Nun, über 16.000 Lichtquellen waren es sicher nicht, die Anna Viebrock als kalt schimmerndes Sternenzelt über dem trostlosen 50er-Jahre-Wartesaal aufgehängt hatte (dass man sich auf einem Schiff befinden könnte, war nur an einem während der Ouvertüre hin- und herrutschenden Fußschemel zu erahnen). Die Neonufos unterschiedlicher Größe erwiesen sich aber ohne Zweifel als Hauptmetapher von Christoph Marthalers Tristan-Havarie. Im etwa 10 Jahre später angesiedelten Ambiente des zweiten Aktes brennen sie unerbittlich auf eine Isolde herab, die in geistiger Verwirrung mit gelben Handschuhen auf die zahllosen Schalter deutend, Brangäne zum Abdunkeln der tristen Szenerie auffordert. Als nach eher durchlittener denn genossener Liebesnacht das Paar, von König Marke behelligt, dem gleißend kalten Licht der sie entlarvenden Gesellschaft ausgesetzt ist, zeigt sie mit kindischem Vergnügen auf die Leuchtstoffröhren, die dem energetischen Überschuss nicht mehr standhalten und langsam den Geist aufgeben. Und die Reste emotionaler Energie, die Tristan auf dem Pflegestufe-1-tauglichen Krankenbett freisetzt, flackern prompt in den ausrangierten Röhren, die an den Wänden hängen (was den als Hausmeister nach dem Rechten sehenden Hirten einigermaßen stutzig werden lässt). Das kalte Licht, das Marthaler mit seiner Ausstatterin auf den Stoff wirft, korrespondiert mit einer Bloßstellung der Beziehungslosigkeit unter den Figuren. Jeder scheint in seinen Gefühlen für den anderen auf sich zurückgeworfen. Einsam vor sich hinglühende Solitäre. Isolde, die zunächst in einem echten Emotionsausbruch Stühle umwirft und sie – nachdem Brangäne sie wieder säuberlich an ihren Platz gerückt hat – mit Kalkül vor dem Gespräch mit Tristan noch einmal in arrangierte Unordnung bringt, knöpft ihr Kostümoberteil im verweigerten Liebestaumel des zweiten Aktes zwar auf, aber nicht für Tristan, sondern für einen imaginären Dritten. Tristan schreitet komplett beziehungsunfähig, wie ferngesteuert über die Bühne, Kurwenal rennt in Ermangelung adäquater Ausdrucksmöglichkeiten gegen die Wand. Marthalers desolat handlungs- und emotionsarme Personenführung hätte nun genügend Freiraum für eine Musik schaffen können, die das ausspricht, was den Menschen auf der Bühne in ihrer Unfähigkeit zur Kommunikation verwehrt ist. Eiji Oue, ein quirliger Orchesterantreiber, dessen Energieausbrüchen man im Konzert gerne beiwohnt, war mit dieser Aufgabe indes vollkommen überfordert. Ohne jegliches Gespür für die seismographischen Qualitäten des Wagner’schen Orchesterklangs vergröberte er seinen Part zu einer mittelmäßigen symphonischen Dichtung mit Vokalisen. Dankbar nahm er – ohne Rücksicht auf die Gesangsparts – jede Gelegenheit zu auftrumpfendem Getöse wahr, was unterhalb eines gesunden Mezzoforte sich abspielte, schien nicht sein Interesse zu finden. Ein Desaster, das vom Publikum dieser zweiten Aufführung am 31. Juli entsprechend quittiert wurde. Verständlich, dass dessen Bereitschaft zum kollektiven Applausenthusiasmus sich somit auf Nina Stemme und Robert Dean Smith konzentrierte. In der Tat sangen sie die mörderischen Titelpartien mit beachtlicher Schönheit des Tons und ohne Konditionsschwächen, eine echte vokale Verkörperung ihrer Rollen gelang ihnen allerdings nicht. Zu sehr vernachlässigten sie die Textartikulation zugunsten einer oberflächlich verstandenen Fülle des Stimmvolumens (woran wie gesagt Oue eine Teilschuld trifft). Ähnliches gilt für den ebenmäßig sich verströmenden Bass Kwangchul Youns (König Marke) und die weniger tonschöne Brangäne Petra Langs. Andreas Schmidt, dem einige deklamatorisch eindringlich gestaltete, liedhafte Pianopassagen glückten, der ansonsten aber der Kurwenal-Partie nicht gewachsen war, zog nach einem ebenso verletzenden wie überflüssigen Buhsturm die Konsequenz und ließ sich für die restlichen Aufführungen krank melden, die Hartmut Welker übernahm. Von den Strapazen dieser im Ganzen sicher nicht beglückenden Tristan-Erfahrung erholte man sich dann gerne in Philippe Arlauds marzipanpapierener Tannhäuser-Illustration. Hervorragende Sängerleistungen von männlicher (Stephen Goulds Tannhäuser, Roman Trekels Wolfram) und immerhin achtbare von weiblicher Seite (Judith Nemeths Venus, Ricarda Merbeths Elisabeth) wurden von Christian Thielemanns souveränem Dirigat getragen. Das waren gewiss keine Wunder, die er im Bayreuther Orchestergraben vollbrachte, aber sein dramatischer Instinkt, seine Raffinesse in der Klangabtönung und der Anlage von Steigerungen wirkten nach Oues Bemühungen fast ein wenig als solche. Mehr als nur heimlicher Star dieser Aufführung war aber zweifellos der von Eberhard Friedrich zu überwältigender Klangpracht und faszinierender deklamatorischer Präsenz geführte Festspielchor. Ein Ereignis. Juan Martin Koch
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