|
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Chemnitz
Erstmalig in deren unerfreulicher Geschichte drohen die Verhandlungen
über Haustarifverträge zu scheitern. Dem von der Stadt
Chemnitz geforderten Gehaltsverzicht der Beschäftigten in Höhe
von 7,5 Prozent (wie in den vergangenen Jahren) für das Geschäftsjahr
2006 würden Belegschaft und Gewerkschaften zwar zustimmen,
dem sich auf 11,5 Prozent im zweiten, auf 14,5 Prozent im dritten
Geschäftsjahr steigernden Gehaltsverzicht jedoch nicht. Nach
der Logik des Beschäftigungssicherungstarifvertrages im öffentlichen
Dienst hätten diese Gehaltseinbußen zunächst 15,
dann 24, zuletzt 31 zusätzliche freie Tage zur Folge, was sowohl
die Künstlergewerkschaften als auch der Deutsche Bühnenverein
im Interesse der Spielfähigkeit des Hauses für nicht verantwortbar
halten.
Dresden-Radebeul
Das Ergebnis eines Sondierungsgespräches, das die Gewerkschaften
Ende September mit Vertretern der sächsischen Ministerien für
Finanzen sowie für Wissenschaft und Kunst führten, war
eindeutig und wurde ministeriumsseitig präzise formuliert:
„Unser Sondierungsgespräch zeigt, dass die Staatsregierung
endlich ihre politischen Prioritäten hinsichtlich ihrer Theater-
und Orchesterpolitik bekannt machen muss.“
Denn außer der Absicht, die Zuweisungen an die Kultureinrichtungen
weiter zu kürzen – „Sparen“ wird das vornehm
genannt – waren Prioritäten nicht zu erkennen. Ging die
Sondierung anfangs nur darum, ob die Gewerkschaften bereit seien,
einen Haustarifvertrag für die in Radebeul ansässigen
staatlichen Landesbühnen Sachsen abzuschließen, um die
Kürzung des Landeszuschusses von 12,5 auf 11,2 Millionen Euro
auszugleichen, so gewährten Fragen nach der Zukunft der Landesbühnen
und warum nur sie Opfer der Kürzungsbeschlüsse geworden
seien, tiefe Einblicke in ein theaterpolitisches Kuddelmuddel. Eine
Zukunft gebe es nur bis 2007, lautete die erste Auskunft, weil der
Freistaat bereits Gespräche über eine Fusion der Landesbühnen
mit dem Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln wieder
aufgenommen habe. Ferner wolle er die Stadt Radebeul als Gesellschafter
für die in eine GmbH umzuwandelnden Landesbühnen gewinnen.
Außerdem seien die Landesbühnen nicht das einzige „Opfer“
der Sparpolitik. Auch das sächsische Staatsschauspiel müsse
vergleichbare Mittelkürzungen hinnehmen. Nur die Staatsoper
bilde eine Ausnahme, da sie bei schon seit langem gedeckeltem Haushalt
derzeit einen Schuldenberg im Höhe von 5,3 Millionen Euro vor
sich herschiebe. Davon resultierten zwar 3,3 Millionen aus von der
Flutkatastrophe des Jahres 2002 verursachten Kosten und Einnahmeausfällen,
doch sei es ungewiss, ob der Landtag einem Ausgleich zustimmen werde.
Jedenfalls müsse die Staatsoper jetzt, auch unter Inkaufnahme
eines sozialverträglichen Personalabbaus, ein Sparprogramm
auflegen.
Selbst die Zukunft der Staatsoperette kam zur Sprache, da auf
Wunsch des Kunstministeriums erneut geprüft werde, ob eine
Kooperation zwischen Staatsschauspiel und der (städtischen)
Staatsoperette nicht doch kostengünstiger sei als der von der
Landeshauptstadt vorgesehene Neubau des Operettenhauses.
Die Gewerkschaften machten konkrete Informationen zur Vorbedingung
von Verhandlungen über einen Haustarifvertrag für die
Landesbühnen. Doch letztendlich droht die Wahl zwischen Teufel
und Beelzebub: Ohne Haustarifvertrag wird Radebeuls Intendant Christian
Schmidt den Personalabbau sofort vornehmen müssen, mit Haustarifvertrag
erfolgt der Personalabbau zum Zeitpunkt der Fusion mit Freiberg-Döbeln.
