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Gläserne Bürger der Zukunft?
Private Vervielfältigung und Kulturförderung ·
Von Gerhard Pfennig
Im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Anpassung
des Urheberrechts an die Informationsgesellschaft in Bundesrecht,
die gegenwärtig den Deutschen Bundestag beschäftigt, wird
von interessierter Seite der Versuch unternommen, das System der
Vergütungen für die private Vervielfältigung urheberrechtlich
geschützter Werke in Frage zu stellen. Bekanntlich wurde im
Rahmen der großen Urheberrechtsreform 1966 weltweit erstmalig
in das deutsche Urheberrechtsgesetz eine einschränkende Ausnahme
vom exklusiven Reproduktionsrecht der Urheber aufgenommen, die es
interessierten Privatpersonen gestattete, mit Tonbandgeräten
Musikwerke zu vervielfältigen, entweder durch Überspielen
vom Plattenspieler oder durch Aufzeichnung von Radioprogrammen.
Diese Regelung trug dem Umstand Rechnung, dass es für den
einzelnen Urheber praktisch ausgeschlossen war, derartige –
nach früherer Rechtsprechung nicht zulässige – Vervielfältigungen
zu unterbinden. Im Laufe der Jahre entwickelte sich ein breit gefächertes
System der Abgaben sowohl auf Audio- und Videovervielfältigungsgeräte
als auch auf die entsprechenden Leerkassetten beziehungsweise Trägermaterialien,
ergänzt um eine Abgabe für das Fotokopieren geschützter
Werke einschließlich einer Copyshop-Abgabe und einem Vergütungssystem
für Kopien, die in Schulen angefertigt wurden.
Diese Vergütungen werden von Verwertungsgesellschaften auf
der Grundlage von Gesamtverträgen eingezogen und an die berechtigten
Urheber, Künstler, Produzenten und Verleger nach bestimmten
Verteilungsplänen entsprechend der Werthaltigkeit der genutzten
Rechte verteilt.
Widerstand der Hersteller
Verständlicherweise sträuben sich die abgabepflichtigen
Importeure und die wenigen, in Deutschland verbliebenen Hersteller
von Geräten und Trägermaterialien, die diese Abgabe in
ihre Endpreise einkalkulieren müssen, gegen diese Belastung,
da sie in hartem Wettbewerb stehen und im angeblichen Interesse
der Konsumenten die Abgabe gern abschütteln würden. Gelegenheit
dazu bietet sich aus ihrer Sicht nun durch die Einführung digitaler
Übertragungs- und Vervielfältigungstechniken, die enorme
Qualitätssprünge bei der Vervielfältigung ermöglichen.
Deshalb wird gern das Argument verwendet, bei der Vervielfältigung
einer CD auf eine Leer-CD-ROM handele es sich um etwas grundsätzlich
anderes als um eine Vervielfältigung in analoger Technik, die
bekanntlich einen Qualitätsverlust mit sich bringt, nämlich
um eine 1:1-Reproduktion, die im Ergebnis der Vorlage qualitativ
in nichts nachsteht. Hier, so meinen im wesentlichen die Vertreter
der einschlägigen elektronischen Wirtschaft, werde der Rahmen
des bisher zulässigen Vervielfältigens überschritten
und eine genehmigungspflichtige Reproduktion hergestellt, die nicht
unter die traditionell gestattete Ausnahme gegen Vergütung
fällt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: die Unternehmen
empfehlen folgerichtig den Urhebern in Fällen der Verwendung
digitaler Geräte, ihre Vergütungsansprüche direkt
mit dem Endnutzer zu regeln, etwa durch Werkverbreitung im Internet,
möglichst in verschlüsselter Form und unter Nutzung von
„Digital Rights Management Systemen“ (DRMS). Urheberinnen
und Urheber sollen sich also der Möglichkeiten des electronic
commerce bedienen, um sich im Falle der individuellen privaten Vervielfältigung
eine individuell zu berechnende Vergütung zu sichern. Pauschale
Abgaben und Verwertungsgesellschaften wären damit überflüssig.
Die Bundesregierung ist freilich diesen Ratschlägen bisher
nicht gefolgt. Vielmehr vertritt sie in verschiedenen veröffentlichten
Stellungnahmen und in ihrem Gesetzentwurf die richtige Auffassung,
dass allein durch die Anwendung einer neuen (digitalen) Technik
aus einem Vervielfältigungsvorgang nicht etwas tatbestandlich
und rechtlich völlig Neues werden kann. Die Rechtsprechung
gibt ihr dabei Rückendeckung: kürzlich entschieden Obergerichte,
dass die Vervielfältigung eines Films auf DVD rechtlich keinen
Unterschied zu der früher üblichen Vervielfältigung
auf Videoband darstelle, und zwar ungeachtet der Qualitätssteigerung
durch diese DVD.
