Nachwuchs im Opernchor
Das Opernchorstudio der Semperoper · Von Barbara Lieberwirth
Entscheidet sich ein junger Mensch, an einer Musikhochschule Gesang
zu studieren, ist seine Hauptmotivation in den meisten Fällen,
eine Karriere als Solist zu starten. Im Verlauf des Studiums und
der Marktsituation gehorchend muss er sich jedoch entscheiden, ob
die solistische Ausbildung fortgesetzt werden kann, oder ob er Berufschorsänger
wird. Und so rekrutieren sich Opernchöre oft aus Sängern,
die eine solistische Laufbahn nicht erreichen konnten oder wollten.
Dass es die meisten Vakanzen bei Berufschören gibt und nicht
im Solistenensemble und dass somit die Aussicht auf eine Festanstellung
steigt, mag die Entscheidung zum Leben als Chorsänger noch
erleichtern.
Signal für Chorsänger
Nach Abschluss des Studiums ist jedoch noch die vielleicht wichtigste
Fähigkeit zu erlangen: die eigene Stimme in den Gesamtklang
eines Chores zu integrieren. Oft muss frustriert festgestellt werden,
dass trotz des Hochschulstudiums eine nennenswerte Chorerfahrung
fehlt.
Eingedenk dessen gründete die Sächsische Staatsoper im
Jahr 1989 gemeinsam mit der Dresdner Hochschule für Musik „Carl
Maria von Weber“ das Opernchorstudio (OCS), eine Ausbildungsstätte
ausschließlich für Opernchorsänger. Damit wollte
sich die Semperoper nicht nur eine Nachwuchsschmiede für den
eigenen Opernchor schaffen, sondern ein Signal für die spezifische
Berufsausbildung zum Sänger im Chor setzen. Dieses praxisbezogene
Studium für Berufschorsänger als Gemeinschaftsprojekt
zwischen einem Opernhaus und einer Musikhochschule ist bis heute
in Deutschland vorbildhaft. Chor- und Ensemblearbeit oder die Vermittlung
chorspezifischen Repertoires sind nicht zweitrangig, sondern stehen
bereits zu Studienbeginn an erster Stelle. Denn zuverlässige
und gut ausgebildete anpassungsfähige Stimmen werden im späteren
Berufsleben, im Opernchor, vorausgesetzt.
Das OCS hat als Bestandteil der Sächsischen Staatsoper einen
Ausbildungsvertrag mit der Dresdner Musikhochschule. Die Studenten
wiederum sind mit einem Ausbildungsvertrag an die Oper gebunden.
58 Studenten beendeten seit der Gründung des OCS ihr Studium
zum Opernchorsänger. 48 von ihnen erhielten nach ihrer Ausbildung
ein sofortiges Engagement, davon 22 allein an der Semperoper. In
den ersten Jahren des Bestehens der Ausbildungsstätte waren
die Absolventen vorwiegend in sächsischen Opernchören
zu finden, heute werden sie an Opernhäusern in ganz Deutschland
engagiert. Selbst in Chören Österreichs und der Schweiz
sind Sänger zu erleben, die am OCS in Dresden ausgebildet wurden.
Breites Spektrum
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Der ausgefüllte Alltag
eines Studenten bewegt sich zwischen Unterricht, Probe und Vorstellung.
Derzeit belegen acht OCS-Studenten (vier weiblich, vier männlich)
an der Musikhochschule folgende Fächer: Musikgeschichte, Neue
Musik, Alte Musik, Psychologie/Pädagogik, Formenkunde, Gehörbildung/Tonsatz,
Methodik, Stimmphysiologie und Italienisch. An der Semperoper kümmern
sich 16 qualifizierte Fachlehrkräfte um ihre Schützlinge
und garantieren ein außergewöhnlich praxisorientiertes
Niveau. Gesangsunterricht wird im Hauptfach von Solisten oder ehemaligen
Solisten der Oper erteilt. Hinzu kommen Chorpartienstudium, Sprecherziehung,
Dramatischer Unterricht, Bewegungs- und Bühnentanz sowie Klavier.
Für die Vermittlung dieser Fächer zeichnen der stellvertretende
Chordirektor, Schauspieler und Pädagogen des Staatsschauspiels
Dresden, Regisseure und Regieassistenten, eine ehemalige Tänzerin
der Oper sowie eine Hochschulklavierpädagogin verantwortlich.
30 bis 40 Bewerbungen gehen jährlich für die begehrten
acht Studienplätze ein. Das Niveau der Bewerber (Altersgrenze
18 bis 28 Jahre) differiert und bewegt sich zwischen „kindlich-naiv“
und „professionell“, wie es Enrico Schubert, Leiter
des OCD, bezeichnet. Trotz der hohen Bewerberzahl sucht das OCS
derzeit zweite Altistinnen sowie erste und zweite Tenöre. Die
allgemeine Hochschulreife wird vorausgesetzt und zur Aufnahmeprüfung
wird das Vortragen eines Kunstliedes, eines Volksliedes und einer
leichten Arie erwartet.
Frühe Einbindung
Wer die Immatrikulation am OCS „in der Tasche“ hat,
schreibt sich in der Musikhochschule ein und entrichtet dort seine
Studiengebühren. Ab dem zweiten Studienjahr werden die Studenten
in die Vorstellungen der Semperoper und in die Konzerte der Sächsischen
Staatskapelle eingebunden. Dafür erhalten sie ein Gehalt in
Höhe des Bafög eines Studenten an der Musikhochschule.
In der Spielzeit 2005/2006 kann das Opernpublikum die Studenten
in den Inszenierungen von Puccinis „Turandot“, Brecht/Weills
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und in Verdis
„Macbeth“ erleben.
Wenn das vierjährige Studium an der Hochschule für Musik
mit der Diplomprüfung beendet wird und ein Absolvent überdurchschnittliche
Leistungen nachweisen kann, besteht die Möglichkeit eines zweijährigen
Aufbaustudiums zum Solisten. Die Sopranistin Patricia Bänsch
hat diese Chance wahrgenommen und erhielt ein Engagement als Solistin
am Theater Görlitz. Auch einige freischaffende Sänger
bewähren sich im Konzertalltag. Doch das bildet wohl eher die
Ausnahme und sollte es auch bleiben. Denn nach wie vor ist das Ziel
des Opernchorstudios, den Bestand der Opernchöre mit fundiert
ausgebildeten Chorsängern zu sichern.
Barbara Lieberwirt
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