Hagen
Rainer Friedemann, selbst Regisseur, leitet seit 2000 erfolgreich
und auch allen Sparauflagen nachkommend das Zweispartentheater Hagen
(Oper und Ballett). Der örtlichen Presse musste er jetzt entnehmen,
dass sein bis 2007 laufender Vertrag nicht verlängert werde,
da die Stadt für ihr künftig nicht mehr als Regiebetrieb
geführtes Theater nicht „einen Intendanten alter Couleur,
sondern eine Betriebsleitung“ benötige. Die Stadt Hagen
steckt in finanziellen Schwierigkeiten; die Kulturdezernentin Annekathrin
Grehling ist in Personalunion Kämmerin der Stadt.
Halle/Saale
Mit „Willkommen in der Kultur!“ begrüßte
die Stadt Halle ihre Besucher, so auch die rund 100 Delegierten
der VdO-Bundesversammlung 2004. Sie wird sich eine andere Grußformel
einfallen lassen müssen. Um der Zwangsverwaltung durch das
Landesverwaltungsamt zu entgehen, beschloss der Stadtrat ein bis
Ende 2012 umzusetzendes „Sparpaket“ in Höhe von
27,8 Millionen Euro, von denen rund 8 Millionen auf die kulturellen
Einrichtungen der Stadt entfallen, 1,4 Millionen auf das Opernhaus
Halle. Die Oper setzte daraufhin die für den 21. Oktober geplante
Uraufführung der Grünauer-Oper „Cantor – die
Vermessung des Unendlichen“ ab. Ein Kommentar in der Mitteldeutschen
Zeitung lautete: „Opernaufführungen sind in einer Stadt,
die pleite ist, kein Muss.“ Den Deutschen Bühnenverein
hat die Stadt Halle gebeten, die Gewerkschaften zu Verhandlungen
über Haustarifverträge aufzufordern.
Leipzig
Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) wies die von ihm
zu einem Sondierungsgespräch über Haustarifverträge
für die städtischen Kultureigenbetriebe geladenen Gewerkschaften
eingangs auf die Schlagzeilen der Leipziger Volkszeitung vom 15.
September hin. „Leipzig rechnet 2006 mit Rekorddefizit von
83 Millionen Euro“, war dort zu lesen. Der Logik seines Begehrens,
die Kulturbetriebe Gewandhaus, Oper und Musikalische Komödie,
Schauspiel und Theater Die junge Welt müssten sich dem von
der Stadt beschlossenen „eisernen Sparen“ anschließen,
war schlecht etwas entgegenzusetzen; seiner Vorstellung, Oper und
MuKo müssten den höchsten Sparbeitrag erbringen, wurde
widersprochen.
Mecklenburg- Vorpommern
Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat eine Konzeption
„Theaterförderung 2006 bis 2008“ vorgelegt, nach
der die Gesamtfördersumme in Höhe von 35,7 Millionen zwar
erhalten bleiben, jedoch eine Neuverteilung zu Lasten der Bühnen
in Greifswald/Stralsund und Rostock zugunsten von Neubrandenburg/Neustrelitz
und Schwerin erfolgen soll. Die Leistungen der Theater wie Besucherzahlen,
Höhe der Produktionskosten und Einspielergebnisse stellten
wichtigere Kriterien für die Förderung dar als die Einwohnerzahlen,
hieß es zur Begründung. Die Reaktionen der betroffenen
Bühnen fielen entsprechend aus.
Thüringen
Das von Kultusminister Jens Goebel (CDU) vorgestellte, ausdrücklich
als Entwurf bezeichnete „Kultur-Konzept des Freistaats Thüringen“,
das zugunsten der Förderung freier Kulturprojekte die institutionelle
Förderung von Theatern und Orchestern von derzeit 60 auf 50
Millionen zurückfahren will, lässt nicht erkennen, welche
konkreten Maßnahmen vorgesehen sind. Die ab 2008 wohl unausweichliche
„Umstrukturierung der Theater- und Orchesterlandschaft Thüringens“
soll bis Ende 2005 gemeinsam mit den betroffenen Kommunen erarbeitet
werden. Nur Vermutungen lässt der Hinweis zu, dass die Positionen
Erfurts und Weimars als Kulturzentren Thüringens auszubauen
seien.
|