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Kurt Suttner über die „Tage der neuen Chormusik“
„Wenn der Ankleider droht“
Deutschlands Theater im Würgegriff der Gewerkschaften von Reinhard Wengierek
„Wen die Drohung kleidet“
Polemische Attacken von Reinhard Wengierek
Stefan Meuschel antwortet

Portrait
Ich habe ja alles erreicht
Christoph Forsthoff im Gespräch mit der Sängerin Anja Silja

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Unzumutbare Wahrheiten
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Aktuelles
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Kulturpolitik

Gläserne Bürger der Zukunft?

Private Vervielfältigung und Kulturförderung · Von Gerhard Pfennig

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Anpassung des Urheberrechts an die Informationsgesellschaft in Bundesrecht, die gegenwärtig den Deutschen Bundestag beschäftigt, wird von interessierter Seite der Versuch unternommen, das System der Vergütungen für die private Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke in Frage zu stellen. Bekanntlich wurde im Rahmen der großen Urheberrechtsreform 1966 weltweit erstmalig in das deutsche Urheberrechtsgesetz eine einschränkende Ausnahme vom exklusiven Reproduktionsrecht der Urheber aufgenommen, die es interessierten Privatpersonen gestattete, mit Tonbandgeräten Musikwerke zu vervielfältigen, entweder durch Überspielen vom Plattenspieler oder durch Aufzeichnung von Radioprogrammen.

Diese Regelung trug dem Umstand Rechnung, dass es für den einzelnen Urheber praktisch ausgeschlossen war, derartige – nach früherer Rechtsprechung nicht zulässige – Vervielfältigungen zu unterbinden. Im Laufe der Jahre entwickelte sich ein breit gefächertes System der Abgaben sowohl auf Audio- und Videovervielfältigungsgeräte als auch auf die entsprechenden Leerkassetten beziehungsweise Trägermaterialien, ergänzt um eine Abgabe für das Fotokopieren geschützter Werke einschließlich einer Copyshop-Abgabe und einem Vergütungssystem für Kopien, die in Schulen angefertigt wurden.

Diese Vergütungen werden von Verwertungsgesellschaften auf der Grundlage von Gesamtverträgen eingezogen und an die berechtigten Urheber, Künstler, Produzenten und Verleger nach bestimmten Verteilungsplänen entsprechend der Werthaltigkeit der genutzten Rechte verteilt.

Widerstand der Hersteller

Verständlicherweise sträuben sich die abgabepflichtigen Importeure und die wenigen, in Deutschland verbliebenen Hersteller von Geräten und Trägermaterialien, die diese Abgabe in ihre Endpreise einkalkulieren müssen, gegen diese Belastung, da sie in hartem Wettbewerb stehen und im angeblichen Interesse der Konsumenten die Abgabe gern abschütteln würden. Gelegenheit dazu bietet sich aus ihrer Sicht nun durch die Einführung digitaler Übertragungs- und Vervielfältigungstechniken, die enorme Qualitätssprünge bei der Vervielfältigung ermöglichen. Deshalb wird gern das Argument verwendet, bei der Vervielfältigung einer CD auf eine Leer-CD-ROM handele es sich um etwas grundsätzlich anderes als um eine Vervielfältigung in analoger Technik, die bekanntlich einen Qualitätsverlust mit sich bringt, nämlich um eine 1:1-Reproduktion, die im Ergebnis der Vorlage qualitativ in nichts nachsteht. Hier, so meinen im wesentlichen die Vertreter der einschlägigen elektronischen Wirtschaft, werde der Rahmen des bisher zulässigen Vervielfältigens überschritten und eine genehmigungspflichtige Reproduktion hergestellt, die nicht unter die traditionell gestattete Ausnahme gegen Vergütung fällt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: die Unternehmen empfehlen folgerichtig den Urhebern in Fällen der Verwendung digitaler Geräte, ihre Vergütungsansprüche direkt mit dem Endnutzer zu regeln, etwa durch Werkverbreitung im Internet, möglichst in verschlüsselter Form und unter Nutzung von „Digital Rights Management Systemen“ (DRMS). Urheberinnen und Urheber sollen sich also der Möglichkeiten des electronic commerce bedienen, um sich im Falle der individuellen privaten Vervielfältigung eine individuell zu berechnende Vergütung zu sichern. Pauschale Abgaben und Verwertungsgesellschaften wären damit überflüssig.

 
 

„Ja zur privaten Kopie“: Eine Kampagne der VG Wort, GEMA und VG Bild-Kunst im Jahr 2002

 

Die Bundesregierung ist freilich diesen Ratschlägen bisher nicht gefolgt. Vielmehr vertritt sie in verschiedenen veröffentlichten Stellungnahmen und in ihrem Gesetzentwurf die richtige Auffassung, dass allein durch die Anwendung einer neuen (digitalen) Technik aus einem Vervielfältigungsvorgang nicht etwas tatbestandlich und rechtlich völlig Neues werden kann. Die Rechtsprechung gibt ihr dabei Rückendeckung: kürzlich entschieden Obergerichte, dass die Vervielfältigung eines Films auf DVD rechtlich keinen Unterschied zu der früher üblichen Vervielfältigung auf Videoband darstelle, und zwar ungeachtet der Qualitätssteigerung durch diese DVD.

