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Kernstück der Opern-Moderne
Poulencs „Dialog der Karmeliterinnen“ in Hamburg ·
Von Kläre Warnecke
Diese Hamburger Erstaufführung von Francis Poulencs großer
Oper „Dialog der Karmeliterinnen“ aus dem Jahr 1957
kam sehr spät und doch genau im richtigen Augenblick. In einer
Zeit der Terrorangriffe, der Kriegsängste und Glaubenseiferer
spiegelt dieses Märtyrerinnen-Drama aus den Chaos-Tagen der
Französischen Revolution mit geradezu erschreckender Brisanz
aktuelle Bedrohungen und Befindlichkeiten. Der freiwillige Opfer-Gang
der adligen Nonne Blanche de la Force und ihrer Mitschwestern während
des Schreckensregimes der Jakobiner lässt sich, zugespitzt,
vielleicht sogar als Gegen-Bild zum pervertierten Glaubenstod palästinensischer
Selbstmordattentäter sehen. Es war ein Glücksfall dieser
Hamburger Neuinszenierung, dass ihr Regisseur Nikolaus Lehnhoff
in später Nachfolge Wieland Wagners das Geschehen mit dem Kunstgriff
strenger Stilisierung aus der Zeitbedingtheit ins Allgemeingültige
hob: Keine Blut- und Bombenexzesse also, kein wüstes Jakobiner-Spektakel.
Nichts als ein leerer, bis auf die hoch aufschießenden Wände
mit variablen Öffnungen reduzierter Bühnenraum (Raimund
Bauer), der als Kloster-Käfig, als Seelen-Gefängnis oder
Revolutions-Richtplatz zum packenden Gleichnis für die Sinnleere
der Welt, für Gottesferne, aber auch für mystische Gotteserfahrung
wird.
Poulencs Dreiakter nach Gertrud von le Forts berühmter Novelle
„Die Letzte am Schafott“ gilt zu Recht als ein Kernstück
der französischen Opern-Moderne. Mit seiner bohrend religiösen
Thematik nimmt er zudem eine Sonderstellung im Musiktheaterschaffen
des vergangenen Jahrhunderts ein. Der Musik der „Karmeliterinnen“
merkt man es aber denn doch an, dass der Pariser Komponist bei aller
Inbrunst für das Sakrale und Mystische seine Liebe zum schwelgerischen,
oft gar gefällig reproduzierten Puccini-Sound nicht unterdrücken
konnte. Einigen Passagen der Oper haftet deutlich etwas Zwitterhaftes
an. Der makabre Gang zum Schafott unter dem liturgischen Appell
des „Salve Regina“ ist nicht ohne frömmelnde Attitüde.
Doch wird man in Lehnhoffs eindringlicher Inszenierung immer wieder
unmittelbar berührt vom brüsk aufflammenden dramatischen
Atem der Musik, der das eher handlungsarme Geschehen antreibt.
Einer der stärksten Augenblicke, ehe das finale Fallbeil auf
die zum Märtyrer-Tod bereiten Karmeliterinnen niedersaust:
Wenn die alte Priorin (grandios: Kythryn Harries) wie ein waidwundes
Wild in erbärmlicher Todesangst jeder menschlichen Würde
verlustig geht. Ein Bild existenzieller Not in einem Zeitalter der
Angst, das – wie wir sehen – jederzeit von neuem beginnen
kann. Dagegen nahm sich das salbungsvolle Gebärdenspiel des
Nonnenchors weniger überzeugend aus. Pseudo-Feierlichkeit bremst
den Fluss der gegen Ende hin ohnehin etwas schleppenden Szenen-Folge,
die erst mit dem Gang der Nonnen zum Schafott wieder imposante Wucht
gewinnt. Die Deutsche Oper Berlin, die sich der „Karmeliterinnen“
noch vor Amsterdam, Kopenhagen und Paris angenommen hatte, wagte
1994 zu Recht Striche.
Hamburgs GMD Ingo Metzmacher ließ sich an der Spitze der
leicht störanfälligen Philharmoniker nicht nur auf das
eingängig Lyrische und Stimmungshafte von Poulencs Partitur
ein, sondern steuerte mit vehementem Schlag auch deren temporäre
rhythmischen und orchestralen Entladungen. Ohne die fabelhaften
sängerischen Leistungen wäre der Erfolg aber ohne Zweifel
nur halb so groß ausgefallen. Anja Silja, die zur Zeit eine
erstaunliche Alterskarriere nicht nur als Janácek-Protagonistin
macht, hatte man nicht ohne Grund als Lockvogel für das als
Selbstgänger kaum taugliche Werk eingesetzt. Die Silja sang
die Charakterpartie der willenstarken Mutter Marie, die als einzige
Überlebende der jungen Blanche Opfermut einflösst, denn
auch mit der ihr eigenen strahlenden Bühnenfestigkeit. Als
Blanche bezauberte Ana Maria Martinez mit wunderbar weich schattiertem,
ausdrucksmächtigem Sopran, während Danielle Halbwachs
als junge Mutter Oberin mit raren Nuancen des Warmherzigen und Bodenständigen
brillierte. Großes Format hatte auch Inga Kalna als Constance.
Und Kathryn Harries triumphierte mit schonungsloser Grandeur sogar
über ihren eigenen Todesjammer. Auch der Chor der Hamburgischen
Staatsoper vollbrachte Glänzendes. Chöre treten in dieser
Oper ja erst in der Schlußszene auf dem Revolutions-Platz
in Aktion, als Gefangene, Wachen und als Volksmenge, die der Komponist
jedoch am Ende ganz ohne Text, quasi instrumental, geführt
hat. Von Lehnhoff war der Chor zudem ganz aus dem Bühnengeschehen
herausgenommen und ins Unsichtbare katapultiert worden: Entsagungsvolle
Chor-Arbeit, die jedoch umso mehr Wirkung tat, als sich der „Salve
Regina“-Gesang der Nonnen rein und tröstlich wie Sphärenmusik
über ihrem Gang zum Schafott erhob. Hamburgs Premierenpublikum
applaudierte bewegt.
Kläre Warnecke
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