Gerichtsentscheid
Demgemäß schlägt das Justizministerium vor, die
Vergütungsregelungen mit einigen Einschränkungen auch
in die Zukunft fortzuschreiben. Dementsprechend verfolgen die Verwertungsgesellschaften
dort, wo abgabepflichtige Unternehmen bisher nicht bereit waren,
Vergütungen für digitale Geräte zu entrichten, ihren
Anspruch auf dem Rechtsweg, das heißt durch Verfahren vor
der Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt oder vor den ordentlichen
Gerichten. In diesen Verfahren ist bereits entschieden worden, dass
CD-Brenner und Scanner sowie Faxgeräte abgabepflichtig sind;
soeben hat die Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt klargestellt,
dass auch PCs im Sinne des Gesetzes als Fotokopiergeräte zu
betrachten sind, denn sie dienen dazu, Werke zu vervielfältigen.
Politisch ist insbesondere die Einbeziehung der PCs in die Abgaben
international noch umstritten; vor allem industriepolitische Argumente
werden herangezogen, um den PC, die „Spinne im Netz“
der elektronischen Vervielfältigung, aus der Abgabenkette auszuklammern.
Kulturförderung
In diese gesetzgeberische Konfliktlage platzierte die rot-grüne
Bundestagsmehrheit in ihrer Koalitionsvereinbarung eine kulturpolitisch
interessante Formulierung. Dort heißt es unter dem Oberbegriff
„Bürgergesellschaft stärken“ im Abschnitt
„Kultur und Medienpolitik“ unter anderem:
„Das Urheberrecht muss auch in einer digitalen Welt einen
angemessenen Ausgleich zwischen Urhebern und Nutzern sicherstellen.
Der freie Zugang zum Internet muss weitestgehend erhalten bleiben.
Der Schutz vor Raubkopien muss verstärkt werden. Verwertungsgesellschaften,
die Pauschalabgaben erhalten, soll ermöglicht werden, einen
Teil der Einnahmen auch für die Förderung von Kunst und
Kultur einzusetzen.“ (Hervorhebung vom Verfasser).
Hier wird eine kulturpolitische Forderung diplomatisch geschickt
in die Form eines Hilfsangebots gekleidet; denn im Klartext geht
es um nichts anderes als darum, die Verwertungsgesellschaften aufzufordern,
die zum Teil schon betriebene Unterstützung von Kunst und Kultur
insbesondere in dem Maße auszubauen, wie sie aus den erwähnten
Quellen der Vergütungen für die private Vervielfältigung
durch zukünftig neu entstehende Abgaben für elektronische
Geräte zusätzlich Erlöse erwirtschaften. Aus diesen
zusätzlichen Erlösen sollen sie den gesetzlich zulässigen
Anteil zur Unterstützung von Kunst und Kultur abzweigen. Mit
anderen Worten: die erfolgreichen, nämlich vervielfältigten
Urheber sollen den kreativen Nachwuchs fördern.
Die gesetzliche Grundlage hierfür bietet § 7 des Urheberrechts-Wahrnehmungsgesetzes,
der die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, kulturell bedeutsame
Werke zu fördern. Als Beispiel gelten die Nachbarstaaten Österreich
und Frankreich, die bereits jetzt gesetzlich vorgeschrieben 50 Prozent
(in Österreich) beziehungsweise 25 Prozent (in Frankreich)
zwingend für die Förderung der nationalen Kultur reservieren.
In Deutschland hat die kulturfördernde Tätigkeit der
Verwertungsgesellschaften durchaus Tradition. So unterhält
die GEMA mit Verwertungsgesellschaften in Frankreich, Österreich
und der Schweiz einen gemeinsamen Musikfonds namens „FESAM“,
der die internationale Begegnung von Komponisten und die Aufführung
ihrer Werke in den beteiligten Ländern fördert. Die VG
Bild-Kunst etwa unterstützt mit Anteilen aus ihren Erlösen
aus den Bereichen Folgerecht, Reproduktionsrecht und private Vervielfältigung
im Bereich Bildende Kunst die Förderprogramme der Stiftung
Kunstfonds, die zu einem erheblichen Anteil aus Mitteln des BKM
gefördert werden; aus den Erlösen der Wahrnehmungsbereiche
Design-Foto beziehungsweise Film werden vom Kulturwerk der VG Bild-Kunst
schon jetzt Publikationen und Filmproduktionen unterstützt.
