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Brände und Wiederaufbau
Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 3) ·
Von Susanne Geißler
Zweimal innerhalb von gut fünfundzwanzig Jahren krähte
der Rote Hahn wie wild auf den Dächern der Berliner Musentempel.
Der Kalender zeigte den 29. Juli 1817 an, als das Nationaltheater,
der Langhanssche „Koffer“, wie die Berliner das Theater
wegen seiner plumpen, gedrungenen Dachkonstruktion respektlos nannten,
in hellen Flammen aufging. E.T.A. Hoffmann stand am Eckfenster seines
Wohnhauses am Rande des Gendarmenmarktes und sah entsetzt auf das
grausliche Schauspiel. „Brennende Perücken flogen durch
die Luft“, schrieb der Dichter, Musiker und Maler in seinen
Erinnerungen. Mit Wehmut mochte er daran gedacht haben, dass da
auch die Requisiten und Dekorationen seiner „Undine“
verbrannten. Glücklicherweise blieben die Noten erhalten. Die
Staatsbibliothek hütet diese Partitur und das Soufflierbuch
als kostbare Schätze. Der Schauspieler Johann Rüthling
erlebte den gewaltigen Brand bei den Proben zu den „Räubern“
von Schiller selbst. Mit Mühe brachte er sich in Sicherheit.
Sein Kollege Carlsberg konnte dem Feuer nicht mehr entrinnen. Rüthling
mutmaßte, dass der Brand von technischen Mitarbeitern verursacht
worden war. Etliche Berliner vermuteten in dem Feuer eine göttliche
Strafe, weil das „Teufelshaus auf dem Gendarmenmarkt“
zwischen zwei Gotteshäusern, der deutschen und der französischen
Kirche gestanden habe.
Ökonomischer Neubau
Nach einer überschaubaren Schrecksekunde von einem Jahr wurde
am 4. Juli 1818 der Grundstein für ein neues Theater an gleicher
Stelle in den märkischen Sand gebettet. Der Geheime Oberbaurat
Karl Friedrich Schinkel übernahm den ehrenvollen Auftrag für
den Fast-Neubau. Der ökonomisch denkende König hatte ihn
beauftragt, die Grundmauern des niedergebrannten Langhansbaues zu
nutzen. Schinkel plante und projektierte hurtig, doch die Bauarbeiten
zogen sich in die Länge. Erst Anfang 1821 war man fertig. Elegant
hatte der Architekt die Proportionen des Neubaus auf die beiden
flankierenden Sakralbauten abgestimmt. Um neben dem Theater einen
Konzertsaal sowie Magazin- und Probenräume unterbringen zu
können, dachte er sich eine dreiteilige Anlage aus. Seine Lösung
hatte zudem den Vorteil, dass – wie der Baumeister erklärte
– „bei einem etwa entstehenden Unglück immer nur
höchstens ein Drittel verbrennen könnte.“ Schinkel
zog den Mittelbau des 77 Meter langen, 50 Meter tiefen und 36 Meter
hohen Hauses nach vorn und zierte ihn über einer steilen Freitreppe
mit einer ionischen Säulenhalle. Sein Werk ist ein in baukünstlerischer
und funktioneller Hinsicht einzigartig gelöster Theaterbau
der klassizistischen Stilepoche. Der plastische Schmuck der Bauwerke
lehnte sich vollkommen an die Antike an.
Feuer Unter den Linden
Feurio! Feurio! – So gellte es in der Nacht vom 18. zum
19. August 1843 durch die Linden und schnell durch alle Straßen
der Residenz. Das Opernhaus brannte lichterloh. Um 1 Uhr brach der
Konzertsaal zusammen, um 8 Uhr morgens war das ganze Gebäude
nur noch eine trostlose Ruine. Als Brandursache wurde ein Feuerwerkskörper
ermittelt, der sich während der Aufführung des Militärballetts
„Der Schweizer Soldat“ verirrt und ein Dekorationslager
entzündet hatte. Glück im Unglück: Generalintendant
von Küstner hatte bereits Umbaupläne erarbeiten lassen,
da das nunmehr 100-jährige Haus aus „allen Nähten
platzte“, die Logenzugänge als Hühnerstiegen bezeichnet
wurden, der Brandschutz (!) nicht gewährleistet werden konnte,
die Bühnenmechanerie veraltet war und die Sichtverhältnisse
trotz des Umbaus von 1787 noch immer als unzulänglich galten.