Gerichtsentscheid

Demgemäß schlägt das Justizministerium vor, die Vergütungsregelungen mit einigen Einschränkungen auch in die Zukunft fortzuschreiben. Dementsprechend verfolgen die Verwertungsgesellschaften dort, wo abgabepflichtige Unternehmen bisher nicht bereit waren, Vergütungen für digitale Geräte zu entrichten, ihren Anspruch auf dem Rechtsweg, das heißt durch Verfahren vor der Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt oder vor den ordentlichen Gerichten. In diesen Verfahren ist bereits entschieden worden, dass CD-Brenner und Scanner sowie Faxgeräte abgabepflichtig sind; soeben hat die Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt klargestellt, dass auch PCs im Sinne des Gesetzes als Fotokopiergeräte zu betrachten sind, denn sie dienen dazu, Werke zu vervielfältigen. Politisch ist insbesondere die Einbeziehung der PCs in die Abgaben international noch umstritten; vor allem industriepolitische Argumente werden herangezogen, um den PC, die „Spinne im Netz“ der elektronischen Vervielfältigung, aus der Abgabenkette auszuklammern.

Kulturförderung

In diese gesetzgeberische Konfliktlage platzierte die rot-grüne Bundestagsmehrheit in ihrer Koalitionsvereinbarung eine kulturpolitisch interessante Formulierung. Dort heißt es unter dem Oberbegriff „Bürgergesellschaft stärken“ im Abschnitt „Kultur und Medienpolitik“ unter anderem:

„Das Urheberrecht muss auch in einer digitalen Welt einen angemessenen Ausgleich zwischen Urhebern und Nutzern sicherstellen. Der freie Zugang zum Internet muss weitestgehend erhalten bleiben. Der Schutz vor Raubkopien muss verstärkt werden. Verwertungsgesellschaften, die Pauschalabgaben erhalten, soll ermöglicht werden, einen Teil der Einnahmen auch für die Förderung von Kunst und Kultur einzusetzen.“ (Hervorhebung vom Verfasser).

Hier wird eine kulturpolitische Forderung diplomatisch geschickt in die Form eines Hilfsangebots gekleidet; denn im Klartext geht es um nichts anderes als darum, die Verwertungsgesellschaften aufzufordern, die zum Teil schon betriebene Unterstützung von Kunst und Kultur insbesondere in dem Maße auszubauen, wie sie aus den erwähnten Quellen der Vergütungen für die private Vervielfältigung durch zukünftig neu entstehende Abgaben für elektronische Geräte zusätzlich Erlöse erwirtschaften. Aus diesen zusätzlichen Erlösen sollen sie den gesetzlich zulässigen Anteil zur Unterstützung von Kunst und Kultur abzweigen. Mit anderen Worten: die erfolgreichen, nämlich vervielfältigten Urheber sollen den kreativen Nachwuchs fördern.

Die gesetzliche Grundlage hierfür bietet § 7 des Urheberrechts-Wahrnehmungsgesetzes, der die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, kulturell bedeutsame Werke zu fördern. Als Beispiel gelten die Nachbarstaaten Österreich und Frankreich, die bereits jetzt gesetzlich vorgeschrieben 50 Prozent (in Österreich) beziehungsweise 25 Prozent (in Frankreich) zwingend für die Förderung der nationalen Kultur reservieren.

In Deutschland hat die kulturfördernde Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften durchaus Tradition. So unterhält die GEMA mit Verwertungsgesellschaften in Frankreich, Österreich und der Schweiz einen gemeinsamen Musikfonds namens „FESAM“, der die internationale Begegnung von Komponisten und die Aufführung ihrer Werke in den beteiligten Ländern fördert. Die VG Bild-Kunst etwa unterstützt mit Anteilen aus ihren Erlösen aus den Bereichen Folgerecht, Reproduktionsrecht und private Vervielfältigung im Bereich Bildende Kunst die Förderprogramme der Stiftung Kunstfonds, die zu einem erheblichen Anteil aus Mitteln des BKM gefördert werden; aus den Erlösen der Wahrnehmungsbereiche Design-Foto beziehungsweise Film werden vom Kulturwerk der VG Bild-Kunst schon jetzt Publikationen und Filmproduktionen unterstützt.

