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Berichte

Der Holocaust im Comicformat

„Die Bestmannoper“ in Osnabrück uraufgeführt · Von Christian Tepe

In Deutschland lässt sich seit einiger Zeit eine Ritualisierung des Holocaust-Gedenkens beobachten. Doch während sich Politik und Gesellschaft oft in einem festgezurrten Zeremoniell von Jahrestagen und getragenen Reden gefallen, nehmen NPD-Abgeordnete ihr Mandat im Sächsischen Landtag wahr, rufen Neonazis ganze Landstriche zu „national befreiten Zonen“ aus, ist rassistisch motivierte Gewalt alltäglich geworden. Symptomatisch für die Selbsttäuschung der Republik über den Nexus mit der braunen Historie steht die Formel von der Vergangenheitsbewältigung. Mit dem politischen Musiktheater „Die Bestmannoper“ attackieren der Komponist Alex Nowitz und sein Librettist Ralph Hammerthaler den neudeutschen Erinnerungskultur-Mythos.

 
Mark-Bowman-Hester als Bestmann. Foto: Theater
 

Mark-Bowman-Hester als Bestmann. Foto: Theater

 

Kaum ein Stoff erweist sich dafür geeigneter als die Biografie des NS-Verbrechers Alois Brunner, der die Deportation von 120.000 Juden organisierte und sich dabei auch gerne vor Ort eigenhändig engagierte. „Mein bester Mann“, mit dieser Auszeichnung dekorierte ihn Adolf Eichmann. Zu einer Lehrstunde über die Fiktion der Stunde Null wird die Nachkriegskarriere Brunners: Weil deutsche Behörden selbst auf Druck von Opferangehörigen nur hinhaltend seine Auslieferung aus Syrien betreiben, wo der Antisemit inzwischen als Regierungsberater reüssierte, bleiben die Morde ungesühnt.

Soll nun dies skandalöse Geschehen ohne Anleihen bei der unglaubwürdig gewordenen Betroffenheitsrhetorik in Dialoge gefasst und zum Klingen gebracht werden, so muss nach Auffassung von Alex Nowitz, Ralph Hammerthaler und Regisseur Immo Karaman die makabre Absurdität des Inhalts auch die künstlerischen Formen bestimmen. Das Team hat sich deshalb einer anfangs sehr irritierenden, dann von Szene zu Szene einleuchtenderen Comic-Ästhetik verschrieben. Die absichtlich banale und entstellte Sprache des Librettos transformiert Komponist Nowitz in die Textur der Gesangspartien, für die er gängige Genres der Vokalmusik zum Zweck der Comic-Typisierung Bestmanns und seiner Spießgesellen parodistisch umbiegt. Bestmann, den Mark Bowman-Hester fast erschreckend eindringlich verkörpert, jagt als greller, dämonisch-charmanter Operettentenor jüdische Kinder auf den „Transport“. Die Begeisterung seiner Sekretärin Anni (mit luxuriös klangreichem Sopran: Natalia Atamanchuk) über die Logistik der Verfolgungsmaschinerie und ihren Initiator entlädt sich in einem Feuerwerk blitzender Staccati. Triviale Liedertafel-Gefühlsduselei, vom agilen Herrenchor adäquat salbungsvoll intoniert, kommentiert die verlogene Heimeligkeit der Nachkriegsgesellschaft.

Erstaunlicherweise eröffnet ausgerechnet die sarkastische Grundierung des Stücks neue Freiräume für unverbrauchte Kontrastszenen von ergreifender emotionaler Intensität. Am nachhaltigsten prägt sich der zu einer polyphonen Elegie am Rande der Stille verdichtete Klagegesang dreier jüdischer Frauen ein, die damit beschäftigt sind, Sterne aus einem gelben Stoff zu schneiden. Zwischen hochexpressiv hämmernden Rhythmen und der verzweifelten Emphase lautloser Schreie oszilliert die Partie von Bestmanns Antipoden Jaccuse, der dem am Premierenabend anwesenden Nazifahnder Serge Klarsfeld nachempfunden ist. Christoph Nagler gibt der Bühnenfigur ein packendes, gebrochen-heldisches Profil.

Nur einmal zeigt sich Nowitz dem beklemmenden Sujet nicht gewachsen, als er den Damenchor in Anlehnung an die für den Comic typischen Lautmalereien für Geräusche das aus den Duschköpfen ausströmende Gas sprachkompositorisch imitieren lässt – ein peinvolles Versagen der künstlerischen Mittel vor dem Unvorstellbaren und Unverstehbaren. Dennoch offenbart die erste Oper des 37-jährigen Komponisten eine eminente musiktheatralische Befähigung. Das zeigt auch der markante polystilistische Orchestersatz mit Passagen wie der atemlos-unerbittlichen Eisenbahnmusik, die sich zugleich wie eine Konstruktion aus Seufzern und Schreien ausnimmt. Generalmusikdirektor Hermann Bäumer und das Osnabrücker Symphonieorchester erzielen mit großer Präzision ein energie- und spannungsgeladenes Klangbild.

Im gigantischen Lochkartenraster-Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter hat der Regisseur Immo Karaman mit analytisch sezierendem Blick die 13 Szenen der Oper zu einer schwarzen Revue komprimiert. Der ständige, schockartige Wechsel zwischen Lachen und Entsetzen aktiviert jenseits der vertrauten Deutungsmuster das Nachdenken der Zuschauer über die Kontinuität von deutscher Geschichte und Gegenwart. Eine bemerkenswerte Uraufführung, zu deren Erfolg neben den exzeptionellen Leistungen von Chor, Ensemble und Orchester auch das ebenso konzentrierte wie hingebungsvolle Spiel der Kinderstatisterie beiträgt.

Christian Tepe

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