„Wen die Drohung kleidet“
Polemische
Attacken von Reinhard Wengierek
Stefan Meuschel antwortet
Sehr geehrter Herr Wengierek,
Ihr Artikel liest sich gut: Da haut mal einer so richtig auf den
Putz! Doch wenn wir uns Ihr sozialpolitisches Resümee durch
den Kopf gehen lassen, überwiegen Gegenfragen und Kopfschütteln.
Da schreiben Sie, es „strangulieren sich heute diese Betriebe
durch unbezahlbare soziale Errungenschaften (und) Gutgemeintes degeneriere
zum Schlechten.“ Wen meinen Sie da eigentlich? Meinen Sie
vielleicht die deutschen Verlags- und Zeitungshäuser, bei denen
ungeachtet der Einnahmeneinbrüche Sie und Ihre Kollegen „Tariferhöhungen
gnadenlos durchboxen“ und bei denen Ihre „Arbeitnehmervertretungen
gelassen zuschauen“, wie Tausende von Journalistinnen und
Journalisten entlassen werden und in der „Auswegslosigkeit
ganze Sparten wegbrechen“? Frankfurter Rundschau, Welt, Berliner
Morgenpost, Süddeutscher Verlag?
Statt jetzt alle Branchen und Sozialsysteme durchzugehen, auf
die Ihr Katastrophen-Szenario kongruent sich übertragen ließe,
wollen wir es mit den Fragen gut sein lassen, warum ausgerechnet
immer wieder das deutsche Staats- und Stadttheater als „im
Würgegriff der Gewerkschaften“ befindlich von Ihnen (und
manchen Ihrer Kollegen) attackiert wird und warum diese Attacken
so polemisch, so undifferenziert, so von Halb-Wahrheiten strotzend
geführt werden? Ist Ihnen nicht bewusst, dass Sie mit Ihrer
Forderung, Bildung, Information, Kunst, Kultur solle ausschließlich
produktorientiert im mehr oder weniger sozial- und arbeitsrechtsfreien
Raum entstehen, sich auch selbst das Wasser abgraben?
Offenbar haben Sie die zum 1. Januar 2001 und 1. Januar 2003 von
VdO und GDBA mit dem Deutschen Bühnenverein abgeschlossenen
neuen Tarifverträge für die rund 20.000 künstlerisch
Beschäftigten der deutschen Bühnen nicht einmal durchgeblättert,
weil Sie andernfalls Ihre generalisierenden Behauptungen vom „aberwitzigen
System“ der Flächentarifverträge nicht hätten
aufstellen können. Sie hätten sogar eingestehen müssen,
dass in diesen Tarifverträgen, dem Normalvertrag Bühne,
eines der meistdiskutierten aktuellen tarifpolitischen Themen in
die Praxis umgesetzt wurde: Öffnungsklauseln für betriebs-,
ja sogar spartenspezifische Regelungen.
Auch Ihr Bericht über Weimar beruht entweder auf oberflächlicher
Recherche oder böser Absicht. Dass der Austritt eines Unternehmens
aus den Arbeitgeberverbänden von Ihrer Zeitung begrüßt
wird mit dem Satz „endlich krempelt (jemand) seinen Laden
um“, ist zumindest bemerkenswert. Als zum Beispiel Holzbrinck/Der
Tagesspiegel dies taten, wurde wenigstens noch differenziert berichtet.
Aber welche „Arbeitnehmer-Lobby hat in Weimar prompt gemauert“?
Der Umwandlung des DNT in eine gGmbH und dem Personalüberleitungsvertrag
hat diese „Lobby“ keinen Widerstand entgegengesetzt
und über Haustarifverträge, bei denen der oben erwähnte
Normalvertrag Bühne übrigens komplett übernommen
wird, verhandeln die Gewerkschaften mit Aussicht auf baldigen einvernehmlichen
Abschluss. Auch würden wir gerne den von Ihnen so dramatisch
geschilderten „ständigen Streikbrecher-Trupp“ Stephan
Märkis kennen lernen. Er bestand bei den beiden von den Bühnentechnikern
„bestreikten“ Vorstellungen aus den kompletten jeweiligen
Ensembles einschließlich Staatskapelle (und aus denen, die
sonst an den Vorstellungen beteiligt oder im Hause waren). Fast
alle gewerkschaftlich organisiert. Aber „mauernde Arbeitnehmer-Lobby“,
„Streikbrecher-Trupp“ und „im Würgegriff
der Gewerkschaften“ liest sich halt viel aufregender, als
wenn die Fakten dargestellt werden müssten.
Wir vermuten, dass Sie am Beispiel Ihres „drohenden Ankleiders“
und des armen Hamlet, dem der böse Personalrat die Probenzeit
nicht gönnt, einen Artikel schreiben wollten mit der Frage,
ob das Dienst- und Arbeitsrecht staatlicher oder kommunaler Betriebe
noch in allen Punkten stimmig ist (die Dienstleistungsgewerkschaft
ver.di hat mit den öffentlichen Arbeitgebern eine Neugestaltung
des Tarifrechts bis zum 31. Dezember 2005 vereinbart), vor allem
aber, ob es – nicht nur angesichts der Finanznöte der
öffentlichen Hand – spezieller Modifikationen für
die Theaterbetriebe bedarf. An dieser Frage ist was dran –
auch wenn die von Ihnen gewählten Beispiele nicht einmal signifikant
sind. Denn: die Gewandmeister müssen bei betrieblicher Notwendigkeit
ohnehin geteilten Dienst machen und „der Ankleider“
wird allenfalls dann zweimal am Tag gebraucht, wenn bei Endproben
abends auch eine Vorstellung stattfindet. Und die von Ihnen gescholtenen
Richter am Bundesverwaltungsgericht haben in ihrer Urteilsbegründung
dem Hamlet – um den es ja in Wirklichkeit gar nicht geht –
viele Wege gewiesen, wie er auch mit der Zustimmung des Personalrats
seinen Monolog proben kann, so lange er will.
Man kann über dieses Urteil durchaus streiten – aber
bitte nicht so, Deutschlands Theater diffamierend und alles in einen
Topf verrührend, wie Sie es tun. Weder „Superstar“
Daniel Barenboim noch der Ankleider, weder die Richter in Leipzig
noch die Gewerkschaften wohnen Äste sägend im Land Absurdistan.
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