Glänzende Tänzer in München
Malve Gradinger im Gespräch mit dem Choreografen Davide
Bombana
Die Münchner Ballettwoche (s. Bericht S. 29) brachte auch
in diesem Jahr illustre Gäste in die bayerische Landeshauptstadt.
Malve Gradinger hat nicht nur die Aufführungen verfolgt, sondern
für „Oper&Tanz“ auch mit dem Choreografen Davide
Bombana gesprochen sowie die Künstlerin Lynn Seymour porträtiert
(s. nächste Seite).
Davide Bombana, mit seiner virtuos schnellen Technik vier Jahre
lang so etwas wie Münchens geflügelter Merkur des Balletts,
muss 1990 wegen einer schweren Fußverletzung seine Tänzerlaufbahn
beenden. Staatsballettchefin Konstanze Vernon bietet dem damals
32-jährigen Italiener eine Position als Ballettmeister und
die Chance zu choreografieren. Bis zu seinem Wechsel nach Florenz
als Ballettdirektor des Teatro Communale 1998 entstehen sieben Stücke,
unter anderem „Woyzeck-Fragmente“ (1995), das für
ihn den Durchbruch bedeutet. Auf Einladung von Staatsballettchef
Ivan Liska kehrt der inzwischen international beschäftigte
Bombana zurück für die Kreation „Century Rolls“
zu John Adams’ gleichnamigem Klavierkonzert. Dieses Stück
für 20 Tänzer bildet zusammen mit den Uraufführungen
„EleMental“ des Landsmanns Jacopo Godani und „In
the Country of Lost Things“ von Bühnenbildner/Regisseur
Michael Simon den Auftakt der diesjährigen Münchner Ballettwoche.
O&T: Nach der Ballettdirektion in Florenz
haben Sie als freier Choreograf gearbeitet, unter anderem für
das Essener Ballett, für Birgit Keils Karlsruher Ensemble,
das Ballet du Rhin Strasbourg, das Ballet du Capitole Toulouse und
zuletzt für das Ballett der Pariser Oper – ein Traumziel
vieler Tanzschöpfer.
Bombana: Ja, ich habe immer sehr gute Angebote
bekommen... Wahrscheinlich hätte ich nicht die Selbstsicherheit
gehabt, sie anzunehmen ohne diesen wirklich wunderbaren Start in
einem so großen repräsentativen Ensemble wie dem Staatsballett.
Ich fühle mich jetzt auch sehr geehrt, wieder hier etwas machen
zu können.
O&T: Wie stehen die Münchner Tänzer
im Vergleich da?
Bombana: Glänzend! Ich habe das Glück,
dass die beiden Elite-Ballerinen Lucia Lacarra und Lisa-Maree Cullum
in meinem Stück tanzen. Aber alle haben ein großes Potenzial,
sind offen, sehr kreativ, im Aufnehmen der modernen Bewegungen sind
sie sogar besser als manche Tänzer der Pariser Oper. Insgesamt
dominiert dort doch die strenge französische Klassik-Tradition.
O&T: Hat Ivan Liska Vorgaben gemacht?
Bombana: Ich wusste, dass Michael Simon für
das gesamte Bühnenkonzept verantwortlich ist und, Godanis Stück
ausgenommen, auch für das Licht. Aber das war keine beschränkende
Auflage, im Gegenteil. Ich schätze Simon sehr. Er hat viel
für Jiri Kylián gearbeitet und für William Forsythe.
Forsythes „Limb’s Theorem“ (im Staatsballett-Repertoire,
die Red.) hat er ja auch visuell mitgestaltet. Ich arbeite zwar
gerne erzählerisch, aber für seine eher abstrakten Bühnenideen,
dachte ich, passe ein reines Tanzstück besser.
O&T: In der Musikauswahl waren Sie früher,
wie Sie selbst sagen, immer „radikal“. Haben Sie sich
da verändert?
Bombana: Ja, schon. Als ich anfing zu choreografieren,
war mein Ausgangspunkt immer die Musik. Und die musste zeitgenössisch
sein, Schönberg, Webern, Messiaen, Nono, Giacinto Scelsi oder
Salvatore Sciarrino. Jetzt lasse ich mich von verschiedenen Anregungen
leiten. Für meine „Penthesilea“ habe ich Monteverdi
genommen. Anfang März hatte meine „Carmen“ in Toulouse
Premiere zu Rodion Schtschedrins Carmen-Suite und den Tambours du
Bronx. Mittlerweile habe ich zu Gesualdo, zu Bach und Prokofjew
choreografiert ebenso wie zu Kurtág, Cage und Ustwolskaja.
Für München wollte ich eine heitere Musik, mit der ich
auch die starke Spitzentechnik der Münchner Ballerinen herausstellen
kann. John Adams’ Klavierkonzert „Century Rolls“
erfährt übrigens durch mein Stück jetzt seine Europapremiere.
Sein Okay bekamen wir erst, nachdem er sich eine Bandaufnahme mit
unserer Pianistin Bogdana Lenek angehört hatte.
O&T: Was ist besonders an diesem Stück
von Adams?
Bombana: Adams hat sich hier von alten Pianola-Musiken
inspirieren lassen. Er war fasziniert von der härteren, der
„mechanischen“ Klangqualität der Klavierwalzen-Musik.
Indem er in seine rhythmisch pointierte Minimalmusik Zitate von
Debussy, Satie, Rachmaninow, Gershwin und vielen Jazzkomponisten
hineinnimmt, entsteht, wie er es empfindet, eine Art „automatic
re-writing of the pianola music of the century“. Daher der
Titel „Century Rolls“. Für mich bietet die Dynamik
der minimalistischen Grundstruktur viele tänzerische Möglichkeiten,
zusätzlich erlauben die kontinuierlichen Zitate vergangener
Komponisten eine Leichtigkeit, einen Humor, wie er sonst bei Adams
so nicht möglich ist.
Malve Gradinger
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