichlich klangvolle Piano im „Rigoletto“ oder
die niemals auf bloße Überrumpelung zielende dramatische
Eloquenz des „Otello“, stets überzeugen die insgesamt
92 Sänger durch Zuverlässigkeit und Leidenschaft. Der
tägliche Spielbetrieb führt den Chor und das fest engagierte
Ensemble mit internationalen Gastsolisten zusammen, wobei die hauseigenen
Sänger manchem teuren Opernstar ebenbürtig sind. Zweifellos
hat sich Staatsoperndirektor Ioan Holender während seiner
bisher 14-jährigen, noch bis 2010 währenden Amtszeit
mit der Pflege und Entwicklung der Gesangskunst an seinem Haus,
besonders mit seinem Spürsinn für junge Ausnahmekünstler
große Meriten erworben. Das darf nicht alles sein. Doch ohne
dies ist in der Oper alles nichts. Der Nachwuchsförderung
wird auf jeder Ebene eminente Beachtung geschenkt. Das gilt nicht
zuletzt für die zukünftigen Besucher. Für sie hält
das auf der Dachterrasse der Staatsoper exponierte Kinderopernzelt
einen eigenen Spielplan bereit. Man hat an der Staatsoper eben
nicht nur erkannt, dass der Fortbestand der klassischen Kultur
zuallererst eine Frage der musischen Bildung ist, sondern ist auch
willens, die praktischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Stimmlich
begabten Jungen und Mädchen steht die Opernschule unter der
Leitung des koordinierenden Chordirektors Thomas Lang offen. Sechs
Stunden in der Woche werden die Heranwachsenden unter anderem in
den Fächern Stimmbildung, Chor- und Sologesang sowie Szenisches
Gestalten auf ihre Mitwirkung am Kinderchor vorbereitet und an
ein mögliches Berufsziel als Sänger herangeführt.
Noch wenig aussagekräftig ist die erst 15 Monate alte Ära
Harangozó beim Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper
angelaufen. Auch wenn die Vorstellungen aus insgesamt 14 Programmen
bestehen und einen guten Einblick in den Bestand klassischer Choreografien
des 20. Jahrhunderts bieten, ist eine Tendenz zum Konventionellen
unverkennbar. Im November zum Beispiel hat der Besucher im Haus
am Ring nur die Auswahl zwischen „Coppélia“ und „Giselle“.
Einen Schwerpunkt der Arbeit Harangozós bildet die Nachschöpfung
von Choreografien seines Vaters Gyula Harangozó, seinerzeit,
wie zuletzt auch der Sohn, Direktor des Balletts der Budapester
Staatsoper. Sein „Coppélia“-Ballett macht sich
auf die Suche nach der verlorenen Kindheit und besticht durch Leichtigkeit,
Humor und den seligen Rausch wirbelnder Bewegung. Nach diesem verheißungsvollen
Auftakt bleibt zu wünschen, dass neben den nostalgischen Produktionen
auch so bahnbrechende Kreationen wie das Antikriegsstück „Vielleicht
morgen“ oder die Bartók-Ballette aus dem Oeuvre von
Harangozó senior für Wien gewonnen werden.
Mag die Frage nach der Gegenwartsbezogenheit des Profils der
Wiener Staatsoper heiß umstritten sein, was die Herabwürdigung
durch die Kulturpolitik betrifft, hat das Haus mit der aktuellen
gesamteuropäischen Entwicklung gleichgezogen. Erst vor kurzem
musste der Chor eine Reduzierung um neun Planstellen hinnehmen.
Der Geschäftsbericht für die Saison 2004/05 weist neben
38 Millionen Euro Eigeneinnahmen (davon 27,5 Millionen aus dem
Kartenvertrieb) und 2,5 Millionen Euro Förderung durch private
Geldgeber einen öffentlichen Zuschuss von 51 Millionen Euro
aus. Trotz der traumhaften Sitzplatzausnutzung von über 97
Prozent stagnieren die staatlichen Zuwendungen seit zehn Jahren.
Das wird sich ändern müssen, wenn die emphatische Bemerkung
eines Stehparterre-Zuschauers auch künftig ihre Berechtigung
haben soll, man fühle sich hier wie inmitten der Seele der
Welt.
Christian Tepe
Die Wiener Bundestheater-Holding
Zentralverwaltung bei gleichzeitiger künstlerischer Eigenständigkeit
einzelner Häuser: Das ist der Gedanke der Bundestheater-Holding,
die auf eine lange Tradition zurückblickt. K.k. Hoftheater,
Bundestheaterverwaltung, Bundestheaterverband, Bundestheater-Holding:
Im Lauf der Jahrzehnte haben sich Bezeichnungen, Strukturen und
Funktionen verändert. Ziel war und ist es, die Bundestheater
in Wien (heute sind das das Burgtheater, die Staatsoper und die
Volksoper) unter ein Dach zu bringen und damit bestimmte Aufgaben
zu bündeln und zu koordinieren. Eine Strukturreform im Jahr
1996 mündete im Bundestheaterorganisationsgesetz und schließlich
in der heutigen Struktur: Die drei Theater bilden eigenständige
GmbHs unter der Führung der Holding GmbH, die wiederum zu
100 Prozent Eigentum des Bundes ist. Fünfte Gesellschaft im
Bunde ist die Theaterservice GmbH, die die anderen mit Dienstleistungen
wie Kostüm- und Dekorationsherstellung, Kartenvertrieb, Gebäudeverwaltung,
EDV et cetera versorgt.
Das Stichwort heißt schlanke Organisation bei gleichzeitiger
künstlerischer und finanzieller Eigenverantwortung. Controlling,
finanzielle Absicherung, Grundsatzfragen, Kollektivverträge
und Vertretung der Bühnen nach außen sind die Hauptaufgaben
der Holding, die sich als „größter Theaterkonzern
der Welt“ bezeichnet, ein Jahresbudget von 190 Millionen
Euro verwaltet und insgesamt 2.500 Mitarbeiter beschäftigt.
Bei einer (nicht regelmäßig steigenden) Subventionssumme
von 133,6 Millionen Euro von der Republik Österreich keine
leichte Aufgabe. Dennoch werden in jedem Geschäftsjahr zirka
zwei bis drei Millionen Euro in die Instandhaltung der historischen
Theatergebäude gesteckt. Eine „bundestheater-CARD“ ermöglicht
es ,durch Sammlung von Bonus-Punkten ermäßigte Preise
in denTheatern zu erhalten. bh
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