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Così fan tutte goes HipHop
Premiere und Symposium an der Komischen Oper Berlin ·
Von Thomas Heyn
Die Komische Oper Berlin hat Mozarts „Così fan tutte“
als Projekt in einer HipHop-Version herausgebracht. Gearbeitet wird
dabei mit dem Konzept der Szenischen Interpretation von Musiktheater
(nach ISIM), einem erfahrungsbezogenen musiktheaterpädagogischen
Konzept, das bereits in Deutschland, Finnland und Großbritannien
sehr erfolgreich erprobt ist.
„Unmögliche Begegnungen ermöglichen“ nennt
die Theaterpädagogin Anne-Kathrin Ostrop das Konzept, welches
zeigen soll, dass Theaterpädagogik mehr ist als bloße
Vermittlung von Werken, nämlich ein Katalysator, der Theater-
und Lebenswelt miteinander in Kontakt bringt. Markus Kosuch, der
Ideengeber, Projekterfinder und Regisseur der Hip H’Opera
beschreibt seinen Ansatz im zweitägigen gutbesuchten Begleitsymposium
so: Opernhäuser haben neben dem Auftrag, Kunst zu produzieren,
auch eine Bildungsverantwortung. Das Konzept des erfahrungsbezogenen
Lernens zwingt die Opernhäuser, sich auf langfristige Strategien
umzustellen. Die Oper sei eine Gattung, die Schülerinnen und
Schülern in der Regel eher fremd ist. Deshalb müsse der
Erlebnisraum „Oper“ den Schülern insgesamt erschlossen
werden, die eigene szenische Interpretation, die dramaturgische
Vorbereitung durch die Lehrer, der Aufführungsbesuch, Gespräche
mit den Künstlern und ein ausführlicher Blick hinter die
Kulissen, alles das diene dazu, die Schwellenängste abzubauen
und ein generelles Interesse von Kindern und Jugendlichen an Musik
und Theater zu wecken: „Bildung zur Kunst“ und „Bildung
durch Kunst“ findet statt.
So weit die schöne Theorie. Ein Blick auf die beigefügte
Liste mit den Opern, die nach diesem theoretischen Ansatz erarbeitet
worden sind, zeigt allerdings auch die Schwachpunkte sofort auf.
Funktionieren können nach diesem Konzept nur Nummernopern mit
bestimmten Inhalten, nämlich Partnerverhalten, Beziehungsproblemen,
Gewaltsituationen, weil das die Themen sind, die Jugendliche automatisch
interessant finden. Ideendramen, Stücke ohne Mann-Frau-Themen,
Musikdramen mit quasi „absoluter“ Musik (Wagner, Janácek,
Schostakowitsch) sowie alles, was die lebenden Komponisten schreiben,
können so kaum erschlossen werden. Das Konzept führt also
zu einer radikalen Verengung des Opern-Repertoires. Auch stellt
sich die Frage, ob nicht eher alternative Theater der richtige Adressat
für solche Konzepte sind. Denn die musikalische Qualität
– das wurde gebetsmühlenartig in allen Vorträgen
wiederholt – ist bei diesem Konzept eine eher zweitrangige
Komponente ohne größere Bedeutung. Wer ein Opernhaus
besucht, wird da aber ganz anderer Meinung sein, denn gerade das
Vergnügen am musikalischen Genuss ist doch das wesentliche
Element für einen Opernbesucher. Die begeisterte Publikumsreaktion
in den drei ausverkauften Vorstellungen scheint diesem Argument
zu widersprechen, aber werden die Familienmitglieder, die ihre tanzenden
Kinder beklatscht haben, wirklich vier Wochen später in den
„Freischütz“ gehen oder in den neu inszenierten
„Rosenkavalier“?
Pädagogische Praxis
Doch nun zum Stück. In der auf zwei Stunden verkürzten
Così waren die „hohen“ Frauenrollen mit klassisch
ausgebildeten Sängerinnen besetzt (Nina von Möllendorf
als Fiordiligi und Vanessa Barkowski als Dorabella lösten ihre
Aufgaben bravourös), die Rolle der Dienerin Despina mit einer
Rapperin (Jasmin Shakeri), die keine Mozart-Arien, sondern zwei
neu komponierte Rhythmuspatterns zu rappen hatte. In umgekehrter
Form war bei den Männern die „tiefe“ Partie ein
klassisch ausgebildeter Sänger (der exellent singende und agierende
Bass Hans Griepentrog hinterließ den stärksten Eindruck
des Abends), die beiden Liebhaber (FlowinImmO als Guglielmo und
BOBMALO als Ferrando) waren Rapper, die durch natürliche Musikalität,
Originalität und starke Bühnenausstrahlung überzeugten.
Durch die soziologische Brille betrachtet, können diese Figurenkonstellationen
durchaus viel erzählen über Hochkultur und Bildungsferne,
über besser und schlechter gestellte Gesellschaftsschichten,
über Armut und Reichtum, über Traditionen ganz verschiedener
Art und über Kollisionen aller Art von den großen Staatsaktionen
bis in die privaten Details der Annäherung von Frauen und Männern.
Leider wurden viele interessante Details von der Tontechnik behindert.
Mal waren die Mikros zu laut, mal zu leise, mal mischte sich alles
schön rund, mal gar nichts.
Zum Glück beherrschten die Schüler des Musikgymnasiums
Carl Philipp Emanuel Bach ihre Parts ganz ausgezeichnet, auch wenn
ihnen (und den Sängern und Darstellern) der Dirigent Chatschatur
Kanajan wenig hilfreich zur Seite stand. Der auch als Komponist
genannte Kanajan hat den Schülern offenbar auch nicht erklärt,
dass Pop-Musik nicht im Legato gespielt werden kann, oder wie Synkopen
funktionieren, oder dass Betonungen Off-Beat gespielt werden müssen.
Nach eigenen Aussagen wusste Kanajan vor vier Monaten noch gar nicht,
was HipHop ist. Das war leider auch zu hören.
Zum Schluss bleibt die hervorragende Arbeit des Tanzensembles,
der „Youth Crew“ zu würdigen. Was Nadja Raszewski
von der Tanztangente in wenigen Monaten aus vollkommenen Tanz-Laien
herausgeholt hat, ist schon eine kleine Sensation. „Das Wichtigste
und die größte Herausforderung waren, die jeweiligen
Klischees und festgefahrenen Einstellungen zu HipHop und Oper aufzudecken
und zu formulieren, um sie dann über den Haufen zu werfen und
wirklich etwas NEUES zu kreieren“, schreibt die Raszewski
selbst über diese Arbeit. Der Elan und das Engagement der Jugendlichen
tut das Seine zur Wirkung hinzu: drei Mal ausverkauftes Haus, Riesenerfolg.
Anything goes: So oder so wird die Gattung Oper eine Zukunft haben.
Und Mozart, der alte Spielmatz, hätte vielleicht sogar seinen
Spaß gehabt.
Thomas Heyn
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