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Kultur für Stadt und Umland
Ein Porträt des Pforzheimer Theaters · Von Nike Luber
Pforzheim hat keine lange, von historischen Personen bevölkerte
Theatergeschichte vorzuweisen. Die Stadt am Rande des Schwarzwalds
mit heute 109.000 Einwohnern war das Heim von Goldschmieden, aber
nie dauerhaft eine Fürstenresidenz, und so gab es kein Hoftheater
wie in Stuttgart, Karlsruhe oder Mannheim, das die Bürger hätten
übernehmen können. Dafür gab es immerhin eine Theaterstraße,
in der 1803 ein Komödienhaus als Spielstätte für
Schauspieltruppen auf Tournee eingerichtet wurde. Viel Geld scheint
der Stadtrat damals nicht in die Kunst investiert zu haben, 1888
wurde das Komödienhaus nämlich wegen Baufälligkeit
geschlossen und ein paar Jahre später abgerissen. Theater sollte
aber doch sein, weshalb der 1885 gegründete Theaterverein für
den Bau eines „richtigen“ Theaters warb, am liebsten
auf dem alten Theaterplatz. Am Ende eines jahrelangen Tauziehens
kam dann eine ganz andere Lösung heraus, nämlich der so
genannte „Saalbau“ in der Jahnstraße mit immerhin
3.000 Plätzen, 1900 eingeweiht und immer noch eine Tournee-Spielstätte
für Konzerte, Opern und Schauspielaufführungen.
Drei-Sparten-Spielplan
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es für die privaten Bühnen
in Pforzheim noch schwieriger zu überleben. Arbeitslose Musiker
– und die waren zahlreich während der Weltwirtschaftskrise
– gründeten 1930 in Pforzheim ein Sinfonieorchester.
Ausgerechnet die Nationalsozialisten verhalfen Pforzheim 1933 zu
einem regulären Drei-Sparten-Theater, und der in dieser Zeit
amtierende 1. Kapellmeister Hans Leger sorgte für einen ordentlichen
Drei-Sparten-Spielplan und stockte das bisher private Sinfonieorchester
auf wenigstens 30 Musiker auf. 1940 erhielt der Klangkörper
den Titel „Städtisches Orchester Pforzheim“. In
diesem Jahr feiert das aus schweren Zeiten hervor gegangene Orchester
mit inzwischen 42 Mitgliedern sein 75-jähriges Bestehen. Ob
es damals auch einen Opernchor aus Berufssängern gab, ist nicht
geklärt, obwohl die 1935 zum Stadttheater Pforzheim beförderte
Bühne eigentlich einen Opernchor gebraucht hätte. Spätestens
bei der Aufnahme von Wagners „Fliegendem Holländer“
in den Spielplan 1941/42 müsste ein professioneller Opernchor
vorhanden gewesen sein.
Kriegsende und Nachkriegszeit sehen für das Pforzheimer Theater
so aus wie für die benachbarten größeren Bühnen
in Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim: Gespielt wird schon 1945,
in provisorischen Räumen in einer zerstörten Stadt. Die
Brötzinger Turnhalle und die Osterfeldschule sahen Schauspielstücke
und Beethovens „Fidelio“. Bis 1990 war das Theater in
der als Provisorium gedachten Osterfeldschule untergebracht. Im
September 1990 konnte das neue Stadttheater am Waisenhausplatz mit
Mozarts „Zauberflöte“ eingeweiht werden. Der Neubau
mit zwei Bühnen (Großes Haus mit 525, Podium mit bis
zu 199 Plätzen) und aufwändiger technischer Ausrüstung
ist ein Bekenntnis der Bürger zu ihrem Stadttheater.
Auch Sperriges im Programm
Schon 1959 besann sich das Pforzheimer Theater auf die alte Weisheit,
dass das Gute nicht in der Ferne, sondern ganz nahe liegt, und begann,
als „Städteoper Südwest“ theaterlose Städte
im Umland zu bespielen. Bis heute sind Pforzheims Schauspieler,
Tänzer, Solisten, Chor- und Orchestermusiker fleißig
unterwegs, zwischen Aalen und Villingen-Schwenningen, im Gepäck
keineswegs nur die so genannte leichte Muse. Pforzheim spielt auch
Sperriges. „Die Sache Makropoulos“ zum Beispiel, „The
Rakes Progress“, „Lulu“ oder auch die grandiose
Interpretation von „Cardillac“ vor einigen Jahren sorgten
für Aufsehen. Und während die Traditionsbühnen an
der traditionellen Leitung durch einen Intendanten festhalten, übt
sich das Stadttheater Pforzheim in moderner Teambildung: Die Leitung
besteht aus dem GMD Jari Hämäläinen, Verwaltungsdirektor
Gustl Weber und Schauspieldirektor Jan Friso Meyer.
