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Meiningen kann wieder feiern
175-jähriges Jubiläum des Theaters · Von Midou
Grossmann
Die kleine Residenzstadt in Thüringen war schon immer etwas
Besonderes und den Künsten nicht erst seit der Eröffnung
des Herzoglichen Hoftheaters im Jahr 1831 zugeneigt. Die erste
urkundliche Erwähnung der Hofkapelle findet sich schon 1690.
Zwischen 1702 und 1707 leitete der damals berühmte Sänger,
Dirigent und Komponist Georg Caspar Schürmann das kleine Ensemble
und führte seine deutschen Opern auf. Mit Johann Ludwig Bach,
der von 1711 bis zu seinem Tode 1731 dem Orchester vorstand, begann
das Wirken der Meininger Bachlinie, das bis ins Jahr 1846 reicht.
Großen Einfluss auf das Musikleben hatte auch die örtliche
Freimaurervereinigung, am 14. März 1781 fand das erste öffentliche
Konzert der Hofkapelle im Logenhaus statt. Später konnten
sogar Opern – in Zusammenarbeit mit gastierenden Schauspielensembles – aufgeführt
werden, im Mittelpunkt standen die Mozart‘schen Bühnenwerke,
die um 1795 fast alle zur Aufführung kamen.
1866 übernahm Herzog Georg II. die Regentschaft und eine neue
künstlerische Ära brach an. Georg II., der auch als Theaterherzog
in die Geschichte einging, bildete ein festes Schauspielensemble,
behielt zwar weiterhin die Hofkapelle, verzichtete aber auf ein
Opernensemble. 1867 wird der Dichter und Shakespeare-Übersetzer
Friedrich von Bodenstedt Intendant am Meininger Theater. Die „Reisezeit“ der
Meininger beginnt. Auf 81 Gastspielreisen in 37 europäischen
Städten geben die Meininger 2.887 Vorstellungen mit 41 Stücken.
Ziel des Herzogs war eine Erneuerung des deutschen Theaters mit
detailgetreuer historischer Ausstattung. Der Herzog selbst entwarf
Dekorationen und Kostüme. Das Meininger Haus war neben dem
Nationaltheater Weimar wohl eine der wichtigsten Theateradressen
Deutschlands. Wie für Goethe in Weimar, waren auch für
Herzog Georg II. „pädagogische“ Absichten wie
Sensibilität für Schönheit und die ästhetische
Vermittlung humanistischer Ideale ein Kernpunkt der Theaterarbeit. Erziehung des Publikums
1880 holt der Herzog Hans von Bülow als Chef der Hofkapelle
nach Meiningen. Bülows Arbeit mit der Meininger Hofkappelle
(1880–1885) ist auch geprägt durch seinen Einsatz für
Johannes Brahms. Dessen Werke sollten für einige Jahre Mittelpunkt
im Schaffen Bülows sein. Er vergrößerte das Orchester
von 36 auf 50 Mitglieder und entwickelte ein detailliertes Probensystem
und eine systematische Programmgestaltung zur Erziehung der Musiker
und auch des Publikums (!). In seinen „Meininger Prinzipien“ forderte
er unter anderem: „Jede dynamische Nüance wird studirt,
jeder Bogenstrich, jedes Staccato genau gleichmäßig
vorgezeichnet, musikalische Phrasirung und Interpunction in jedem
Detail probiert. In der Kunst gibt es keine Bagatellen.“ Im
Frühjahr1881 dirigiert Bülow in Meiningen die 2. Sinfonie
von Brahms. Im Herbst reist Brahms auf Einladung des Herzogs selbst
nach Meiningen. Zur Aufführung kommen das 2. Klavierkonzert
und das Requiem. Doch angefangen hat Bülows musikalische Tätigkeit
in Meiningen mit Beethoven. Er hat dem Konzertpublikum während
sechs Abonnementkonzerten nichts anderes als Beethoven angeboten.