Nur eineinviertel Jahre brauchte der Architekt Carl Ferdinand Langhans
für den Wiederaufbau. In Knobelsdorffscher Hülle barg
das neue Haus nunmehr vier statt bisher drei Ränge. 1.800 Gäste
konnten jetzt den Aufführungen folgen. Im Innendekor des Hauses
verdrängte ein opulenter Renaissance-Stil in Weiß und
Gold mit roten Textilien die vergleichsweise schlichtere Rokoko-Ornamentik.
Der Bau gewann an Pomp und verlor an Intimität. Neben einer
neuen Bühnenmechanerie, die immerhin in wesentlichen Teilen
bis 1927 in Gebrauch blieb, war die wichtigste technische Neuerung
eine Ölgas-Beleuchtung. Allerdings war die Geruchsbelästigung
so groß, dass bereits 1847 die Anlage auf Steinkohle umgestellt
werden musste. Wiedereröffnet wurde am 7. Dezember 1844 mit
dem „Singspiel in Lebensbildern aus der Zeit Friedrich des
Großen: Ein Feldlager in Schlesien“, zu dem Friedrich
Wilhelm III. das Szenarium und Ludwig Rellstab das Libretto geschrieben
hatten. Die Musik zum friederizianischen Huldigungsspiel musste
der seit dem 1. Januar 1843 neu engagierte Generalmusikdirektor
Giacomo Meyerbeer liefern, was er unter „heftigstem Widerstreben“
tat.
Schwieriges Verhältnis
Jacob Meyer Beer, der sich später Giacomo Meyerbeer nannte,
war zwar geborener Berliner, befand sich aber mit seiner Vaterstadt
zeitlebens in einem schwierigen Verhältnis, oder, um es genauer
zu sagen, machten ihm missgünstige Neider und Rassisten eine
berufliche Karriere vor Ort fast unmöglich. Erst als er sich
im Ausland Ruhm erworben hatte, gewährte man ihm fast gnädig
eine Festanstellung in Berlin, um ihn umgehend zu bevormunden und
zu schurigeln. Meyerbeers wohlhabende Eltern, der Vater war Bankier,
hatten ihren hochmusikalischen Sohn frühzeitig von den besten
Lehrern ausbilden lassen. Hatte er als Wunderkind noch ungeteilten
herzlichen Beifall erhalten, brachte das Berliner Publikum den Kompositionen
des erwachsenen, vielgereisten, erfolgreichen und wohlhabenden Künstlers
nur wenig Interesse entgegen. Mit seiner Oper „Robert der
Teufel“ versetzte er 1830 die Pariser ins Schwärmen und
1832 die Berliner Kritiker ins Tadeln. Obwohl er die berühmte
Primaballerina Taglioni verpflichten konnte, reagierte das Publikum
kühl.
Dennoch nahm er kurz vor dem Brand des Opernhauses die Berufung
zum Generalmusikdirektor an. Im Gegensatz zu seinem Vater schätzte
Friedrich Wilhelm IV. Meyerbeer und seine Musik sehr, insbesondere
die prächtige Ausstattungsoper „Die Hugenotten“.
Sein Gehalt setzte der Monarch auf 3.000 Taler fest, was nicht gerade
üppig, für den wohlhabenden Meyerbeer aber von nebensächlicher
Bedeutung war
Wider die Bürokratie
Trotz königlicher Gunst geriet Meyerbeer rasch in Konflikt
mit dem Generalintendanten Küstner. Karl Theodor von Küstner
war ein lupenreiner Bürokrat. Zwar hatte er das Leipziger Staatstheater,
das Hoftheater in Darmstadt und schließlich das Münchner
Hoftheater geleitet, hatte sich durch die Routine jedoch keine Lockerheit
und auch kein Gespür fürs Künstlerische erwerben
können. In München hatte er bereits Wagners „Holländer“-Partitur
eingesehen und voreilig abgelehnt. Starrköpfig hielt er in
Berlin an seinem negativen Urteil fest und versuchte, eine bereits
erteilte Aufführungszusage an Wagner rückgängig zu
machen.
Meyerbeer setzte sich mit Weitsicht und der ihm eigenen kollegialen
Noblesse weiterhin für Wagner ein. Küstners beleidigende
Vertröstungs- und Hinhaltestrategie führte dazu, dass
schließlich die Dresdner Oper den Uraufführungsruhm einheimsen
konnte. Berlin hatte wieder einmal eine Chance verpasst, musikalisches
Weltniveau zu erlangen – wie schon Weber ging Wagner nach
Dresden. Dennoch drängte er auf Einlösung des einstmals
gegebenen Versprechens, den „Holländer“ aufzuführen.