Seit 2003 amtiert das ungewöhnliche Führungstrio, das
in der Notlage nach dem schnellen Weggang von Intendant Georg Köhl
entstand. In Köhls knapp einjähriger Amtszeit brachen
die Besucherzahlen dramatisch ein, besonders im Schauspiel. Dagegen
kann sich die bisherige Bilanz des Trios Hämaläinen/Weber/Meyer
sehen lassen: Schon in der Spielzeit 2004/2005 stiegen die Besucherzahlen,
die Auslastung liegt jetzt bei 82,6 Prozent. Um auch Jugendliche
für das Theater zu begeistern, lässt sich Pforzheim einiges
einfallen, zum Beispiel den acht+-Club, der den Mitgliedern jeden
Monat in einem Workshop die Theaterberufe vor und hinter den Kulissen
vorstellt. Dass auch ein kleines Haus mit zwei Bühnen und insgesamt
200 Mitarbeitern große Oper machen kann, demonstrierte Pforzheim
in der letzten Spielzeit mit „Aida“ und „André
Chenier“. Der Publikumserfolg bestätigt die Ausrichtung
des Spielplans auf eine Mischung aus beliebten Opern und modernen
Stücken, und das alles mit dem relativ kleinen Jahresetat von
12 Millionen Euro.
Das ehrgeizige Programm des Pforzheimer Musiktheaters bringt für
den kleinen Opernchor immer neue Herausforderungen. 19 Chorsängerinnen
und Chorsänger, in manchen Stimmen wie dem zweiten Tenor nur
doppelt besetzt, singen die Chorpartien in großen Opern wie
„Aida“ und „Turandot“, die normalerweise
gern für überdimensionierte Open-Air-Spektakel verwendet
werden. Für diese Stücke ist Verstärkung nötig
durch den Extrachor und die Stuttgarter Choristen, erklärt
Holger P. Wecht, der Ortsdelegierte der VdO. Er singt zweiten Tenor,
und wenn sein einziger Kollege einmal durch Erkrankung ausfällt,
ertappt er sich dabei, wider besseres Wissen doch für zwei
singen zu wollen. Es gibt am Pforzheimer Theater vieles, was Holger
P. Wecht Spaß macht: Die regelmäßigen Gastspiele
empfindet er nicht als zusätzlichen Stress, sondern als belebend.
Und er liebt Operettenmelodien, was sich gut trifft, denn Pforzheim
hat seit vielen Jahren einen Ruf als Operettenbühne. Für
die Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa und den USA, die immerhin
fast die Hälfte des Chores stellen, sei die Operette dagegen
gewöhnungsbedürftig, schmunzelt Wecht. Wegen der vielen
kleinen Sprechpartien in den Operetten und Musicals seien deutsche
Sprachkenntnisse wichtig, wenn in der kommenden Saison „Eine
Nacht in Venedig“ und „Evita“ gespielt werden.
Dieser Einschätzung kann Chordirektor Dieter Klug nur zustimmen.
Er ist ebenfalls bekennender Operettenliebhaber, der die Stücke
von Lehár und Kálmán als „musikalische
Perlen“ lobt und zutiefst bedauert, dass sie oft eher lieblos
inszeniert werden und Opernsänger nicht automatisch auch gute
Operettendarsteller sind. So ist Klug glücklich, in Pforzheim
an einem Haus zu arbeiten, wo die Operette geschätzt wird.
Doch die Arbeitsbedingungen sind schwierig. Klug hat in dieser Spielzeit
exakt 18,5 Chorsängerinnen und -sänger zur Verfügung,
da eine Stelle im Sopran geteilt ist und eine weitere Kollegin Erziehungsurlaub
nimmt. Drei Sopranistinnen und vier Altistinnen im Hauschor, das
ist schon sehr wenig. Wenn dann noch Chorsängerinnen mit kleinen
Solopartien betraut werden, hilft nur noch der Extrachor. Natürlich
gibt es qualitative Unterschiede zwischen den Profis im Hauschor
und den stimmgebildeten Amateursängern im Extrachor, sagt Klug.
Aber ohne den Extrachor würden sich die Mitglieder des Hauschores
wohl um ihre Stimme singen müssen, gerade wenn Opern wie „Aida“
gestemmt werden.
Repertoire
Muss das an einem kleinen Haus denn unbedingt sein? Im Rückblick,
so Klug, habe sich gerade die „Aida“ als Volltreffer
erwiesen. Das Publikum war begeistert, und dank Mundpropaganda war
„Aida“ bis zur letzten Vorstellung ausverkauft. Deshalb
werden in der neuen Spielzeit weitere populäre Stücke
folgen: „Fidelio“, „Don Carlos“, „Tosca“
und „Der Wildschütz“. Eigentlich sei der Pforzheimer
Opernchor ein Kammerchor, meint Klug. Jeder trage eine quasi solistische
Verantwortung, dafür könne er in den Proben auch auf den
einzelnen mehr eingehen als das in großen Ensembles möglich
sei. Und die Einstellung „So kann ich nicht arbeiten“
könne sich im Moment niemand mehr leisten, zusätzliche
Belastungen wie die Abstecher müsse man ertragen. In Pforzheim,
fasst Klug zusammen, müsse eben jeder mehr arbeiten als an
einer größeren Bühne, ohne darüber die Freude
am Beruf zu verlieren.
Nike Luber
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