Höhepunkt dieser „Beethovenreise in 80 Tagen“,
wie Bülow diese Konzerte bezeichnete, war – als besonderes
Weihnachtsgeschenk für das Herzogpaar – die Doppelaufführung
von Beethovens 9. Sinfonie. Es sei noch angemerkt, dass Bülow
die Türen des Konzertsaales abschließen ließ;
niemand konnte so den Aufführungen entfliehen. Bülows
Assistent Richard Strauss wurde 1885 sein Nachfolger, Max Reger übernahm
das Orchester von 1911bis 1914. Teilung und Wende
Meiningen behielt seinen künstlerischen Status auch in der
Zeit der deutschen Teilung, und nach dem Fall der Mauer rückte
die ehemalige „Grenzstadt“ wieder in die Mitte des
Dreiländerecks Thüringen, Hessen, Bayern. Plötzlich
war die große künstlerische Vergangenheit des Städtchens
in aller Munde. Der damalige Intendant Burckhardt war ein Glücksfall
für die Stadt, verstand er es doch, die glorreiche Vergangenheit
mit der Gegenwart zu verbinden, so geschehen auch mit den „Musiktagen
Hans von Bülow“ im Jahr 1994, einem „Kunstmarathon“ von
20 Veranstaltungen auf internationalem Niveau. August Everding
inszenierte „Die Meistersinger von Nürnberg“ und
Vicco von Bülow Flotows „Martha“. Höhepunkt
war sicherlich das Europa-Konzert der Berliner Philharmoniker am
1. Mai 1994, das weltweit übertragen wurde. Wagner-Treffpunkt
Doch im Jahr 1997 stoppte der frühe Unfalltod des Intendanten
Burckhardt erst einmal die positive Entwicklung. Im Jahr darauf
wurde mit Christine Mielitz eine Intendantin verpflichtet, die
versuchte das künstlerische Niveau des Hauses weiter zu festigen.
Zum Kernstück ihrer Intendanz wurde eine Ring-Inszenierung,
die sie zusammen mit dem damaligen Chefdirigenten Kyrill Petrenko
als Höhepunkt viermal, und zwar immer an vier aufeinander
folgenden Abenden, auf die Bühne brachte. Meiningen wurde
zum Treffpunkt für viele Wagnerianer aus allen Teilen der
Welt.
Nach dem Weggang von Christine Mielitz übernahm 2002 der Schweizer
Res Bosshart die Leitung des Theaters. Nun begannen die Turbulenzen,
denn Bossharts avantgardistischer Stil kam beim Publikum nicht
an. Der ursprünglich bis Ende Juli 2007 laufende Fünfjahresvertrag
mit dem Schweizer wurde vom Stiftungsrat der Meininger Kulturstiftung
zum 30. November 2005 aufgelöst. Das Theater hatte nach Bossharts
Amtsantritt wegen mehrerer als zu progressiv kritisierter Inszenierungen
ein Drittel seiner Abonnenten verloren. Mit 140.000 Zuschauern
war die Auslastung in den ersten Bosshart-Spielzeiten auf weniger
als 75 Prozent gesunken. Der von ihm vertretene Inszenierungsstil
war für Meiningen sicherlich der falsche Weg und eigentlich
hätte dies der Stiftungsrat vorab erkennen müssen. Die
Verpflichtung Bossharts war ein Fehler, der mit etwas mehr künstlerischem
Fingerspitzengefühl vermeidbar gewesen wäre. Die Mitarbeiter
des Meininger Hauses hatten ihm schon 2004 das Misstrauen ausgesprochen.
Unter der Intendanz Bosshart wurde auch das Ballett gekündigt,
die einzige Sparte, die damals noch gewinnbringend gearbeitet hatte.
Geblieben sind Schauspiel, Oper und Marionettentheater. Neuer Erfolgskurs
Ansgar Haag, der neue Intendant des Meininger Theaters (auch
Südthüringisches
Staatstheater genannt), ist ein Mann mit großer Entscheidungskraft
und künstlerischen Visionen. Nach einer erfolgreichen Intendanz
in Ulm, hat er sich vorgenommen, das Haus wieder auf Erfolgskurs
zu bringen. Und das hat er geschafft: 1.387 neue Abos meldet das
Theater und kann damit auf insgesamt 3.500 Abonnenten bauen. Im
Vergleich zum Vorjahr kann der Intendant eine Steigerung der Besucherzahlen
um 23 Prozent melden, was glücklicherweise alle Sparten betrifft.