Am 7. Januar 1844 dirigierte Richard Wagner seine romantische Oper
endlich in Berlin, natürlich nicht Unter den Linden sondern
am Gendarmenmarkt.
Dass Küstner seinem Beruf bis zum Schluss ohne jede künstlerische
Berufung nachging, zeigen seine Lebenserinnerungen. Er stellte sich
selbst ein vernichtendes Urteil aus, als er folgende Punkte als
wesentlichste seiner Regentschaft über das größte
Theaterunternehmen Europas mit 813 Mitarbeitern bezeichnete:
1. Feuersicherheitsmaßregeln
2. Kontrolle von Parterre und Amphitheater
3. Aufnahme von Inventarien der Theatergegenstände
4. Anlage der Steinkohlen-Gasbeleuchtung
5. Erhöhung der Eintrittspreise
Diesem Pedanten stand der hoch gebildete Meyerbeer gegenüber,
der sich voll der Kunst widmen wollte und konnte. Trotz Küstners
Einspruch engagierte er den schwedischen Koloraturstar Jenny Lind,
die „Schwedische Nachtigall“ nach Berlin, die vom Publikum
begeistert bejubelt wurde. Meyerbeer sicherte den Musikern eine
Mindestgage von 300 Talern und stellte sein eigenes Gehalt zur Unterstützung
von bedürftigen Kollegen zur Verfügung. Den Bestand der
Staatskapelle brachte er auf 100 Mann, Chor und Ballett erweiterte
er ebenfalls wesentlich. Er führte nach Pariser Vorbild Autorentantiemen
von 10 Prozent ein statt der bisher üblichen einmaligen Abfindungssummen
und erreichte beim König die Zusicherung, dass alljährlich
drei Werke lebender deutscher Komponisten aufgeführt werden
sollten. All das musste er gegen den erzkonservativen Küstner
durchsetzen, der dennoch seinen mittelmäßigen Geschmack
zum Maß aller künstlerischen Dinge machte. Mit sicherer
Hand wählte er stets Zweitrangiges fürs Berliner Repertoire,
ignorierte Wagners „Tannhäuser“ und „Lohengrin“
ebenso wie die Werke Verdis. Lortzing wurde gelassen übergangen.
„Die erste Kunstanstalt des Staates verfiel zur trostlosen
Hebamme für Fehlgeburten“, wie es ein zeitgenössischer
Kritiker formulierte. Kein Wunder, dass Meyerbeer bereits nach vier
Jahren, 1846, seinen Posten aufgab und lediglich die Sinfoniekonzerte
weiter dirigierte. Ansonsten kehrte er nach Paris zurück, das
ihm weitaus bessere Bedingungen bot. Dort starb er 1864 mitten in
den Vorbereitungen für die Aufführung seiner letzten Oper
„Die Afrikanerin“.
Weitere verpasste Chance
Noch einmal erwuchs der Berliner Hofoper eine große Hoffnung,
als sich der Komponist Otto Nicolai zum Hofkapellmeister bewarb.
Der gebürtige Königsberger war in Wien zwar zum Hofkapellmeister
avanciert, doch er kehrte der Donaumetropole den Rücken, weil
seine komische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“
dort auf keine Gegenliebe stieß und unaufgeführt blieb.
So kehrte er mit der fast vollendeten Partitur der wohl schönsten
deutschen Spieloper nach Berlin zurück. Die Uraufführung
am 9. März 1849 mit dem Komponisten am Pult brachte einen glänzenden
Erfolg. Noch drei Vorstellungen konnte Nicolai dirigieren, dann
erlitt er einen Schlaganfall und starb am 11. Mai, am gleichen Tage,
an dem ihn der König zum Mitglied der Akademie der Künste
berufen wollte.
Wieder einmal entging der Opernstadt Berlin der Anschluss an die
Spitzenliga. Hatten bisher oft genug die mediokre Kulturpolitik
und der starre Konservativismus des Königshauses eine zeitgemäße
Weiterentwicklung der Opernlandschaft behindert, vernichtete dieses
Mal ein unvorhersehbarer Schicksalsschlag den Aufbruch in die Moderne.
Susanne Geißler
(Fortsetzung
folgt)
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