Legitimation

Diese Fördertätigkeiten der Verwertungsgesellschaften, die in Deutschland zumindest bei den Verwertungsgesellschaften der Urheber und Künstler von diesen selbst gesteuert und kontrolliert werden, möchte Rot-Grün offensichtlich verstärkt sehen, unter anderem auch deshalb, um den erwähnten Abgaben auf digitale Vervielfältigungsgeräte eine größere kulturpolitische Legitimation zu verschaffen. Sie nimmt zu Recht an, dass die Kopiervorgänge mit elektronischen Geräten wegen der zunehmenden Zahl von Quellen, vor allem durch das Internet, im Einzelfall von den Verwaltern der Pauschalabgaben nicht vollständig erfasst werden können. Hieraus resultiert eine gewisse Verteilungsungenauigkeit, die allerdings in Kauf genommen werden muss, wollen die Verwertungsgesellschaften nicht die Kopiergewohnheiten jedes einzelnen Bürgers genauestens erfassen und registrieren. Hieraus ergäbe sich nämlich eine weitere Gefahr, die übrigens bei den von der Kulturindustrie angewendeten Rights Management Systemen durchaus besteht: die Dokumentation jedes einzelnen Nutzungsvorganges zu Abrechnungszwecken würde den „gläsernen Bürger“ schaffen, dessen Konsumgewohnheiten in Bezug auf Medienkonsum exakt erfasst werden könnten.

Die im System der verwaltungsmäßig sehr viel günstigeren Pauschalabgaben entstehende Verteilungsungenauigkeit würde dagegen dadurch kompensiert werden, dass ein Teil des Erlöses für Förderzwecke zur Verfügung gestellt wird, und zwar sowohl für vorhandene wie auch für neu zu begründende.

Die Frage ist freilich, wer über die Mittel verfügen soll. Es ist schlecht denkbar, dass Erlöse, die an die Gesamtheit der Urheber, organisiert in den Verwertungsgesellschaften, fließen, in toto an die Staatskasse abgeliefert werden, um deren grundgesetzlich begründete Pflichtaufgaben der Kulturförderung zu unterstützen. Denkbar ist aber sehr wohl, dass das bestehende Fördersystem der Verwertungsgesellschaften ausgebaut und in Bereiche hinein entwickelt wird, in denen bisher nur unzureichende Förderprogramme bestehen. Der Möglichkeiten sind viele und die Urheberinnen und Urheber in den Verwertungsgesellschaften sind durchaus erfindungsreich in der Entwicklung solcher Förderziele, zumal sie selbst die Verhältnisse am besten kennen.

Die kryptische Formulierung der Koalitionsvereinbarung könnte also dazu führen, dass mit Unterstützung der Bundesregierung – und zwar sowohl des Justizministeriums wie auch des Staatsministeriums für Kultur und Medien – das noch umstrittene System der Abgaben für die private Vervielfältigung mit digitalen Techniken stabilisiert, gesetzlich verankert und tarifmäßig auf eine vernünftige und verbesserte Grundlage gestellt wird. Aus den dann zusätzlich fließenden Erträgen – ein großer Teil ersetzt allerdings die schwindenden Erlöse aus der absterbenden analogen Vervielfältigungstechnik – könnten sodann ein angemessener Anteil den Stiftungen und anderen Fördereinrichtungen zugeführt werden, die in Zusammenarbeit der Verwertungsgesellschaften oder von diesen unterhalten werden. Von den betreffenden Urheberinnen und Urhebern der jeweiligen Branchen sowie von den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern wären Förderziele und Programme zu definieren, die das von Subventionskürzungen gebeutelte Kulturleben in Selbstverwaltung und -verantwortung stärken könnten. Neben die Kulturstiftungen des Bundes und der Länder würden so im dritten Sektor aus den von den Kulturschaffenden selbst erwirtschafteten beziehungsweise für die Nutzung ihrer Werke durch die Gesellschaft entrichteten Erlösen ergänzende Förderstrukturen entstehen, die dazu beitragen, den Kulturstaat Deutschland zu entwickeln und auszubauen.

Wachsamkeit gefordert

Sie wären vermutlich auch durchaus geeignet, die Akzeptanz der vor allem von der Industrie ungeliebten Abgaben zu erhöhen und auch für die Nutzer und Konsumenten plausibler zu machen. Allerdings verfehlte diese Politik ihr Ziel, wenn sie dazu führen würde, dass Kommunen und Länder, zu deren Pflichtaufgaben in wohlverstandenem Sinne auch die Kulturförderung zählt, diese Entwicklung durch Einsparungen in ihren eigenen Bereichen neutralisieren würden. Hier gilt es wachsam zu sein und bei der Definition der Aufgaben der verschiedenen Förderinstrumente Überschneidungen zu vermeiden. Die Staatsministerin für Kultur und Medien ist in der Pflicht, aus der Koalitionsvereinbarung die Basis für diese neue Politik zu schaffen und im Zusammenwirken mit dem BMJ die im „Vergütungsbericht“ der Bundesregierung aus dem Jahre 2000 geforderte Anpassung der urheberrechtlichen Vergütungen (nach oben) rasch umzusetzen, um aus dem Stadium der „Ermöglichung“ möglichst bald in das der „Verwirklichung“ zu gelangen.

Der Verfasser ist Geschäftsführender Vorstand der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst in Bonn.

 

 

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