Legitimation
Diese Fördertätigkeiten der Verwertungsgesellschaften,
die in Deutschland zumindest bei den Verwertungsgesellschaften der
Urheber und Künstler von diesen selbst gesteuert und kontrolliert
werden, möchte Rot-Grün offensichtlich verstärkt
sehen, unter anderem auch deshalb, um den erwähnten Abgaben
auf digitale Vervielfältigungsgeräte eine größere
kulturpolitische Legitimation zu verschaffen. Sie nimmt zu Recht
an, dass die Kopiervorgänge mit elektronischen Geräten
wegen der zunehmenden Zahl von Quellen, vor allem durch das Internet,
im Einzelfall von den Verwaltern der Pauschalabgaben nicht vollständig
erfasst werden können. Hieraus resultiert eine gewisse Verteilungsungenauigkeit,
die allerdings in Kauf genommen werden muss, wollen die Verwertungsgesellschaften
nicht die Kopiergewohnheiten jedes einzelnen Bürgers genauestens
erfassen und registrieren. Hieraus ergäbe sich nämlich
eine weitere Gefahr, die übrigens bei den von der Kulturindustrie
angewendeten Rights Management Systemen durchaus besteht: die Dokumentation
jedes einzelnen Nutzungsvorganges zu Abrechnungszwecken würde
den „gläsernen Bürger“ schaffen, dessen Konsumgewohnheiten
in Bezug auf Medienkonsum exakt erfasst werden könnten.
Die im System der verwaltungsmäßig sehr viel günstigeren
Pauschalabgaben entstehende Verteilungsungenauigkeit würde
dagegen dadurch kompensiert werden, dass ein Teil des Erlöses
für Förderzwecke zur Verfügung gestellt wird, und
zwar sowohl für vorhandene wie auch für neu zu begründende.
Die Frage ist freilich, wer über die Mittel verfügen
soll. Es ist schlecht denkbar, dass Erlöse, die an die Gesamtheit
der Urheber, organisiert in den Verwertungsgesellschaften, fließen,
in toto an die Staatskasse abgeliefert werden, um deren grundgesetzlich
begründete Pflichtaufgaben der Kulturförderung zu unterstützen.
Denkbar ist aber sehr wohl, dass das bestehende Fördersystem
der Verwertungsgesellschaften ausgebaut und in Bereiche hinein entwickelt
wird, in denen bisher nur unzureichende Förderprogramme bestehen.
Der Möglichkeiten sind viele und die Urheberinnen und Urheber
in den Verwertungsgesellschaften sind durchaus erfindungsreich in
der Entwicklung solcher Förderziele, zumal sie selbst die Verhältnisse
am besten kennen.
Die kryptische Formulierung der Koalitionsvereinbarung könnte
also dazu führen, dass mit Unterstützung der Bundesregierung
– und zwar sowohl des Justizministeriums wie auch des Staatsministeriums
für Kultur und Medien – das noch umstrittene System der
Abgaben für die private Vervielfältigung mit digitalen
Techniken stabilisiert, gesetzlich verankert und tarifmäßig
auf eine vernünftige und verbesserte Grundlage gestellt wird.
Aus den dann zusätzlich fließenden Erträgen –
ein großer Teil ersetzt allerdings die schwindenden Erlöse
aus der absterbenden analogen Vervielfältigungstechnik –
könnten sodann ein angemessener Anteil den Stiftungen und anderen
Fördereinrichtungen zugeführt werden, die in Zusammenarbeit
der Verwertungsgesellschaften oder von diesen unterhalten werden.
Von den betreffenden Urheberinnen und Urhebern der jeweiligen Branchen
sowie von den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern
wären Förderziele und Programme zu definieren, die das
von Subventionskürzungen gebeutelte Kulturleben in Selbstverwaltung
und -verantwortung stärken könnten. Neben die Kulturstiftungen
des Bundes und der Länder würden so im dritten Sektor
aus den von den Kulturschaffenden selbst erwirtschafteten beziehungsweise
für die Nutzung ihrer Werke durch die Gesellschaft entrichteten
Erlösen ergänzende Förderstrukturen entstehen, die
dazu beitragen, den Kulturstaat Deutschland zu entwickeln und auszubauen.
Wachsamkeit gefordert
Sie wären vermutlich auch durchaus geeignet, die Akzeptanz
der vor allem von der Industrie ungeliebten Abgaben zu erhöhen
und auch für die Nutzer und Konsumenten plausibler zu machen.
Allerdings verfehlte diese Politik ihr Ziel, wenn sie dazu führen
würde, dass Kommunen und Länder, zu deren Pflichtaufgaben
in wohlverstandenem Sinne auch die Kulturförderung zählt,
diese Entwicklung durch Einsparungen in ihren eigenen Bereichen
neutralisieren würden. Hier gilt es wachsam zu sein und bei
der Definition der Aufgaben der verschiedenen Förderinstrumente
Überschneidungen zu vermeiden. Die Staatsministerin für
Kultur und Medien ist in der Pflicht, aus der Koalitionsvereinbarung
die Basis für diese neue Politik zu schaffen und im Zusammenwirken
mit dem BMJ die im „Vergütungsbericht“ der Bundesregierung
aus dem Jahre 2000 geforderte Anpassung der urheberrechtlichen Vergütungen
(nach oben) rasch umzusetzen, um aus dem Stadium der „Ermöglichung“
möglichst bald in das der „Verwirklichung“ zu gelangen.
Der Verfasser ist Geschäftsführender Vorstand der Verwertungsgesellschaft
Bild-Kunst in Bonn.
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