Der Holocaust im Comicformat
„Die Bestmannoper“ in Osnabrück uraufgeführt
· Von Christian Tepe
In Deutschland lässt sich seit einiger Zeit eine Ritualisierung
des Holocaust-Gedenkens beobachten. Doch während sich Politik
und Gesellschaft oft in einem festgezurrten Zeremoniell von Jahrestagen
und getragenen Reden gefallen, nehmen NPD-Abgeordnete ihr Mandat
im Sächsischen Landtag wahr, rufen Neonazis ganze Landstriche
zu „national befreiten Zonen“ aus, ist rassistisch motivierte
Gewalt alltäglich geworden. Symptomatisch für die Selbsttäuschung
der Republik über den Nexus mit der braunen Historie steht
die Formel von der Vergangenheitsbewältigung. Mit dem politischen
Musiktheater „Die Bestmannoper“ attackieren der Komponist
Alex Nowitz und sein Librettist Ralph Hammerthaler den neudeutschen
Erinnerungskultur-Mythos.
Kaum ein Stoff erweist sich dafür geeigneter als die Biografie
des NS-Verbrechers Alois Brunner, der die Deportation von 120.000
Juden organisierte und sich dabei auch gerne vor Ort eigenhändig
engagierte. „Mein bester Mann“, mit dieser Auszeichnung
dekorierte ihn Adolf Eichmann. Zu einer Lehrstunde über die
Fiktion der Stunde Null wird die Nachkriegskarriere Brunners: Weil
deutsche Behörden selbst auf Druck von Opferangehörigen
nur hinhaltend seine Auslieferung aus Syrien betreiben, wo der Antisemit
inzwischen als Regierungsberater reüssierte, bleiben die Morde
ungesühnt.
Soll nun dies skandalöse Geschehen ohne Anleihen bei der
unglaubwürdig gewordenen Betroffenheitsrhetorik in Dialoge
gefasst und zum Klingen gebracht werden, so muss nach Auffassung
von Alex Nowitz, Ralph Hammerthaler und Regisseur Immo Karaman die
makabre Absurdität des Inhalts auch die künstlerischen
Formen bestimmen. Das Team hat sich deshalb einer anfangs sehr irritierenden,
dann von Szene zu Szene einleuchtenderen Comic-Ästhetik verschrieben.
Die absichtlich banale und entstellte Sprache des Librettos transformiert
Komponist Nowitz in die Textur der Gesangspartien, für die
er gängige Genres der Vokalmusik zum Zweck der Comic-Typisierung
Bestmanns und seiner Spießgesellen parodistisch umbiegt. Bestmann,
den Mark Bowman-Hester fast erschreckend eindringlich verkörpert,
jagt als greller, dämonisch-charmanter Operettentenor jüdische
Kinder auf den „Transport“. Die Begeisterung seiner
Sekretärin Anni (mit luxuriös klangreichem Sopran: Natalia
Atamanchuk) über die Logistik der Verfolgungsmaschinerie und
ihren Initiator entlädt sich in einem Feuerwerk blitzender
Staccati. Triviale Liedertafel-Gefühlsduselei, vom agilen Herrenchor
adäquat salbungsvoll intoniert, kommentiert die verlogene Heimeligkeit
der Nachkriegsgesellschaft.
Erstaunlicherweise eröffnet ausgerechnet die sarkastische
Grundierung des Stücks neue Freiräume für unverbrauchte
Kontrastszenen von ergreifender emotionaler Intensität. Am
nachhaltigsten prägt sich der zu einer polyphonen Elegie am
Rande der Stille verdichtete Klagegesang dreier jüdischer Frauen
ein, die damit beschäftigt sind, Sterne aus einem gelben Stoff
zu schneiden. Zwischen hochexpressiv hämmernden Rhythmen und
der verzweifelten Emphase lautloser Schreie oszilliert die Partie
von Bestmanns Antipoden Jaccuse, der dem am Premierenabend anwesenden
Nazifahnder Serge Klarsfeld nachempfunden ist. Christoph Nagler
gibt der Bühnenfigur ein packendes, gebrochen-heldisches Profil.
Nur einmal zeigt sich Nowitz dem beklemmenden Sujet nicht gewachsen,
als er den Damenchor in Anlehnung an die für den Comic typischen
Lautmalereien für Geräusche das aus den Duschköpfen
ausströmende Gas sprachkompositorisch imitieren lässt
– ein peinvolles Versagen der künstlerischen Mittel vor
dem Unvorstellbaren und Unverstehbaren. Dennoch offenbart die erste
Oper des 37-jährigen Komponisten eine eminente musiktheatralische
Befähigung. Das zeigt auch der markante polystilistische Orchestersatz
mit Passagen wie der atemlos-unerbittlichen Eisenbahnmusik, die
sich zugleich wie eine Konstruktion aus Seufzern und Schreien ausnimmt.
Generalmusikdirektor Hermann Bäumer und das Osnabrücker
Symphonieorchester erzielen mit großer Präzision ein
energie- und spannungsgeladenes Klangbild.
Im gigantischen Lochkartenraster-Bühnenbild von Timo Dentler
und Okarina Peter hat der Regisseur Immo Karaman mit analytisch
sezierendem Blick die 13 Szenen der Oper zu einer schwarzen Revue
komprimiert. Der ständige, schockartige Wechsel zwischen Lachen
und Entsetzen aktiviert jenseits der vertrauten Deutungsmuster das
Nachdenken der Zuschauer über die Kontinuität von deutscher
Geschichte und Gegenwart. Eine bemerkenswerte Uraufführung,
zu deren Erfolg neben den exzeptionellen Leistungen von Chor, Ensemble
und Orchester auch das ebenso konzentrierte wie hingebungsvolle
Spiel der Kinderstatisterie beiträgt.
Christian Tepe
|