Weniger die Entscheidung selbst, die Hans-Neuenfels-Inszenierung
des „Idomeneo“ vom Spielplan zu nehmen, als deren Folgen
in der öffentlichen Debatte rechtfertigen das Vorgehen der
Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms. Wann wäre
je zuvor in solcher Breite und Ernsthaftigkeit die angeblich dahinsiechende
Kunstgattung Oper Gegenstand der Diskussionen gewesen? Wann hätte
man je zuvor in den regulären Nachrichtensendungen so viel
über Kunstfreiheit und Regietheater gehört? Und über
die Notwendigkeit, dennoch behutsam mit den Religionen umzugehen?
Zu dieser Betrachtungsweise passt es, dass die
Islam-Konferenz in Berlin, zu der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
geladen hatte, sich einmütig dafür ausgesprochen haben
soll, die Oper baldmöglichst wieder aufzuführen; die Teilnehmer
der Konferenz würden die Vorstellungen sogar besuchen, kündigte
Schäuble an. Vielleicht wird dieser „Idomeneo“,
nach Möglichkeit en suite gespielt, zum Publikumsrenner und
krönenden Abschluss des Mozart-Jahres?
Die Entscheidung der Intendantin, die vier für
November geplanten „Idomeneo“-Vorstellungen abzusetzen,
war durch eine vom Berliner Landeskriminalamt signalisierte „Gefährdungslage
mit schwer einschätzbaren Folgen“ ausgelöst worden.
Für den fernen Betrachter erklärt sie sich eher durch
die zeitweise Kopflosigkeit der Berliner Kultur- und Innenverwaltung
als durch die Kopflosigkeit der von der Regie im „Idomeneo“-Finale
eingeführten Götter.
Kirsten Harms’ Entscheidung wurde mehrheitlich scharf
verurteilt. Feigheit, Selbstzensur aus Angst, gar Aufgabe
des abendländischen Kulturverständnisses wurden ihr angelastet.
Doch das ihr vorgehaltene „Principiis obsta!“ –
„Wehret den Anfängen!“ – muss hinterfragt
werden, denn schon für Neuenfels’ Inszenierung selbst
trifft dieses Postulat zu. Wenn er seine Absage an die Diktatur
der Religionsgründer mit dem Enthaupten von Poseidon, Jesus,
Mohammed und Buddha illustriert, ist Buddha in dem aus Motiven des
Alten Testaments und der Ilias kompilierten Libretto des Salzburger
Hofkaplans Varesco ein willkürlicher Fremdkörper. Auch
mit Mozarts Musik hat er nichts zu tun.
Neuenfels aber wählte Buddha, weil er aus
guten Gründen sich scheut, den logischerweise in sein Opernfinale
gehörenden Jehova, den Gott der Juden (oder wenigstens Moses)
zu köpfen. Das ist zu respektieren, könnte aber ebenfalls
als Feigheit und Selbstzensur aus Angst bezeichnet werden.
Die Hardliner der Prinzipientreue sollten mit
ihren Verurteilungen zurückhaltender sein. Und nicht jede Kopflosigkeit
ist mit der Freiheit der Kunst zu rechtfertigen. Die da so flink
Kirsten Harms an den Pranger gestellt hatten, wussten keine Antwort
auf die Frage des Berliner Innensenators Erhart Körting, warum
seinerzeit nicht alle deutschsprachigen Zeitungen die dänischen
Karikaturen des Propheten auf der ersten Seite abgedruckt hätten?
Warum wohl?
Stefan Meuschel
|