Nach der erfolgreichen Freischütz-Premiere im Herbst letzten
Jahres, bringt Haag nun mit Max von Schillings Oper „Mona
Lisa“ und Mozarts „Don Giovanni“ weitere Highlights
in den Spielplan, die mit Theateraufführungen von Schillers „Kabale
und Liebe“ sowie Tschechows „Onkel Wanja“ komplettiert
werden. In dieser Spielzeit haben noch „Der fliegende Holländer“, „Der
Troubadour“, „La Bohème“ und „Wiener
Blut“ Premiere. Für die Jubiläumsgala im Dezember
konnten Gäste wie Klaus Maria Brandauer und Anja Silja gewonnen
werden. Auch auf eine intensivere Jugendarbeit wird nun Wert gelegt
und die erste eigene Produktion des Jugendtheaterclubs, die Inszenierung
des schwedischen Stückes „Raus aus Amal“, wurde
zum internationalen Treffen der Jungendklubproduktionen der Salzburger
Festspiele eingeladen. Die im Sommer 2007 geplanten Vorstellungen
von „Faust“ – erster und zweiter Teil – in
der Regie vom Intendanten selbst, sind zum Teil schon ausverkauft,
Zusatzvorstellungen sind mittlerweile schon angesetzt.
Ansgar Haag ist ein Vollbluttheatermann, er selbst sieht sich
ein klein wenig wie Don Quichotte, der gegen Windmühlen kämpfen
musste, doch der Besucheranstieg zeigt, dass seine Art, Theater
zu machen, die Menschen interessiert. Mit seinen Damen von der Öffentlichkeitsarbeit
tuckert der Intendant öfters selbst auch übers Land und
präsentiert sein Haus in Volkshochschulen, Gasthäusern
und Konferenzhallen, natürlich sind auch Sänger dabei,
die ein musikalisches Rahmenprogramm gestalten. Heute ist es wichtig,
die Klassik aus der elitären und vordergründig intellektuellen
Ecke zu holen. Theatermacher wie Haag sind dringend notwendig,
denn es geht um eine lebendige Kunst. Die heutigen Menschen benötigen
einen Ausgleich zum mit Technik überfrachteten Alltag. Begegnungen
mit Kreativität und Fantasie bringen den Menschen zurück
in seine Mitte, daher sind Theater so etwas wie ‚grüne
Lungen’ für den Geist. Damoklesschwerter
Aufatmen kann man noch nicht in Meiningen, denn eine Neuordnung
der Theaterlandschaft Thüringens scheint im Ministerium
in Erfurt entschieden zu sein. Immer noch schwebt eine Fusion
mit Eisenach über dem Haus, die Verträge beider Intendanten
gehen nur bis 2008. Das Meininger Theater ist ein Kulturdenkmal,
seine große Vergangenheit verlangt nach einem authentischen
Erhalt. Eine Fusion wäre für Meiningen der Verlust
seiner Einmaligkeit, Theater und Stadt bilden eine Einheit. Es
sollten Mittel und Wege gefunden werden, um das Haus in seiner
Souveränität zu erhalten, denn auch Baudenkmäler
und Kunstwerke werden als schützenswert eingestuft und niemand
denkt daran, sie zu vernichten. Eine Fusion wäre künstlerisch
wie auch wirtschaftlich ein großer Fehler. Das Haus ist
als zweitgrößter Arbeitgeber der Stadt von großer
Bedeutung für die ganze Region. Die Stadt braucht Gäste,
denn mit nur 22.000 Einwohnern kann sie das Dreispartenhaus nicht
dauerhaft füllen. Der neue Intendant ist sich auch nicht
fürs Marketing zu schade und zwar erfolgreich; Schweizer
Reisegruppen sollen sich in Meiningen schon angemeldet haben. Midou Grossmann
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