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Wenig frische Tendenzen
Die zehnte Dance-Biennale in München · Von Malve
Gradinger
Körper Sphären war das Motto von Münchens Dance-Biennale.
Und in einem Zwei-Wochen-Marathon mit 17
Produktionen gab es reichlich „Körper“ zu sehen: in den verschiedensten
Darstellungsformen, bis hinein in die Sphäre des Intimen; in allen möglichen
Beziehungen zu anderen Körpern; im unendlich variablen Verhältnis zum
konkreten und zum virtuellen Raum.
Phantastische virtuelle Welten
waren bei zwei Dance-Gästen zu besichtigen: Die in München lebende
US-deutsch-japanische Medienkünstlerin Tamiko Thiel ließ in ihrem
Stück „The Travels of Mariko Horo“, einer autobiografisch
inspirierten Reise von Ost nach West, urbane Szenerien und Bilder aus dem westlichen
Kitsch-Fundus über die rückwärtige Videowand gleiten. Bei der
Gruppe Attakkalari aus Bangalore schossen im Viertelsekundentakt geometrische
Muster über die Leinwand: ein regelrecht Schwindel bewirkendes wildwüchsiges
Highspeed-Videodesign von dem Japaner Kunihiko Matsuo, das, gutwillig gedeutet,
indische Metropolen-Hektik transportiert. In beiden Fällen eine frappierende
Hightech-Fertigkeit, gegen die eine schwache Choreografie keinen Kontrapunkt
setzen konnte: schmächtiger Butoh-Tanz bei Thiel, aseptischer Mix aus
Vokabeln des traditionellen Bharatanatyam und Modern-Dance-Bewegung bei Attakkalari-Chef
Jayachandran Palazhy. Bei beiden auch keine echte Interaktion zwischen Videobild
und Tanz. Und neu sind solche Hightech-Ballette auch nicht.
Neue, frische Tendenzen waren denn auch sonst nicht auszumachen.
Die Choreografen der großen Aufbruchszeit
der 70er- und 80er-Jahre, von der US-Postmodernen Trisha Brown bis zum Mitbegründer
der „Nouvelle Danse Francaise“ Angelin Preljocaj – bei Dance
jeweils mit substanziellen Stücken vertreten –, sind längst
etabliert und in den Opernhäusern angekommen. In noch stärkerem Maße
gilt das für die in Frankreich arbeitende US-Modern-Dance-Ikone Carolyn
Carlson, den Ex-Leiter des Londoner Balletts Rambert Richard Alston und Philip
Taylor, seit 1996 Tanzchef des balletttheaters am Münchner Gärtnerplatztheater.
Wenn deren Abend – Carlsons „If to leave is to remember“,
Alstons hochmusikalisches und choreografisch geschliffenes Schos-takowitsch-Ballett „Sheer
Bravado“, beides Uraufführungen, plus Taylors „Sacred Space“ von
1991 – in die Biennale integriert wurde, hat das in Zeiten knapper Kassen
fraglos zu respektierende Gründe. Als kostensparende Co-Produktion bleibt
dieser insgesamt solide gelungene und glänzend getanzte Modern-Dance-Dreiteiler
dem Gärtnerplatz-Repertoire erhalten.
Dass bedeutende Form-Erneuerer irgendwann klassisch werden, ist
eine logische Entwicklung. Bei dem einstigen „Enfant terrible“ Jan
Fabre hat sich allerdings die Provokation seines Beginns jetzt
zur technisch perfekten, schönen, leerlaufenden
Form geglättet. In den beiden mitgebrachten Soli sind sich phänomenal
bewegende Frauen zu sehen, in „Quando l’uomo principale è una
donna“ ganz nackt auf Öl-bedeckter Bühne eine herumglitschende,
gleißende, verlockende Pin-up-Venus. In Fabres spektakulär medientechnisch
aufgemachtem „Angel of Death“ beeindruckt vor allem William Forsythe,
der von einem Video herab einen Fabre-Text spricht. So wie er das Innenleben
seiner Figur vor uns bloßlegt, erleben wir zum ersten Mal, dass Forsythe,
der geniale Tanzerneuerer und spannende Tänzer, auch ein großartiger
Darsteller ist.
Forsythe und zwei Solo-Performerinnen – die Kanadierin Sarah
Chase und Maria Munoz von der spanischen Compagnie Mal Pelo – sind
Künstler, die ganz ohne Hightech-Aufwand
sprechend und tanzend eine Performance nur aus ihrer starken Persönlichkeit
heraus gestalten. In ihrer Gegenwart wird einem wieder einmal bewusst, dass
der zeitgenössische Tanz eine absolut individuelle Ausdrucksform ist und
nur dann Kunst, wenn sein Schöpfer auch zugleich der Interpret ist. Übertragen
auf fremde Körper, gerinnt die persönlich hervorgebrachte Form fast
immer zur Schablone.
Was es an Choreografen-Nachwuchs gibt, gerät oft zu früh
ins Räderwerk eines gefräßigen
Kulturbetriebs: Die verzweifelt nach Zärtlichkeit schreiende Uraufführung „Un
peu de tendresse bordel de merde!“ des Kanadiers Dave St-Pierre – mit
dieser erst dritten Arbeit noch jung im Metier – war nicht der erhofft
aufregende Dance-Auftakt. An sorgfältig gearbeiteter Choreografie ist
diese Generation auch kaum interessiert. Sie wirft sich sozusagen roh auf die
Bühne. Und da gelingt ihr im Grunde nur eines: den Menschen in seiner
Nacktheit zu zeigen, nicht mehr als provozierenden Tabubruch , sondern als
Selbstverständlichkeit, ohne Erotik, ohne Anzüglichkeit – als
Metapher für seine schutzlose existenzielle Blöße. St-Pierre
und Kollegen wie die Brasilianerin Lia Rodrigues tun das immerhin mit aller
Vehemenz und Ehrlichkeit – so dass doch noch Hoffnung ist.
Malve Gradinger
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